Hagen. Hagener Unternehmen meldet erneut drohende Zahlungsunfähigkeit. Viele der 1500 Beschäftigten erleben dies zum wiederholten Mal.

Mit der Modehauskette Sinn aus Hagen ist der nächste Textilhändler in Finanznöten. Am Montagnachmittag nahm das zuständige Gericht den Antrag auf Insolvenz in Eigenverwaltung an. Das bedeutet, die Geschäfte bleiben vorerst geöffnet. Die Geschäftsführung bekommt zur Unterstützung einen Insolvenzverwalter. In diesem Fall den Restrukturierungsexperten Jan Ockelmann aus der Kanzlei SGP Schneider Geiwitz. Arndt Geiwitz gehört zu den renommiertesten Sanierern in solchen Fällen und hatte Karstadt-Kaufhof Galeria als Generalbevollmächtigter durch zwei Insolvenzen geführt - bei der bislang letzten hatte er dann offiziell abgewunken.

Information der 1500 Beschäftigten verspätet

Die rund 1500 Beschäftigten in den 41 Sinn-Häusern und der Verwaltung in Hagen wurden erst am Dienstagvormittag informiert, schriftlich oder über die jeweiligen Filialleiter, erklärt ein von Sinn beauftragter Interimssprecher auf Anfrage dieser Zeitung.

Sinns Insolvenzverfahren: 2008, 2016, 2020 und 2024

Für viele Sinn-Beschäftigte ist es ein Deja Vu. Sinn hatte sich zuletzt mit dem damaligen Geschäftsführer Friedrich-Wilhelm Göbel im Frühjahr 2020 zunächst in ein Schutzschirmverfahren und dann in ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung begeben. Zuvor hatte Geschäftsführer Friedrich-Wilhelm Göbel bereits 2016 ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung beantragt. Und schon 2008 war das Unternehmen, das damals noch Sinn-Leffers hieß und in 47 Filialen rund 4000 Menschen beschäftigte, in die Insolvenz geraten und hatte massiv Filialen und Jobs abbauen müssen.

Seit Herbst 2021 ist Thomas Wanke neben Isabella Goebel Geschäftsführer der Hagener Modehandelskette Sinn.
Seit Herbst 2021 ist Thomas Wanke neben Isabella Goebel Geschäftsführer der Hagener Modehandelskette Sinn. © FUNKE Foto Services | Andreas Buck

Nun folgt also erneut der Versuch, sich von Kosten zu befreien. In einer Mitteilung hatte das Unternehmen die in den zurückliegenden Jahren erheblich gestiegenen Kosten für Energie, Logistik, aber eben auch Mieten an den insgesamt 41 Standorten als einen wesentlichen Grund angeführt. Sinn-Geschäftsführer Thomas Wanke, ein früherer Kaufhof-Mann, der seit Herbst 2021 gemeinsam mit Isabella Göbel die Sinn-Geschicke lenkt, sei seit Dienstagmorgen in Sachen Verhandlungen unterwegs. Sicher auch mit Lieferanten, die zum wiederholten Male mit einer Finanzkrise bei Sinn konfrontiert sind, aber auch mit Vermietern.

41 Standorte in Deutschland - davon 24 in NRW

24 der 41 Standorte befinden sich in Nordrhein-Westfalen. Darunter der große Flagshipstore in Aachen, zwei Häuser in Hagen, wo neben der regulären Filiale im Zentrum auch noch ein Outlet betrieben wird, in dem auch Vorjahreswaren abverkauft werden. Filialen gibt es darüber hinaus in großen Ruhrgebietsstädten wie Essen, Bochum und Oberhausen. In Recklinghausen, Krefeld, Wesel, Bottrop und Unna sowie in Südwestfalen in Menden und Lüdenscheid.

Welche Standorte möglicherweise gefährdet sein könnten, dazu wollte ein eigens engagierter Sinn-Sprecher für Krisenkommunikation am Dienstag nichts sagen. Grundsätzlich seien die Umsatzzahlen von Sinn in Ordnung, aber es liefen eben die Kosten davon. Es gebe Immobilien, bei denen die Miete an die Inflationsrate angepasst sei. Dies sei in der Branche durchaus nicht unüblich, aber habe eben entsprechend der hohen Inflation in den vergangenen Jahren zu immensen Kosten geführt.

Umsatz zuletzt rund 240 Millionen Euro

Sondereffekte hätten das Ergebnis von Sinn bei rund 240 Millionen Euro Umsatz im Jahr 2023 zusätzlich belastet. Genannt werden die Einführung eines neuen Warenwirtschaftssystems sowie zeitweise Schließungen an Standorten durch Wasserschäden - wie beispielsweise am Hauptsitz in Hagen, aber auch in Oberhausen (Centro).

Billig-Onlinehandelsplattformen machen Händlern Angst

Offenbar steht der gesamten Branche das Wasser dauerhaft bis zum Hals, wie die Schwierigkeiten von Galeria, aber auch die Insolvenzen von Esprit, wo dem Vernehmen nach 1300 Entlassungen anstehen, oder Adler offenbarten. Gerade im Textil- und Schuhbereich wirken die Nachrichten über Insolvenzen beinahe wie eine negative Kettenreaktion nach Corona, die durch neue Onlinehandelsplattformen wie Temu - „Einkaufen wie ein Milliardär“ - noch beschleunigt werden. „Temu ist bei unseren Händlern eine große Sorge“, sagt Carina Peretzke, Sprecherin des Handelsverbands NRW mit Sitz in Düsseldorf.

Zuletzt hatte sogar Patrick Zahn, Chef des Textildiscounters Kik aus Bönen, massiv über die aus Branchensicht zweifelhaften Methoden von Temu und Shein geklagt, die eine Zolllücke nutzten, um Europa mit Billigstwaren aus Asien zu überschwemmen. Ein Problem, das mittlerweile sowohl die Politik in Berlin wie in Brüssel beschäftigt - nur für den heimischen Handel noch ohne Schutzwirkung.

Handelsverband: Spaß am Bummeln und Kaufen noch nicht zurück

Der Fachverband Textilien, Schuhe, Lederwaren schätzt, dass Verbraucher in Deutschland im vergangenen Jahr rund eine Milliarde Bekleidungsstücke und Schuhe bei außereuropäischen Anbietern und Plattformen wie Shein und Temu gekauft haben. Der stationäre Handel spüre nach wie vor, dass bei vielen potenziellen Kundinnen und Kunden aus Sorge über wirtschaftlich unsichere Zeiten der Spaß am Bummeln und spontanen Einkauf noch nicht zurückgekehrt sei.

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