Hagen. Gläubiger entscheiden in Kürze über Zukunft der Hagener Modehauskette und 1500 Jobs. Mitarbeiter trauen Peek&Cloppenburg-Angebot nicht.
Mehr als 1500 Beschäftigte arbeiten bei der Hagener Modehauskette Sinn. Beinahe alle sind sich einig: Eine Übernahme durch den Mitbewerber Peek & Cloppenburg lehnen sie ab. Vielmehr stärken die meisten der bisherigen Inhaberin, Isabella Goebel, den Rücken. „Da wissen wir, was wir haben“, sagt der Betriebsratsvorsitzende. Als Bekenntnis zum Unternehmen und der Inhaberin habe man im November eine Vereinbarung getroffen, bis Mitte 2025 auf Anteile vom Urlaubs- und Weihnachtsgeld zu verzichten. „Das gilt aber nur, wenn Isabella Goebel Inhaberin bleibt“, sagt der Betriebsratsvorsitzende. Vor ihm liegt nun ein Stapel Blätter. Eine Petition, Unterschriften von rund 95 Prozent der Beschäftigten, die sich dafür aussprechen, dass das Traditionsunternehmen in den Händen von Goebel bleibt, gesammelt im Januar - ein zweites klares Bekenntnis zur Person.
Die jüngste Sinn-Insolvenz und was bisher geschah
- Alle Jahre wieder Insolvenz
- Im September herrschte noch Optimismus bei Sinn
- Der große Streit über den Weg in die Zukunft von Sinn
- P&C greift nach dem Mitbewerber Sinn
Gerichtet ist diese Petition an die Bundesagentur für Arbeit, die der größte Gläubiger im Insolvenzverfahren ist. Entsprechend viel Gewicht wird die Stimme der Bundesagentur haben, wenn es um die Zukunft des Unternehmens geht.
Sinn hatte am 6. August beim zuständigen Amtsgericht Hagen einen Antrag auf ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung gestellt. Dies ist möglich, wenn ein Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten steckt, aber noch nicht zahlungsunfähig ist und an eine Zukunft glaubt, wenn es sich von Kosten befreit hat.
So war der Plan - tatsächlich nicht zum ersten Mal. Seit 2008 hat es bei der Modehauskette viermal ein Insolvenzverfahren gegeben. Damals hieß das Unternehmen noch SinnLeffers. Erst mit der Insolvenz 2016 blieb allein der Name Sinn. 2020 befreite sich die Modehauskette durch ein Schutzschirmverfahren zu Coronazeiten noch einmal von hohen Mieten und stellte sich neu auf, damals noch mit Friedrich-Wilhelm Göbel als Geschäftsführer, dem Ex-Mann von Isabella Goebel.
Die Gründe für die Insolvenz
Dass im August vergangenen Jahres schon wieder der Weg zum Insolvenzgericht gesucht werden musste, führte die damalige Geschäftsführung mit Isabella Goebel und dem Branchenfachmann Thomas Wanke (u.a. Kaufhof) auf eine Verkettung unglücklicher Umstände zurück. Ein Faktor seien nachhängende Verluste aus Corona-Zeiten und eine dem Unternehmen angeblich zustehende bislang ausgebliebene Überbrückungshilfe in Höhe von 2,3 Millionen Euro, erklärten die beiden im Gespräch mit dieser Zeitung im September 2024. Allein diese Summe hätte den Gang zum Gericht möglicherweise verhindern können, meinten Goebel und Wanke seinerzeit. Dazu kamen weitere einmalige Gründe. Ein viel teureres Warenwirtschaftssystem als gedacht, verschlang nach Angaben von Sinn mehr als fünf Millionen Euro. Umsatzausfälle in einigen Filialen, allen voran am Standort im Centro Oberhausen. Im Herbst vergangenen Jahres sollte die umsatzstarke Filiale im Oberhausener Einkaufszentrum auf 3500 statt 7000 Quadratmeter Fläche endlich wieder eröffnet werden, nach zehn kostenträchtigen Monaten, in denen das Personal zum Teil bei rund 50 Prozent der Bezüge zuhause bleiben konnte. Bis heute hat der Standort noch nicht wieder geöffnet.
Verfrühter Optimismus des Insolvenzverwalters
Auch der Optimismus des Fachanwalts Michael Mönig, der das Verfahren zunächst als gerichtlich beauftragter Sachwalter begleitete, hatte getrogen. Mönig hatte im September betont, „es ist genug Liquidität vorhanden, um auf jeden Fall durch das vorläufige Insolvenzverfahren zu kommen“. Bereits Ende Oktober wollte der Sachwalter sein Gutachten über die Zukunft des Modeunternehmens vorlegen. Geplant war auch, dass vom Unternehmen zu diesem Zeitpunkt ein Insolvenzplan eingereicht wird. Dann hätte im November das Verfahren vom Gericht eröffnet werden können. „Wenn wir Glück haben, könnte die Insolvenz noch vor Weihnachten, spätestens jedoch im Januar beendet sein“, sagte Jurist Mönig vor ein paar Monaten.
