Hamburg. Bürgerpreis-Kandidatin Frauke Ludszeweit aus Lohbrügge ist eine „Oma gegen rechts“, zudem ist sie Lesepatin und Kirchenhüterin.
„Wir müssten heute doch klüger sein aufgrund unserer Geschichte. Aber obwohl die AfD mit ähnlichen Parolen wirbt wie die NSDAP damals, glauben ihnen viele unserer Landsleute.“ Diese Mahnung wiederholt Frauke Ludszeweit auf allen Bergedorfer Straßen und Marktplätzen, immer wieder mit einem Protestplakat in der Hand. Mit Vehemenz setzt sie sich für Toleranz und Respekt ein.
Denn die 83-Jährige ist eine der „Omas gegen rechts“, die zuletzt vor den Bezirkswahlen alle Bergedorfer, Reinbeker, Glinder und Wentorfer dazu aufgefordert hatte, demokratisch, antifaschistisch und antirassistisch zu wählen. „Aber wir hätten mehr in Neuallermöhe sein sollen“, sagt sie angesichts der vielen AfD-Stimmen (23,2 Prozent) in diesem Stadtteil. Doch: „Wir dürfen nicht aufgeben.“ Und genau deshalb ist sie als Kandidatin für den 24. Bürgerpreis Bergedorf vorgeschlagen worden, den die Bergedorfer Zeitung zusammen mit der Volksbank Bergedorf auslobt.
Bürgerpreis Bergedorf: Diese „Oma“ kämpft für Demokratie und Toleranz
Frauke Ludszeweit bringt im Haus der Kulturen jungen Afghanen Deutsch bei, ist seit drei Jahren Lesepatin eines ghanaischen Mädchens in der Lohbrügger Stadtteilschule, bastelt und spielt mit Flüchtlingskindern in der Unterkunft am Bünt – und weil das alles so gut zusammenpasst, hütet sie auch manchmal die Lohbrügger Erlöserkirche, wo sie Besuchern die Tür aufhält. „Das sind schon viele Ehrenämter, die zehren“, meint die zweifache Mutter und Großmutter.
Aber sie muss einfach etwas Konkretes tun, gegen die Dummen und gegen diesen Rechtsruck: „Hitler hat vor allen Dingen die Juden deportiert, die AfD will die Remigration der Geflüchteten. Und nicht nur die, sonderen auch deren Kinder, die hier geboren sind, einen deutschen Pass haben und unsere Sprache sprechen“, sagt sie entrüstet: „Die AfD will uns so wie Hitler weismachen, dass die Deutschen eine besondere Rasse sind, obwohl wir für unsere Geburt von deutschen Eltern in Deutschland absolut nichts getan haben: Es ist reiner Zufall.“
Sie wohnt in der Straße, in der sie aufgewachsen ist
Wohl aber kein Zufall ist es, dass die Seniorin genau in der Straße wohnt, in der sie aufgewachsen ist. Damals hieß der Binnenfeldredder noch Dorfstraße. „Uns gegenüber, da wo die Schulen sind, war noch eine große Kuhweide“, erzählt die 83-Jährige aus ihrer Vita. Denn auf dieser Wiese zelteten einst englische Alliierte. „Als es nass und kalt wurde, zogen 16 Leute in unser Wohn- und Kinderzimmer. So blieb Mutter nur das kleine Schlafzimmer und gab meinem jüngeren Bruder und mir manchmal Schlaftabletten, weil es so laut war.“ Dass sie von Schokolade und Spiegeleiern abgegeben haben, erinnern die Kinder. Dass sie Silberbesteck und den Fotoapparat klauten, erinnern die Erwachsenen.
„Zum Glück hatten meine Großeltern am Lohbrügger Markt ein Lebensmittel- und Viehfuttergeschäft“, erzählt Ludszeweit. Und weiß doch, dass ihr Opa „nie geklebt hatte und deshalb noch mit 70 Jahren Kohle schleppen musste“. Alle setzten also Hoffnung auf den Unteroffizier, der 1947 aus dänischer Kriegsgefangenschaft kam. Doch mit den Worten „du bist nicht mein Vater, so dreckig war der nie“ wurde er von seiner sechsjährigen Tochter begrüßt. Aber nicht nur deshalb lächelte er nie mehr, der Mann war traumatisiert „und sprach kein einziges Wort über den Krieg“.
Hilfe bei der Wohnungssuche von Rudolf Glunz
Plötzlich musste die Lohbrügger Familie wegen Eigenbedarf ausziehen, aber wohin? „Zum Glück war mein Vater mit Rudolf Glunz befreundet, mit dem er Fußball spielte. Und als der gegenüber vom Bergedorfer Bahnhof neu baute, bettelte mein Vater ihn an, doch bitte das Dachgeschoss auszubauen“, erzählt Ludszeweit und erinnert sich, dass morgens um 4 Uhr sehr laut die Dampflok vorbeizog. Ihre Mutter musste hochgetragen werden, da ihr ein Bein amputiert worden war: „Sie kam nie wieder herunter, mit nur 39 Jahren starb sie 1954 an Knochenkrebs. Sie hatte kein Leben.“
Nur einen Tag nach der Beerdigung sagte eine Lehrerin von Luisen-Gymnasium, die junge Frauke müsse nun daheim im Haushalt helfen. „Aber ich bin trotzdem einfach weiter hingegangen, bis ich nach der zehnten Klasse zur Frauenfachschule wechselte“, sagt die Seniorin und grinst noch heute schelmisch.
