Bergedorf. Zwei Frauen bündeln in Bergedorf Ideen für ein solidarisches und weltoffenes Miteinander. Sie sind nun für den Bürgerpreis nominiert.
Diesen Gedanken, dass die Gesellschaft „nicht weiter nach rechts abdriften darf“, hatte sie schon länger. Als dann das Medienhaus Correktiv im Januar 2024 das geheime Treffen von Rechtsextremisten in Potsdam aufdeckte, brachte dies „das Fass zum Überlaufen“, sagt Hanna Gellrich, die beim Bergedorfer Verein Sprungbrett in der Geschäftsleitung arbeitet – und sich fortan in ihrer Freizeit ehrenamtlich engagieren wollte: Mit Cornelia Springer-Fouad fand sie eine Mitstreiterin für die Idee, in Bergedorf ein Netzwerk für Demokratie aufzubauen. Die Geschäftsführerin der Bergedorf-Bille-Stiftung war sofort tatkräftig dabei: „Manchen Leuten war das Thema einfach zu heiß und zu politisch, aber es darf sich nicht jeder einfach bloß raushalten.“
Und weil das Netzwerk mit seinem Motto „Bergedorf blüht für Demokratie!“ inzwischen sehr erfolgreich und bekannt ist (immerhin sind seit Februar schon 250 Namen im Mailverteiler), sind die beiden als Kandidatinnen für den Bergedorfer Bürgerpreis vorgeschlagen. Er wird am 16. Oktober im Rathaus vergeben: Bergedorfer Zeitung und die Volksbank Bergedorf geben insgesamt 6000 Euro an Menschen, die unserer Gesellschaft guttun.
Für ein solidarisches und weltoffenes Miteinander
Die Idee ist, dass sich alle Akteure in Bergedorf vernetzen und ihre Ideen bündeln. Und möglichst so neutral, dass viele mitmachen können, also auch die Stiftungen mit ihren jeweiligen Satzungszwecken. „Wir sind ein Bündnis von Aktiven, die sich gemeinsam für ein solidarisches und weltoffenes Miteinander einsetzen. Ob Sie Initiativen, Vereine oder Stiftungen repräsentieren, aus Verwaltung oder Politik kommen oder einfach als Privatperson dabei sein wollen – alle sind herzlich willkommen“, heißt es.
„Vielleicht sind wir deshalb manchen Leuten nicht prägnant und radikal genug. Aber wir sind nun mal keine politische Partei, sondern wollen einfach eine breite Basis für die Demokratie finden“, erläutert Cornelia Springer-Fouad. Es möge auch keine Konkurrenz für das Bergedorfer Bündnis gegen Rechts sein, betont Hanna Gellrich: „Die arbeiten punktueller und mit der Antifa auch aggressiver. Wir aber wollen ausdrücklich nicht gegen, sondern für etwas sein, eben für Demokratie.“
„Wir wollen für etwas sein“
Das Ziel der Bewegung sei deutlich: „Wir suchen die Masse von Leuten, die auf dem Weg sind, sich zu verirren, sich zur AfD zu verlaufen. Mit denen würden wir gern in den Dialog gehen“, so Springer-Fouad, die vor allem die Jugend ansprechen möchte: „Die Jugendlichen fallen auf den TikTok-Populismus der AfD mit ihren schnellen und coolen Videos herein.“ So zeigten es auch die jüngsten Wahlen.
Und so gehen sie nun durch das Sachsentor, auf den Lohbrügger Markt, auf den Fleetplatz in Neuallermöhe, verteilen dort etwa das Grundgesetz („Bücher verschenken geht immer“) und Blumensamen, dazu bislang 2500 Buttons, 4000 Postkarten und 5000 Aufkleber. Oder auch kleine Plaketten mit ihrem Logo, die in Blumenbeeten stecken können. Wichtig sei der Wiedererkennungswert: „Wir sind mehr als ihr“, soll sehr deutlich und möglichst überall in Bergedorf sichtbar sein.
Von Andalusien nach Barmbek
Man wolle da sein, wo die Menschen sind: Ob Straßenfest, Flohmarkt, Konzert oder Lesung in Bergedorf – im Newsletter kann jedermann seine Bildungsveranstaltung ankündigen und auf den Zusammenschluss hinweisen. Es gehe darum, Haltung zu zeigen und Verantwortung zu übernehmen. „Und wir wollen ein Bewusstsein schaffen für den mutigen Umgang mit Menschen, die rechtsradikal denken. Dafür müssen auch Argumente geübt werden und angemessene Reaktionen“, fand Hanna Gellrich heraus.
