Hamburg. Im Bergedorfer Spiegelsaal schwebt ein feierlicher Geist: Wer die diesjährigen Preisträger sind und was sie umtreibt.
Wenn sich Worte wie Ehre und Dankbarkeit verbinden mit pulsierenden Herzen und funkelnden Augen, liegt es nicht allein am festlich beleuchteten Spiegelsaal im Bergedorfer Rathaus. „Sie alle werden gebraucht“, sagt Bezirksamtsleiterin Cornelia Schmidt-Hoffmann und schaut in die Gesichter von zehn Nominierten für den Bergedorfer Bürgerpreis: „Sie beweisen, dass jeder Einzelne einen Unterschied ausmachen kann.“
Ihr Blick gilt der Zukunft, denn im Jahr 2027 wird der 100-jährige Geburtstag des Rathauses gefeiert. Ein Ort, der Demokratie und Verantwortungsübernahme symbolisiert. Das muss nicht parteipolitisch motiviert sein: „Ich habe immer einfach nach meinem Herzen gehandelt und Empathie empfunden, wenn ich mich für Gerechtigkeit und Menschenrechte eingesetzt habe“, sagt Alper Dogan, der Mann im rosa-weiß gestreiften Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln. Und sogleich zitiert der 61-Jährige den alevitischen Gelehrten Hadschi Bektasch Wali aus dem 13. Jahrhundert: „Betrachte alle Menschen gleich.“
Bergedorfer Bürgerpreis 2024: „Sie alle werden gebraucht“
2008 gründete der aus der Türkei geflüchtete Alper Dogan das migrantische Kulturzentrum BAKM der alevitischen Gemeinde, die sich mit 230 Mitgliedern im Haus brügge trifft, wo nicht nur kräftig gefeiert wird. „Sie vermitteln junge Migranten in Jobs, Praktika und Ausbildung, helfen zudem Flüchtlingen in Containerdörfern und haben nie vergessen, wie wichtig die Integration ist, ohne die eigene Kultur zu verleugnen“, lobt Matthias Bohl den Ausgezeichneten. Der Propst im Ruhestand ist zutiefst beeindruckt von dem Mann, der sich selbst Ende der 70er-Jahre mühsam die deutsche Sprache und Staatsbürgerschaft erarbeiten musste und heute zeige, „wie das bewusste Bewahren unterschiedlicher Kulturen unsere Gesellschaft reich und vielfältig macht.“
Er sei ein sentimentaler Mensch, antwortet Alper Dogan und dreht an dem goldenen Ring, den er von seinem Vater geerbt hat. Zu gern hätte er ihm noch stolz die Urkunde gezeigt, doch im Frühjahr musste er sich von dem 87-Jährigen in Ankara verabschieden. „Die Blumen aber nehme ich für meiner Frau Natalie Nurgül mit, ohne die ich mich nicht so viel hätte einsetzen können.“
Und dann gibt es ja noch das Preisgeld, das die Bergedorfer Volksbank gemeinsam mit der Bergedorfer Zeitung für den nunmehr 24. Bürgerpreis ausgelobt hat: „Das geht an die neun Gymnasiasten und Studenten aus dem türkischen Erdbebengebiet. Das sind acht Mädchen und ein behinderter Junge, die wir mit einem Bildungsstipendium unterstützen. Monatlich bekommen sie 100 Euro“, erzählt der Preisträger, der sich stets freut, wenn die 14- bis 26-Jährigen ihn anrufen und von einem guten Zeugnis berichten.
Sönke Rieck: „Ich stehe also selten draußen und vorn“
Die zweite Hälfte des Preisgeldes, also ebenfalls 3000 Euro, darf der Reinbeker Sönke Rieck verteilen, der sich seit 40 Jahren leidenschaftlich für das DRK engagiert, als Bereitschaftsleiter, Jugendrotkreuzleiter, in der Katastrophen-Einheit und nicht zuletzt als Vize-Vorsitzender des DRK Reinbek. „Es war zunächst ein fassungsloses, ein lautes Schweigen am Telefon“, verrät Matthias Bohl, der den 53-Jährigen sogleich verständigte – aus terminlichen Gründen konnte er nicht dem Festakt im Rathaus beiwohnen.