Als Au-pair nach Spanien und Schottland
Dabei war es für den alleinerziehenden Vater wirklich nicht leicht, denn der ehemalige Bankangestellte konnte nicht zurück in die ausgebombte deutsche Bank. Also half er in der Gärtnerei Elberling am Brookdeich seinen Eltern. Damit es weiterhin Kindergeld gab, schickte er seine 17-Jährige für ein Jahr als Au-pair-Mädchen ins schottische Glasgow: „Da gab es Hakenkreuze in der Schule. Und ein Busfahrer warf mich raus, weil ich Deutsche war.“
Es folgten zwei Jahre an der Höheren Handelsschule an der Wentorfer Straße, danach wollte Frauke Ludszeweit Auslandskorrespondentin werden. „Doch die 1000 Mark für die Ausbildung hatte Vater nicht. So ging ich für ein Jahr als Au-pair nach Mallorca und lernte die Franco-Diktatur kennen.“
Königin Elisabeth kam 1965 in die Hansestadt
Zurück in Hamburg, arbeitete sie bei einem Im-und Export im Chilehaus, wo sie Ende Mai 1965 sehr aufgeregt am Fenster stand: „Ich habe aus dem sechsten Stock der Königin Elisabeth gewunken.“ Weniger begeistert war sie indes, als der Chef zudringlich wurde, sie mit den Worten „Sie bekommen doch keinen mehr ab“ auf seinen Schoß ziehen wollte. Das war zuviel für die resolute Frauke, die heimlich doch schon mit Dieter verlobt war.
Den feschen Dieter hatte sie bei einem Tanzabend des Jugendkreises in St. Petri und Pauli kennengelernt: „Er war als Elfjähriger aus Ostpreußen geflüchtet und wartete sechs Wochen lang an der Küste, bis es hieß, er bekäme keinen Platz mehr auf der Gustloff.“ Der Junge hatte Glück, denn das Schiff wurde vor der Küste Pommerns von dem sowjetischen U-Boot torpediert. Bei der Versenkung kamen Tausende Menschen ums Leben.
„Körber war egoisisch, überheblich und verachtend“
Mit der Hochzeit begann ein neues Leben, in einem Zimmer am Mohnhof. Dieter studierte Maschinenbau und sollte die nächsten 40 Jahre lang als Ingenieur für die Hauni arbeiten, dort zum Beispiel eine Vorrichtung zum Bilden eines fortlaufenden Tabakstranges erfinden. „Er war ein genialer Geist und schaffte es auf locker 200 Patente. Aber er hatte auch eine Sozialphobie und konnte vor dem vollen Kühlschrank verhungern“, erzählt die Bürgerpreis-Kandidatin.
In jener Zeit lernte sie auch den Großindustriellen Kurt Körber kennen, wenn auch „von der schlechten Seite, denn der Mann war egoisisch, überheblich und verachtend.“ So etwa, als er für drei Tage die Hamburger Oper mietete, die Mitarbeiter einlud und zu deren Frauen bloß gesagt haben soll: „Danke, dass sie ihren Männer das Frühstück bereiten und die Hemden bügeln.“ Zu der Zeit zählten längst auch Frauen zur Belegschaft.
Mit einem Dreizeiler im Bergedorfer Rathaus beworben
„Ihr Mann verdient doch bei der Hauni genug Geld für vier Personen.“ Mit diesem Satz habe ein städtischer Kindergarten die Aufnahme ihrer beiden Kinder abgelehnt. „Da habe ich kurzerhand eine private Kita an der Habermannstraße gegründet. Reihum hat dann eben eine von uns befreundeten Müttern als Tagesmutter gearbeitet.“ So konnte Frauke Ludszeweit halbtags im Sekretariat des Billstedter Gymnasiums arbeiten – bis sie auf Hans Harten traf, den sie noch aus dem kirchlichen Jugendkreis kannte. Er war inzwischen bei der Bergedorfer Verwaltung und sagte: „Schreib bloß einen Dreizeiler, dann kommst du zu uns.“ So kam es, dass Frauke Ludszeweit mehr als zehn Jahre für die Reinigung aller Bergedorfer Schulen und öffentlichen Gebäude zuständig war. „Und zusätzlich habe ich mich in die Bauerhaltung reingefuchst.“
Der Rest ist schnell erzählt: Rente, erwachsene Kinder und ein geliebter Mann, der 2013 starb. „Da musste ich mir eine neue Aufgabe suchen“, sagt die Lohbrüggerin. Jährlich am 8. Mai ist sie dabei, wenn ein Rundgang zu den Bergedorfer Stolpersteinen führt. „Nie wieder Krieg“ ist die Parole zur Erinnerung. Denn noch immer sei sie entsetzt darüber, „dass ich erst 13 Jahre nach dem Krieg von der Existenz des Konzentrationslagers Neuengamme erfahren habe“.
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Seit 2020 nun, als Bergedorfs „Omas gegen rechts“ auch gegen Querdenker demonstrierten, heute ebenso gegen den Krieg in der Ukraine, ist Frauke Ludszeweit aktiv dabei – und das nimmt noch lange kein Ende: Beim Wutzrock-Festival gab es ebenso einen Infostand wie beim Schwarzenbeker Rock gegen rechts am 14. September oder beim Reinbeker Kamingespräch am 9. Oktober. Und übrigens sind auch neue Gesichter willkommen: Die Omas treffen sich an jedem letzten Mittwoch im Monat um 17 Uhr im Haus brügge an der Leuschnerstraße 76.