Hamburg. Alper Dogan flüchtete mit 16 Jahren aus der Türkei und erlebte in Deutschland Ausgrenzung – bis er nach Lohbrügge kam.
Mit dem türkischen Machthaber Erdogan und seinen Wählern geht Alper Dogan hart ins Gericht – aber auch mit Bergedorfs SPD-Politikern und „dem merkwürdig leichtfertigen Umgang vieler Deutscher mit der Zukunft ihrer eigenen Demokratie“. Der 62-jährige Neuallermöher kennt als gebürtiger Türke mit deutschem Pass beide Welten, hat politische Verfolgung, Flucht aus seiner alten Heimat erlebt – aber auch Diskriminierung und Armut in Deutschland.
Genau deshalb ist er zum Motor der Integration in Bergedorf geworden: „Ich habe selbst erlebt, wie wichtig es für Geflüchtete ist, auch in der neuen Heimat die eigene Identität zu behalten. Reagieren Menschen wie Politiker hier aber mit Diskriminierung, Ausgrenzung und mit dem Ruf nach Grenzschließung, ist das auch für Deutschland gefährlich.“
Nominiert für Bürgerpreis: Alper Dogan, ein Bergedorfer Motor der Integration
Denn erst so werde Raum für Parallelgesellschaften geschaffen, im schlimmsten Fall sogar Sympathisanten des Islamischen Staats oder der rechtsradikalen Grauen Wölfe. Soll Integration gelingen, sind beide Seiten gefordert, ist Alper Dogan überzeugt: „Es geht um die Frage, wie die gemeinsame Zukunft aussehen kann. Und um ehrliche Antworten darauf von beiden Seiten, einschließlich der offenen Ansprache der Ängste auf beiden Seiten vor den jeweils Fremden.“
Dass sowas geht und wie es funktioniert, zeigt die alevitische Gemeinde Bergedorf und ihr 2008 von Alper Dogan und einem kleinen Kreis Gleichgesinnter gegründetes Kulturzentrum BAKM. Dogan war bis 2022 Vorsitzender und ist hier bis heute vielseitig aktiv. Ein Engagement, für das er jetzt als Kandidat für den Bergedorfer Bürgerpreis nominiert wurde.
Bergedorfer Bürgerpreis ist mit 6000 Euro dotiert
Die mit 6000 Euro dotierte Auszeichnung wird von unserer Zeitung und der Bergedorfer Volksbank ausgelobt und am 16. Oktober im Spiegelsaal des Rathauses übergeben. Die Entscheidung über den oder die Preisträger trifft eine unabhängige Jury.
Alper Dogan und „sein“ BAKM haben immer wieder aufhorchen lassen durch ihren Einsatz für Demokratie, Freiheit und Gleichberechtigung in der Türkei. Unter anderem finanzierten sie 2021 den vom Erdogan-Regime boykottierten türkischen Film „Hakikat“ mit, der historisch fundiert das offiziell propagierte Heldenbild der Osmanen infrage stellt. Auch werde die Frauenbewegung unterstützt, ebenso die Waisenkinder nach dem Erdbeben von 2023. Und zudem wurden mit dem Projekt Mi4Mi in Bergedorf zahlreiche Migranten in Jobs, Ausbildung und Praktika gebracht.
VfL Lohbrügge war in den 90er-Jahren Motor für Alper Dogans eigene Integration
Doch auch die alltägliche Integrationsarbeit am Vereinssitz im Haus „brügge“ an der Leuschnerstraße 86 in Lohbrügge beeindruckt. So gibt es hier Gesprächskreise, Musik- und Tanzangebote, Lesungen, große Feste und vieles mehr, die grundsätzlich jedem Gast offen stehen und längst Gäste aus allen Kulturen zusammenbringen. „230 Mitglieder zählt der BAKM heute, darauf bin ich schon ziemlich stolz“, sagt Alper Dogan, der sich auch nur deshalb aus der ersten Reihe zurückgezogen hat, „weil ich mir als dreifacher Opa einfach mehr Zeit für meine Enkelkinder nehmen wollte“.
