Abendblatt: Die Kriminalitätszahlen auf St. Pauli sind konstant hoch. Ist das Projekt Videoüberwachung gescheitert?

Christoph Ahlhaus:

Ganz im Gegenteil. Der Bereich Reeperbahn/St. Pauli zieht heute weit mehr Besucher an als noch vor ein paar Jahren. Aber der Kiez hat sich verändert. Wir haben auch eine andere Klientel von Besuchern. Es kommen verstärkt Jugendliche und erheblich alkoholisierte Besucher. Deswegen war es richtig, verschiedenste Instrumente, also nicht nur die Videoüberwachung, dort einzusetzen. Etwa die Zahl der Polizeikräfte zu erhöhen. Dazu kommt das Waffentrage-Verbot. Und zurzeit sind wir dabei, mit einer freiwilligen Selbstverpflichtung, die Glasflaschen zu verbannen.



Abendblatt: Dennoch konnte die Zahl der Straftaten nicht gesenkt werden.

Ahlhaus:

Bei einem Erfolg oder Misserfolg der Videoüberwachung muss man beachten, dass die Kriminalität auf St. Pauli schon seit einem längerem Zeitraum steigt, und darf sich nicht nur einen kleinen Ausschnitt ansehen. Da könnte ich mit der gleichen Seriosität entgegenhalten: Wo wären wir denn, wenn wir diese Maßnahmen nicht getroffen hätten? Eines steht fest: Nach unseren bisherigen Erkenntnissen ist sie ein sinnvolles Instrument. Eine abschließende Evaluierung werden wir Ende des Jahres vorstellen. Bevor wir neue Zonen ausweisen, warten wir diese Untersuchung ab.



Abendblatt: Im ersten Jahr der Videoüberwachung gab es 271 ausgelöste Einsätze, im zweiten Jahr nur noch 162. Wird da nicht mehr so genau hingeguckt?

Ahlhaus:

Natürlich nicht. Man kann bei einem so kurzen Zeitraum nicht von einer gleichbleibenden Zahl ausgehen. Die Einsatzzahlen schwanken stark, und die Videoüberwachung dient ja der Gefahrenabwehr. Wie viele Taten wir mittlerweile nur durch das Aufstellen der Kameras verhindert haben, kann man kaum feststellen. Es ist deshalb schwierig, schon nach zwei Jahren eine seriöse Tendenz aufzuzeigen.



Abendblatt: Was ist denn die Konsequenz aus den gestiegenen Kriminalitätszahlen? Noch mehr Videokameras und eine höhere Polizeipräsenz?

Ahlhaus:

Wir haben im Bereich Reeperbahn die höchste Polizeidichte Deutschlands, und die dort eingesetzten Polizisten leisten gute Arbeit. Man kann ganz St. Pauli natürlich mit Polizei vollstellen. Es ist aber die Frage, ob wir das wollen. Wir müssen einen vernünftigen Mittelweg finden. Nämlich auf der einen Seite die Attraktivität des Vergnügungsviertels durch solche Maßnahmen nicht kaputtzumachen. Und auf der anderen Seite dafür zu sorgen, dass man keine Angst zu haben braucht, Opfer einer Straftat zu werden. Diese Balance ist uns bis jetzt gut gelungen, eben mit einer Vielfalt von Maßnahmen. Und deshalb geben Sie uns bitte Zeit, bis wir die Ergebnisse unserer Evaluierung vorstellen werden.



Abendblatt: Aber am Ende steht doch auch da eine Zahl drunter: mehr oder weniger Gewalt.

Ahlhaus:

Wenn die Zahl der Straftaten steigt, heißt das aber nicht automatisch, dass die Videoüberwachung versagt hat. Vor fünf Jahren kamen noch etwa 50 000 Besucher nach St. Pauli. Heute haben wir dort Spitzenzahlen von bis zu 150 000 Besuchern, und das sind nicht alles brave Bürger. Es haben sich also die Rahmenbedingungen erheblich verändert.



Abendblatt: Woher speist sich denn Ihr Optimismus, dass ihre Untersuchung positiver ausfallen wird?

Ahlhaus:

Ich sage ja nicht, dass wir völlig andere Zahlen haben werden. Aber wenn wir die verschärften Rahmenbedingungen in Bezug zu den Maßnahmen setzen, dann kommen wir möglicherweise zu dem Ergebnis, dass die Polizei mit vielen guten Maßnahmen ein Abkippen des Stadtteils verhindert hat. Wer aber glaubt, dass man einen Stadtteil wie St. Pauli straffrei bekommen würde, lebt in einer anderen Realität. Das kann keine Polizei der Welt schaffen.



Innensenator Christoph Ahlhaus im Interview mit den Abendblatt-Redakteuren Jan-Eric Lindner und Sascha Balasko