Im Traum habe er nicht daran gedacht, in die engere Wahl zu kommen: „Ich bin ja meist mit den Jugendlichen im Keller, stehe also selten draußen und vorn. Andere sind da eher im Blickpunkt“, sagt Sönke Rieck. Genau diesen Keller möchte er jetzt mit dem Preisgeld verschönern, vielleicht ein neues Sofa und ein Whiteboard spendieren. Aber auch möge ein Teil erst zu Pfingsten 2025 ausgegeben werden: „Ich wünsche mir ein besonderes Wochenende mit unseren Jugendgruppenleitern, vielleicht wird es etwas mit Erlebnispädagogik.“
Ebenfalls aus Reinbek kommt der mit 27 Jahren der jüngste Gast, der sich vor allem um das kirchliche Zeltlager verdient machte: Paul Puhlmann schaffe es vorbildlich, so bz-Verlagsleiter Ulf Kowitz in seiner Laudatio, „einen Raum zu schaffen, in dem Kinder Verantwortung übernehmen wollen und Sozialkompetennz lernen“.
Bergedorfer Bürgerpreis: „Volle Anerkennung“ für die Oma gegen Rechts
Dass dies längst keine Selbstverständlichkeit ist, weiß auch der 87 Jahre alte Laudator Horst Rödinger: „Frauke, ich zolle dir die volle Anerkennung“, sagt er zu Frauke Ludszeweit, einer engagierten „Oma gegen Rechts“, die er schon aus Kinder- und Jugendjahren kennt. Als ihre Väter – einer taub, einer traumatisiert – aus dem Krieg zurückkamen, spielten sie zusammen Skat. „Da war noch Henry Buhck dabei, der Papa von Carsten. Und der strenge Kurt Randel vom Feinkostgeschäft an der Alten Holstenstraße“, erinnert sich die 83-jährige Lohbrüggerin, auch an dessen Sohn: „Der Peter hatte ein schlechtes Schulzeugnis und meldete sich ganz jung bei der Fremdenlegion in Algerien. Mit 22 kam er dann zurück, ohne Zähne und Haare.“
Sie sei nach dem frühen Krebstod ihrer Mutter „oft grausam einsam“ gewesen, erzählt Frauke Ludzeweit, und sie sei dankbar, dass sie es jetzt im Alter nicht sein müsse. Die Erinnerung prägt: „Früher stand mein Großvater auf, wenn es sonntagmittags klingelte, er in den Keller ging und die Flasche einer alten Dame mit Wermut füllte. Dann konnte sie eine kleine Weile ihre Einsamkeit vergessen.“
Bergedorfer Bürgerpreis: Neue Bekanntschaft geknüpft
Längst haben sich diese Zeiten verändert, doch „wie konnte das nur passieren, dass wir uns nicht längst kennengelernt haben?“, fragt Jury-Mitglied Marlis Clausen mit verwundertem Blick zu der historischen Marschlande-Expertin Simone Vollstädt (58), die dem Heimatring Ochsenwerder vorsteht: „Sie wurden mir als gewissenhafte, verlässliche und beständige Kümmerin beschrieben, die die Kultur der Region erhalten will“, so die Vorsitzende der Gemeinschaft Vier & Marschlande (GVM).
Manch eines jedoch lässt sich nicht mehr erinnern, das ahnt nur allzugenau Annegret Heberlein, die sich seit 2014 ehrenamtlich um Bergedorfer kümmert, die an Alzheimer erkrankt sind, deren Angehörigen entlastet. „Ich bin persönlich beeindruckt. Sie sind eine ganz wertvolle Bereicherung“, lobt Philipp Maschmann, der Marketingleiter der Bergedorfer Volksbank.
Gleich im Doppelpack, als „starke Macherinnen mit Zivilcourage vom Feinsten“, darf Traute Rohmann vom Bergedorfer Grundeigentümerverein begeisterte Worte finden: „Es geht um den mutigen Umgang mit rechtsradikal Denkenden. Da ist es eine tolle Idee, in der Bergedorfer Fußgängerzone das Grundgesetz zu verschenken“, wendet sie sich an Hanna Gellrich und Cornelia Springer-Fouad, die viele Akteure im „Netzwerk Bergedorf für Demokratie“ bündeln wollen.