Es kam ganz anders, zum Leidwesen von rund 1500 Beschäftigten in den mehr als drei Dutzend Filialen. Die Geschäftsführer Goebel und Wanke waren sich nicht mehr einig über den richtigen Weg in die Zukunft. Wanke unterschrieb den eigentlich gemeinsam entwickelten Insolvenzplan nicht. Ende November wurde er beurlaubt, ist aber bis heute von der Sinn GmbH bezahlter Geschäftsführer. Die Belegschaft habe Wanke kaum eine Träne nachgeweint, so der Betriebsrat.
Die Konsequenz aus dem Dissens mit der Gesellschafterin und Co-Geschäftsführerin Isabella Goebel: Statt noch vor Weihnachten das Ende der Insolvenz in Sicht zu haben, wurde aus dem Verfahren in Eigenverwaltung am 10. Dezember ein Regelverfahren, bei dem Jurist Mönig vom Sachwalter zum Insolvenzverwalter wurde, der seitdem die Fäden in der Hand hält.
Kartellamt prüft P&C-Angebot
Schon Anfang Dezember wurde ein sogenannter Datenraum geöffnet, der potenziellen Investoren tiefe Einblicke in die Bücher bei Sinn gewährte. Namhafte Marken aus der Textilbranche sollen sich mehr oder weniger intensiv umgesehen haben, darunter auch das Düsseldorfer Unternehmen Peek & Cloppenburg beziehungsweise deren 2021 gegründete Gesellschaft JC Switzerland Holding AG, die mittlerweile ein Angebot abgegeben hat. Das wird gerade vom Bundeskartellamt geprüft. Da P&C aber auch nach einer möglichen Übernahme von Sinn keine marktbeherrschende Stellung in Deutschland haben dürfte, scheint diese Hürde eher formaler Natur zu sein.
Nach Informationen dieser Zeitung wird das Angebot von P&C vom Insolvenzverwalter in einen Insolvenzplan eingearbeitet. Das Konkurrenzangebot der bisherigen Eigentümerin dagegen nicht, so es denn kommt. Tatsächlich arbeitet Isabella Goebel offenbar noch an einem solchen Angebot, das die Gläubiger überzeugen soll. Allen voran die Bundesagentur für Arbeit, die durch Zahlung von Insolvenzgeld an die Belegschaft am meisten zu verlieren hätte und als größter Gläubiger auch im wichtigen Gläubigerausschuss vertreten ist.
Zählt für die Bundesagentur für Arbeit schnelles Geld am meisten?
Nach Angaben des Sinn-Betriebsrates habe die Bundesagentur klar signalisiert, dass lediglich die höchstmögliche Quote entscheidend sei. Sprich: Wer zahlt wie schnell wie viel Geld zurück. Die Befürchtung der Belegschaft ist, dass viele Jobs gefährdet wären, wenn P&C zum Zuge käme. Hier flösse möglicherweise aus Düsseldorf schneller Geld als von der bisherigen Gesellschafterin.
Die Sorge der Belegschaft vor Jobverlusten mit „einer feindlichen Übernahme durch P&C“, wie es der Betriebsrat nennt, scheint riesig zu sein. Die Philosophien der Unternehmen seien zu unterschiedlich. In Sinn-Filialen seien beinahe doppelt so viele Menschen auf vergleichbarer Ladenfläche für Beratung und Service beschäftigt wie bei P&C. Die Hauptverwaltung von Sinn mit rund 100 Beschäftigten stünde wohl zur Disposition. An einigen Standorten befinden sich P&C-Häuser im nahen Umfeld zu Sinn-Filialen wie etwa am Stammsitz in Hagen, wo wenige Meter neben einem P&C-Haus ein Sinn-Outlet betrieben wird und keine 200 Meter weiter ein große Sinn-Filiale.
Die Bundesagentur für Arbeit äußert sich zum konkreten Fall nicht, wohl aber grundsätzlich. Ein Insolvenzplan müsse glaubhaft machen, dass die Interessen der Gesamtgläubigerschaft bestmöglich erfüllt werden. „Die Sicherheit der Arbeitsplätze ist dabei für die Bundesagentur für Arbeit als Trägerin der deutschen Arbeitslosenversicherung selbstverständlich ein wichtiger Aspekt“, erklärt ein Sprecher der Regionaldirektion Düsseldorf auf Anfrage dieser Zeitung.
Gerüchte um kaltgestellten Geschäftsführer Thomas Wanke
Zu Beginn dieser Woche sei eine Belegschaftsdelegation bei der für Insolvenzen in NRW zuständigen Bundesagentur in Hamm gewesen, um die Behörde davon zu überzeugen, dass der Goebel-Plan der bessere sei, weil er langfristig das Unternehmen und die Jobs sichere. Der „wichtige Aspekt“ Arbeitsplatzsicherheit sei dem Sachbearbeiter in Hamm so wichtig nicht gewesen. Dass beinahe alle der mehr als 1500 Beschäftigten sich gegen eine P&C-Übernahme in der Form der Petition wehren, könnte auch mit einer Personalie zu tun haben. Nach Informationen der Belegschaft sei der Noch-Sinn-Geschäftsführer Thomas Wanke nach einer möglichen Übernahme durch P&C auch als neuer Sinn-Geschäftsführer im Gespräch. Im laufenden Verfahren darf sich Wanke öffentlich nicht äußern. Mit dem Gerücht konfrontiert, dementierte er dies allerdings gegenüber dieser Zeitung ausdrücklich nicht.
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