Finnentrop. Unternehmerverein Sauerland Initiativ versucht seit Jahren, in Köpfe der Politik in Bund und Land zu kommen. Warum das notwendig ist.
Südwestfalen ist immer noch eine der stärksten Industrieregionen Deutschlands und geprägt von mittelständischen Unternehmen, die ihr Schicksal gerne selbst in die Hand nehmen und sich nicht auf Hilfe aus der Politik verlassen mögen. Jahrzehntelang ging dies gut. Die Anhäufung von Krisen, gepaart mit den Herausforderungen des digitalen und demografischen Wandels, hat die Lage geändert. Je lauter und klarer die Stimmen aus der heimischen Wirtschaft Richtung Regierungen in Düsseldorf und Berlin rufen, desto besser. Eine der starken Stimmen ist die Unternehmervereinigung Sauerland Initiativ. „So, wie es jetzt ist, war es noch nie. So viele Krisen auf einmal“, sagt Tobias Metten, der Vorsitzende von Sauerland Initiativ.
120.000 Beschäftigte in 85 Unternehmen mit mehr als 50 Milliarden Euro Jahresumsatz, gegründet im Jahr 2000 – so lässt sich die Initiative in Zahlen knapp beschreiben. Ihr Ziel war, Imagebildung für das Land der tausend Berge zu betreiben. Heute weiß man tatsächlich selbst in Berlin, dass das Sauerland eine der Industrie stärksten Regionen Deutschlands ist und nicht nur eine offensichtlich landschaftlich reizvolle Gegend, die jedes Jahr Millionen von Touristen anzieht.
Politik vergisst die kleineren und mittelgroßen, aber sehr erfolgreichen Unternehmen gerne einmal, wenn sie nicht permanent erinnert wird, fürchtet die Wirtschaftsvereinigung Sauerland Initiativ. Jüngstes Beispiel: Das Brücken-Desaster an der Autobahn 45 bei Lüdenscheid. Die Wahrscheinlichkeit scheint hoch, dass ein Brückenneubau ohne öffentlichen Druck auf die Politik von Wirtschaftsvertretern aus der Region Südwestfalen um Jahre länger dauern würde. Die Industrie- und Handelskammern in Hagen, Siegen und Arnsberg und Arbeitgeberverbände in der Region machten auf den volkswirtschaftlichen Schaden in Millionenhöhe pro Tag durch Sperrung beziehungsweise Sprengung der Talbrücke Rahmede immer wieder aufs Neue aufmerksam. Auch Sauerland Initiativ versuchte, beim Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) Gehör zu finden.
Damoklesschwert Brückenzusammenbrüche
Digitalisierung spiele in Zukunft eine große Rolle, weiß Metten. Aber abgesehen davon, dass längst noch nicht 5G, also schnelles Internet, an jeder Milchkanne verfügbar ist, schicken Unternehmen aus der Region ihre Waren in der Hauptsache ja auch gar nicht über Datenautobahnen zu ihren Kunden. „Das Damoklesschwert ist doch, welche Brücke als nächstes gesperrt wird“, sagt Wurstfabrikant Metten. Auch seine berühmten Bockwürste Marke „Dicke Sauerländer“ müssen von Finnentrop per Lkw in die Welt, oder zumindest an der Brückenlücke Lüdenscheid vorbei transportiert werden. In Dosen verpackt seien die zwar recht lange haltbar, „aber auf die Bahn können wir uns dabei nicht verlassen“, spricht Metten einen weiteren wunden Punkt bei der Verkehrsinfrastruktur an.
Das Sauerland als starke Wirtschaftsregion ist sichtbarer geworden und in viele Köpfe von potenziellen Arbeitskräften und Politikern gekommen. „Ich glaube, das Image des Sauerlands hat sich deutlich positiv entwickelt“, sagt Wurstfabrikant Metten. Interessanterweise werde bei Menschen von außerhalb das Sauerland noch positiver bewertet als „im Inneren“, so Metten. Dies habe eine vom Unternehmerverein beauftragte Studie 2020 ergeben.
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Die Unternehmervereinigung hat sich in den knapp 25 Jahren ein Gewicht erarbeitet, das sie erhalten will. Sauerland Initiativ wird von Regierenden und denen, die es werden wollen, durchaus gehört und besucht – dem damaligen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) oder zuletzt vor zwei Jahren vom nun frisch ernannten Kanzlerkandidaten der Union, Friedrich Merz.
Aber Politik, ob in Berlin oder Düsseldorf, ist für viele Regionen zuständig. Das könnte die Frage nach der Daseinsberechtigung von Sauerland Initiativ, aber auch anderen Interessenvertretern wie „Wirtschaft in Südwestfalen“, beantworten. Eine weiter drängt sich auf: Sollte das Engagement der Wirtschafts-Lobbyisten nicht besser gebündelt werden, um stärker wirksam zu werden?
Inzwischen gibt es eine Reihe von Vereinigungen oder Initiativen, die sich um die stärkste Industrieregion in NRW bemühen, beispielsweise unter der Klammer Südwestfalen mit „Wirtschaft für Südwestfalen“. Dort sind rund 400 Unternehmen vertreten, auch aus der Region Siegen-Wittgenstein. Der Verein ist einer der Gesellschafter der 2013 gegründeten Südwestfalenagentur. Thema: Imagebildung und Impulse für die Region entwickeln. Man vertrete sicher gleiche Werte wie die Südwestfalen-Agentur und sei als Sauerland eine Teilmenge der Region, die auch den Kreis Soest und Siegen-Wittgenstein umfasst. Für Metten ist aber klar: „Ich denke schon, dass die Marke Sauerland stärker ist als Südwestfalen. Wer sagt schon, ich bin Südwestfale?“
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst im November zu Gast in Iserlohn
Mitte November soll Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) in Iserlohn mit Mitgliedern von Sauerland Initiativ über die Zukunft debattieren. Wüst wird sich unter anderem fragen lassen müssen, warum die unter dem NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) und Wüsts Vorgänger Armin Laschet (CDU) begonnene „Entfesselung von der Bürokratie“ unter dem Strich kein Befreiungsschlag für das Land geworden ist. Auch 25 Jahre nach der Gründung wollen die Unternehmerinnen und Unternehmer kritisch bleiben und parteiunabhängig wie am ersten Tag.
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Hintergrund: Gründung und Perspektiven
„Maßgeblich beteiligt an der Gründung von Sauerland Initiativ waren damals Hans-Otto Falke und die Regierungspräsidentin Raghilt Berve“, erinnert Tobias Metten. Hans-Otto Falke, der im Juli im Alter von 101 Jahren verstarb, hätte für den Absatz seiner Socken und Modewaren den Verein vermutlich nicht benötigt. Dennoch war ihm Sauerland Initiativ wichtig.
Im Jubiläumsjahr will die Unternehmervereinigung erstmals besonders die junge Generation Sauerländer in den Blick nehmen. „Wirtschaft trifft Schule“ ist der Arbeitstitel. „Wir wollen zeigen, welche attraktiven Jobs es in der Region gibt“, sagt Metten. Rund um das Zukunftsthema Wasser etwa, bei Sauerländer Unternehmen wie Tracto-Technik aus Lennestadt oder Viega aus Attendorn. Oder in einem anderen Mitgliedsunternehmen wie Busch-Jaeger oder Mennekes, Kemper oder Kirchhoff, Mubea oder auch Metten. „Sauerland Initiativ hat nach wie vor eine Berechtigung, um den starken industriellen Kern des Sauerlands hervorzuheben“, glaubt der Vorsitzende Tobias Metten.