Bergedorfer Bürgerpreis: Auch sportliches Engagement wird ausgezeichnet
Auch das ist ein sportliches Ansinnen, das viel Ausdauer erfordert: TSG-Trainer Jürgen Krempin begleitete nicht nur 400-Meter-Läufer Ingo Schultz zum EM-Gold. „Auch holten Sie 400 Hamburger Meistertitel und führten diese Sportler aufs Treppchen“, so Rohmann über den 66-Jährigen, der gerade erst den Diskuswerfer Mika Sosna nach Paris begleiten durfte, mit ihm und zwei weiteren Bergedorfer Leichtathleten unbedingt 2028 zu den Olympischen Spielen nach Los Angeles will. Da nimmt es wenig Wunder, dass er seine Ehrung sehr pragmatisch mit einem Aufruf verbindet: „Ich freue mich sehr. Und wir brauchen bitte noch private Sponsoren für unsere Trainingslager.“
Überaus sportlich nimmt seine Auszeichnung auch Jan Mentz entgegen. Der Lehrer von der Lohbrügger Grundschule am Max-Eichholz-Ring ist weit über das Klassenzimmer hinaus engagiert und baut beharrlich den 200 Meter langen BMX-Trail in Reinbek aus, wo er mit Kindern und Jugendlichen trainiert. Nachdem jedoch dort der Container aufgebrochen und beklaut wurde, ist der 44-Jährige bemüht, neue Räder und Helme anzuschaffen. Dazu kommt noch ein hehres Ziel: „Damit wir auch nach einem Regenguss fahren könnten, hätten wir gern einen pflegeleichten Asphaltplatz, also einen Pump Track wie in Neuallermöhe.“
„Bürgermeister von Boberg“ hat seinen Stadtteil im Blick
Unterdessen warte „ganz Boberg auf das neue Jugendzentrum Clippo“, meint Laudatorin Britta Buhck und hat keine Zweifel daran, dass bei der Einweihung auch Wolfgang Kamenske dabei sein wird. Der „Bürgermeister von Boberg“ kennt sich schließlich mit Baumängeln aus und engagiert sich unermüdlich im Bürgerverein, seitdem das Neubaugebiet im Jahr 2000 mit großen Startschwierigkeiten errichtet wurde: „Es ist ein Wahnsinn, was Sie hier alles aufgebaut haben.“
Das mit dem „Nominierungs-Gedöns“ sein ja eigentlich nicht so seine Sache, entgegnet der 66-Jährige vom Dorfanger. Aber: „Es geht ja um die Sichtbarmachung des Ehrenamtes. Und das hier ist ein wirklich schönes Feedback in einem feierlichen Rahmen. Und dann kommt da noch ein kurzer Satz hinterher: „Alper, du hast es wirklich verdient.“
Bergedorfer Bürgerpreis: „Wach bleiben für eine wehrhafte Demokratie“
Alle Preisträger, alle Bergedorfer, alle Menschen müssen „wach bleiben für eine wehrhafte Demokratie, die nicht nur eine Regierungsform, sondern eine Lebensform ist“, appelliert Matthias Bohl. Gerade jetzt, in verunsichernden und polarisierenden Zeiten, „brauchen wir Brückenbauer zwischen Generationen, Meinungen und verschiedenen Lebensrealitäten in unserer Gesellschaft.“
Das ahnt nicht zuletzt Natalia Girunyan, die den festlichen Abend an ihrer Harfe begleitet, etwa mit dem Lied „Somewhere in Time“ von John Barry. Die 39-Jährigre wurde in Sibirien geboren, wuchs in Russland auf und lebt seit 16 Jahren in Deutschland, während ihre Eltern in Norwegen leben: „Mein Vater stammt aus Armenien und spielt Cello. Meine Mutter ist Komponistin und spielt Orgel.“
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Allein dieser Lebenslauf beeindruckt, nicht zuletzt bz-Redakteur André Herbst, der 1999 den Bergedorfer Bürgerpreis initiiert hat: „All unsere Gäste, auch die Jury, bilden ein buntes Potpourri unserer Gesellschaft. Das möge bitte gut und noch lange so bleiben.“