Tatsächlich war es der Nachwuchs, der ihm einst erst das jetzt so wichtige weite Feld der Integrationsarbeit eröffnet hatte. „Das begann 1992, als ich mich in der Fußballsparte des VfL Lohbrügge als Kinder- und Jugendtrainer engagierte, weil meine beiden damals kleinen Jungs da eingetreten waren.“ Damit öffneten sich dem jungen Vater erstmals Kontakte zu den Deutschen auf Augenhöhe, es entstanden sogar Freundschaften, von denen viele bis heute gehalten haben. Vorher hatte er vor allem Diskriminierung und Behördenschikanen erlebt, war er doch ohne wesentliche Deutschkenntnisse mit 16 Jahren als Sohn eines inhaftierten Lehrers aus der Türkei geflohen.
Als Jugendlicher aus der Türkei geflohen, doch deutsche Behörden verweigern Arbeitserlaubnis
Als in der neuen Heimat auch noch sein Personalausweis ablief, tauchte er länger unter, um bei er Verlängerung im Konsulat nicht festgesetzt und von hier als „Vaterlandsverräter“ nach Hause direkt in den Militärdienst geschickt zu werden. Der Traum vom Soziologie-Studium scheiterte, weil die 600 Mark pro Monat für einen Deutschkursus unbezahlbar waren. Um überleben zu können, arbeitete er illegal. Selbst als er seine Frau Natalie Nurgül heiratete und eine offizielle Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland erhielt, folgten noch weitere fünf Jahre, in denen er keine Arbeitsgenehmigung bekam.
„Ich habe wirklich alles erlebt, bis mir der VfL Lohbrügge und die Menschen hier gezeigt haben, dass Integration doch eigentlich ganz einfach funktionieren kann“, sagt Alper Dogan. „Dafür bin ich sehr dankbar und habe versucht, dass nicht nur ich eine so positive Erfahrung machen durfte.“ So sei letztlich auch der BAKM entstanden, der sich in der Flüchtlingskrise von 2015 in den vielen Bergedorfer Containerdörfern und ganz besonders im ehemaligen Max Bahr für die Syrer engagiert habe. „Und jetzt natürlich für die Ukrainer.“
„Gescheiterte Integration ist Ursache der Popularität Erdogans bei den Deutsch-Türken“
Während sie alle vor Krieg und den Übergriffen von Diktatoren oder Autokraten wie dem syrischen Herrscher Assad und Russlands Putin geflohen sind, wundert sich Alper Dogan über seine eigenen Landsleute. „Sie haben es tatsächlich fertiggebracht, im Mai 2023 einen islamistisch-fundamentalistischen Herrscher wiederzuwählen. Offenbar sind Wirtschaftskrise und staatliche Unterdrückung in der Türkei noch nicht schlimm genug.“
Dass Erdogan aber auch bei den in Deutschland lebenden Türken eine Mehrheit erzielte, liegt laut Alper Dogan an der hier bis heute weitgehend gescheiterten Integration: „Einerseits haben sich die Menschen daran gewöhnt, auch in der dritten Generation seit der Ankunft der ersten Gastarbeiter in den 60er-Jahren nebeneinander statt miteinander zu leben. Andererseits tun aber auch die Politiker zu wenig, vor allem lassen sie türkischen Moscheen unter dem Einfluss der Türkisch-Islamischen Union Ditib“, die nichts anderes sei, als Erdogans verlängerter Arm. „Wenn die Ditib die Fahrten zur Wahl ins türkische Konsulat organisiert, wählen die meisten auch Erdogan.“
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Allerdings wundert sich Alper Dogan nicht nur über die Untätigkeit der Bundesregierung. Auch Bergedorfs Politiker ließen, ganz unabhängig von Einfluss der Ditib auf die hiesige Moschee, jede Gelegenheit aus, sich die Sorgen und Meinungen der hiesigen Türken überhaupt anzuhören: „Warum hat kein einiger SPD-Bürgerschaftsabgeordneter sein Bürgerbüro in Neuallermöhe oder Lohbrügge? Und warum sind die Infostände immer auf den Wochenmärkten und nicht etwa vor Discountern wie Aldi oder Lidl?“
Sein Fazit: „Selbst die SPD macht in Bergedorf nur Politik für den Mittelstand. Wer zu wenig Geld hat, um auf dem Wochenmarkt einzukaufen, wird nicht aktiv aufgesucht. So bleiben die Defizite der Integration im Alltag auch unseres Bezirks weitgehend ungehört.“