Kiez: Bernd Metterhausen, Chef der Polizeidirektion West, im Abendblatt-Interview.
Wegen der steigenden Zahl von Körperverletzungen werden auf St. Pauli mehr Polizisten auf Streife geschickt. Die Hintergründe erläutert Bernd Metterhausen (56), der Leiter der Polizeidirektion West, in einem Interview.
ABENDBLATT: Hat die Gewaltbereitschaft unter jungen Leuten auf St. Pauli zugenommen?
BERND METTERHAUSEN: Das ist kein Thema, das nur St. Pauli betrifft, sondern ein gesellschaftspolitisches Phänomen. Wir stellen fest, daß es wegen Nichtigkeiten zu Schlägereien kommt, die dann mit Gegenständen wie Flaschen ausgetragen werden. Die Hemmschwelle ist relativ niedrig - gerade auf St. Pauli.
ABENDBLATT: Warum?
METTERHAUSEN: St. Pauli ist ein Bereich, in dem sich dies alles fokussiert, weil sich viele Menschen treffen, die sich amüsieren und auch etwas enthemmt sein wollen. Da spielen Alkohol und teilweise auch Drogen eine Rolle. Das fördert die Gewaltbereitschaft. An manchen Tagen sind hier in einer Nacht zwischen 100 000 und 150 000 Menschen unterwegs - und zwar auf einer Fläche von einem halben Quadratkilometer. Die Zahl der Gewalttätigkeiten muß man auch in Relation zu diesen Zahlen setzen.
ABENDBLATT: Was hat sich verändert?
METTERHAUSEN: Verändert haben sich zwei Dinge. Einmal die gesamte Gewaltbereitschaft in der Szene. Zweitens hat sich das Publikum auf St. Pauli verändert. St. Pauli ist heute zum Anziehungspunkt der jungen Menschen geworden. Wir rechnen, daß es hier immer 30 bis 40 Diskotheken gibt.
ABENDBLATT: Liegen die Gründe für Auseinandersetzungen auch darin, daß Anhänger unterschiedlicher Musikrichtungen oder verschiedene ethnische Gruppen aufeinander treffen?
METTERHAUSEN: Ja, natürlich. Das ist der Fall, wenn auf der einen Seite ein Lokal der einen ethnischen Gruppe liegt und auf der anderen Seite das Lokal der anderen Gruppe. Und wenn das Gruppen sind, die sich schon in ihrer Heimat nicht vertragen, dann wird es Streit geben. Da reicht die kleinste Kleinigkeit. Da braucht nur jemand ein Mädchen schief anzugucken.
ABENDBLATT: Wie reagieren Sie auf dieses Phänomen?
METTERHAUSEN: Unterschiedlich. Erstens haben wir besonders die uniformierte Präsenz am Wochenende deutlich erhöht. Da ist ein ganzer Zug Bereitschaftspolizei mit zwanzig Beamten zusätzlich unterwegs. Und wir haben auch die Davidwache verstärkt. Die Präsenzschicht, die nur an der Wache Dienst macht, ist allein mit zehn Beamten besetzt. Vergessen darf man nicht, daß durch die verstärkte Präsenz die Zahl der angezeigten Delikte steigt - und damit die Fallzahlen für den Stadtteil St. Pauli.
ABENDBLATT: Wie ist es mit den Jugendlichen, den unter 18jährigen, die in die Diskotheken wollen?
METTERHAUSEN: Der Druck wird auch beim Jugendschutz erhöht, die Kontrollen sind jetzt viel strenger geworden. Ich habe selber bei einer Kontrolle an der Großen Freiheit mehr als 50 Jugendliche erwischt. Das ist jetzt vorbei, weil sich die Betreiber erschrocken haben, denn die erhalten eine Anzeige, die bis zur Schließung des Lokals führen kann.
ABENDBLATT: Die Frage, wo Jugendliche heute hingehen können, wird auch im Internet diskutiert.
METTERHAUSEN: Richtig. Wenn Sie sich in der Jugendszene umhören, dann ist heute häufig die Frage: Wo kann man eigentlich noch hingehen? Weil man auf St. Pauli ja ständig kontrolliert wird. Die unter 18jährigen gehen nicht mehr nach St. Pauli. Die ganz jungen sind schon weg.
ABENDBLATT: Leisten die Türsteher bessere Arbeit?
METTERHAUSEN: Ja. Mit denen haben wir ja auch geredet, wie mit den Betreibern. Wer sich nicht daran hält, verliert seine Konzession. Und das ist in den vergangenen Jahren immer wieder passiert. Wir arbeiten hier eng mit dem Bezirksamt zusammen, denn es ist nicht nur ein polizeiliches Thema.
ABENDBLATT: Welche Rolle spielen Drogen?
METTERHAUSEN: Auch das ist ein Gesellschaftsproblem: Die Drogen, die auf St. Pauli in der Musikszene konsumiert werden, haben ein anderes öffentliches Ansehen als beispielsweise Heroin. Das zeigen so verharmlosende Worte wie ,Partydroge'. Und die Eltern machen sich darüber zuwenig Gedanken. Doch diese Drogen sind teilweise genauso gefährlich wie Heroin.
ABENDBLATT: Was könnte eine Videoüberwachung bringen? Wäre das auf der Reeperbahn denkbar?
METTERHAUSEN: Das ist bei den Menschenmassen auf St. Pauli schwierig, weil Einzelheiten nur schwer zu erkennen sind. Pauschal kann man daher nichts lösen. Punktuelle Videoüberwachung wäre an bestimmten Plätzen denkbar.
ABENDBLATT: Welche Plätze?
METTERHAUSEN: Da muß man erst mal die Zielrichtung einer Video-überwachung festlegen.