Eine erste Idee von Solidarität lernte sie bereits in der GSB-Klasse kennen, denn die heute 47-Jährige ist in Bergedorf aufgewachsen. Nach der Gesamtschule ging sie acht Jahre lang nach Spanien, baute einen Reitstall auf und bot Wanderritte durch Andalusien an. Dann aber kam die studierte Sozialpädagogin zurück nach Hamburg, begann 2016 bei Sprungbrett in Neuallermöhe – und pendelt heute täglich von Barmbek in den Bezirk Bergedorf. Da sie als Teilzeitkraft arbeitet, bleibt auch genügend Zeit, um sich gemeinsam mit ihrem Mann aufs Tandem zu schwingen: „Wir lieben die Natur.“
Demokratie durch die Blume
Für das neue Netzwerk sei die To-do-Liste noch immer lang, müsse vor allem stets eine Finanzierung gefunden werden für die Graswurzel-Idee: Welche Druckerei hilft bei günstigen Flyern? Welcher Verfügungsfonds könnte unterstützen, um etwa Stromkästen zu bemalen? Welche Stiftung entlohnt einen Referenten, finanziert einen Workshop? Gellrich: „Manchmal ist es etwas zäh. Aber dann sind wir wieder froh, wenn wir etwas anstoßen konnten und vielleicht Bergedorfer Betriebe unsere Aufkleber an die Fenster pappen.“
Natürlich sei „noch irre viel zu tun“, um die Sichtbarkeit des Netzwerkes zu erhöhen. Aber auch die Wirtschaftliche Vereinigung in Bergedorf wolle bald mitmachen, ebenso das BID Lohbrügge: „Es könnte hübsche Blumenkübel geben. Auch der Hafenverein betreut Blumenbeete am Serrahn und könnte Schilder aufstellen. Es geht schließlich um Demokratie durch die Blume“, betonen die beiden Organisatorinnen, die inzwischen bis zu 20 Stunden pro Woche ehrenamtlich arbeiten, „damit Bergedorf bunt und vielfältig bleibt“ – und lachend mit den Schultern zucken: „Ein bisschen Idealismus gehört halt dazu.“
Erfahrungen aus Bayreuth, Japan und Südkorea
Auch bei ihren Arbeitgebern sickert diese Haltung bald schriftlich durch: „Wir überarbeiten gerade die Satzung, damit die Bergedorf-Bille-Stiftung keine Menschen mit extremistischen Gedanken fördert. Das haben wir bislang verpennt, doch es ist unsere Aufgabe, wachsamer zu sein, damit der eigene Laden nicht unterwandert werden kann“, mahnt Cornelia Springer-Fouad. Die 41-Jährige, die in Nürnberg aufgewachsen ist, studierte in Bayreuth Interkulturelle Germanistik, Soziologie und Romanistik. Anschließend arbeitete sie unter anderem in Japan und Südkorea, bevor es an die Hamburger Universität ging: „Da war ich sechs Jahre lang wissenschaftliche Mitarbeiterin für die Engagementförderung und Rassismuskritik. Es ging vielfach um rechtsextremistische Prävention.“
Die Anfrage, bei der Bergedorf-Bille-Stiftung zu arbeiten, erwischte sie tatsächlich in der argentinischen Sonne: „Ich war gerade ein Jahr lang auf Weltreise und bekam die Nachricht in Buenos Aires.“ Mit ihrem Mann zog sie im Juni 2023 kurzerhand nach Lohbrügge und gründete in Bergedorf eine Wandergruppe. Dass sie dafür Zeit findet, ist schon erstaunlich, schließlich ist die 41-Jährige auch im Aktivoli-Netzwerk engagiert, beim Lohbrügger Stadtteilverein und im Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE).
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Aber pausieren ist einfach keine Option, wissen die beiden Frauen, die regelmäßig ihre Homepage www.netzwerk-bergedorf.de aktualisieren, dazu auf Instagram und Facebook präsent sind: „Wir brauchen einen langen, optimistischen Atem“, sagt Hanna Gellrich: „Ich glaube an Veränderung, denn das weiche Wasser bricht den Stein.“