Hamburg. Bergedorfer Bürgerpreis: Leichtathletik als Schule des Lebens – Jürgen Krempin engagiert sich seit Jahrzehnten für seinen Sport.
Cool sieht er aus. Mit dem Motorroller ist Jürgen Krempin zum Billtalstadion gepest. Nun steht der 66-Jährige hinter der Balustrade und schaut den Leichtathleten der TSG Bergedorf beim Training zu, macht einen Scherz über die Sonnenbrille, die ihn gegen das gleißende Licht schützt und ach so cool wirken lässt. „Jürgen ist jemand, der gerne rumblödelt und so eine gewisse Lockerheit reinbringt“, sagt der frühere 400-Meter-Europameister Ingo Schultz.
Diese Lockerheit war ihr Erfolgsgeheimnis. Mit Krempin als Trainer wurde Schultz vom Hobby-Marathonläufer zum Olympiateilnehmer in Athen 2004. Eine Sensation. Seit Jahrzehnten engagiert sich Krempin ehrenamtlich in der Leichtathletik. Die von ihm betreuten Aktiven haben rund 400 Hamburger Meistertitel geholt, Siege auf nationaler und internationaler Ebene gefeiert. Eine Erfolgsgeschichte, die ihresgleichen sucht.
Jürgen Krempin – Auf der Suche nach den Bergedorfer Sportidolen von morgen
Jürgen Krempin ist unser erster Kandidat für den 24. Bergedorfer Bürgerpreis, der gemeinsam von Volksbank Bergedorf und Bergedorfer Zeitung vergeben wird und mit 6000 Euro dotiert ist. Elf Kandidaten aus zehn Initiativen sind nominiert, die wir bis zur Jurysitzung am 13. September in unregelmäßiger Folge vorstellen werden. Sie stehen stellvertretend für die große Bandbreite des Engagements in unserer Region. Die Preisvergabe wird dann am 16. Oktober im Spiegelsaal des Rathauses vorgenommen.
„Ich arbeite rund 20 Stunden pro Woche ehrenamtlich für die Leichtathletik“, schildert Jürgen Krempin. „Ich bekomme kein Übungsleiter-Geld. Ich mache das aus Freude daran, den jungen Leuten etwas beizubringen. Das ist für mich wie ein Jungbrunnen.“ So schreibt er Trainingspläne, ist Ansprechpartner für alle Probleme und bei so gut wie jedem Training da. Selbst für die Abnahme des Sportabzeichens von Breitensportlern steht deutsche „Trainer des Jahres 2002“ bereit. „Zurück zu den Wurzeln“, nennt er das.
Mit dem TopTeam lockt Jürgen Krempin Spitzenathleten zur TSG Bergedorf
Es ist ein schwüler Sommerabend im Billtalstadion. Die Siegerin des Bergedorfer Citylaufs, Justyna Kwiatkowska, stürmt mit hochrotem Kopf um die Tartanbahn. Intervalltraining bei 30 Grad, nichts für Hobbyläufer, aber die 37-Jährige weiß, was sie tut. Dass eine Spitzenathletin wie sie für die TSG Bergedorf startet, ist dem von Jürgen Krempin gegründeten TopTeam der TSG Bergedorf zu verdanken. Mit diesem Pool an Leistungssportlern ist er nun auf der Suche nach den Bergedorfer Sportidolen von morgen.
Warum das alles? Die Sache hat einen ernsten Hintergrund: 15 Prozent der Jugendlichen in Deutschland haben Übergewicht. Viele von ihnen wachsen praktisch ohne Sport auf. Unter Teenagern gilt der Leistungsgedanke oft als uncool. „Kinder und Jugendliche brauchen sportlich positive Vorbilder“, ist Krempin überzeugt, „sonst sitzen alle nur noch vor der Playstation. Das ist keine gesunde Art, erwachsen zu werden.“ Mit seiner Frau Brigitta hat er vier Kinder großgezogen, die allesamt sportbegeistert sind.
Nach 20 Jahren hat die TSG Bergedorf wieder einen Olympiateilnehmer
Es braucht also Idole. Typen wie Mika Sosna. Der 21-Jährige gehört auch zum TopTeam, gilt als größtes deutsches Talent im Diskuswerfen und startet bei den Olympischen Spielen in Paris. Sosna ist der erste Sportler der TSG Bergedorf seit 20 Jahren, seit Ingo Schultz, der es zu Olympia geschafft hat. Auf Facebook kursiert ein Video, wie Sosna im Training 75 Kilogramm stemmt – mit einem Arm! So etwas fasziniert die Jugendlichen an den Schulen.
Doch solche Talente zu finden, ist schwer, sie im Verein zu halten, noch schwerer. „Irgendwann kommt für jeden Nachwuchs-Sportler der Moment, an dem er Miete zahlen muss“, hat es Frank Busemann, Silbermedaillen-Gewinner im Zehnkampf bei den Olympischen Spielen von Atlanta 1996, einmal beschrieben. Spätestens beim Einstieg ins Berufsleben wird es schwierig, das Leben nach dem Sport auszurichten. Krempin geht daher Klinken putzen, sammelt Gelder bei privaten Gönnern, um die TSG-Talente zu unterstützen.
Trainingslager in Portugal: „Erlebnisse, die man sein ganzes Leben lang behält“
Die Jüngsten im TopTeam sind gerade mal 15 Jahre alt. Sie profitieren von den Erfahrungen der Älteren wie Kwiatkowska. Und von der Arbeit Krempins. „Wir waren im Trainingslager in Portugal“, erzählt er. „Für einige in der Gruppe war es das erste Mal, dass sie in einer Gemeinschaft weggefahren sind. Das ist doch was! Das sind Erlebnisse, die behält man sein Leben lang.“
Eine Zeit lang trainierten die TSG-Leichtathleten auch gleichzeitig mit einer Gruppe von Sportlerinnen und Sportlern mit Down-Syndrom. „Für die war es immer das Größte, wenn sie gegen uns laufen durften“, schwärmt Krempin. Im Sport gelingt Integration oft leichter als in anderen Bereichen der Gesellschaft.
„Ich will die Leichtathletik in Bergedorf ganz groß aufziehen“
Auch deshalb hat sich Jürgen Krempin dazu entschlossen, einen großen Teil seiner Zeit der Leichtathletik zu widmen, als er Anfang des Jahres in Rente ging. „Ich will die Leichtathletik in Bergedorf ganz groß aufziehen“, blickt er voraus. „Ich habe schon Anfragen von Sportlern aus ganz Deutschland, die zu uns kommen wollen.“ Die Gründung des TopTeams war da nur die logische Konsequenz.
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Aus seiner Zeit bei der Hamburger Berufsfeuerwehr ist es Krempin gewohnt, Projekte voranzutreiben und Entscheidungen zu treffen. So saß er als deutscher Vertreter im Ostseerat für Katastrophenschutz. „Da ging es zum Beispiel um Fragen, wie die Ukraine unterstützt werden kann“, sagt er.
Vom Freizeitsportler bis zur Weltklasse trainieren in Bergedorf alle gemeinsam
Diese Lebenserfahrung hilft ihm nun. „Bei uns trainieren alle gemeinsam, vom Freizeitsportler bis zur Weltklasse“, erläutert er sein Grundprinzip. Das galt früher selbst für einen Olympiastarter wie Ingo Schultz. „Mir hat das immer gefallen“, erinnert sich der heute 48-Jährige. „Andere, die sehr gut wurden, haben dann mit niemandem mehr geredet, der nicht ihr Niveau hatte. So etwas hätte es bei der TSG Bergedorf unter Jürgen Krempin nie gegeben.“