Bönen. Chinesische Onlinehändler nutzen „Zolllücke“ für Import von Billigwaren. Wie die geschlossen werden kann, beraten nun Bund und Länder.

Vor 30 Jahren startete Kik - Kunde ist König - das Geschäftsmodell mit günstigen Textilien, die für jedermann erschwinglich sein sollten. Bis heute verfolgt das Unternehmen aus dem westfälischen Bönen dieses Ziel, bietet mittlerweile ebenso viel Haushalts- und Hartwaren an wie Kleidung. Der Anspruch, niedrigste Preise anbieten zu wollen, hat Kik in der Vergangenheit viel Kritik eingebracht. Jetzt kritisiert der Vorstandsvorsitzende Patrick Zahn selbst das Billigmodell chinesischer Onlineplattformen. Langsam reagiert auch die Politik. Das Land Nordrhein-Westfalen dringt auf strengere Zollvorschriften sowie Kontrollen für Händler wie Temu und Shein. Zur am Freitag in Bremen stattfindenden Jahres-Finanzministerkonferenz habe NRW einen entsprechenden Antrag eingebracht, teilte das NRW-Finanzministerium der Deutschen Presse-Agentur mit. Demnach soll unter anderem der Zoll in Deutschland besser aufgestellt werden, um mögliche Steuerhinterziehungen durch die asiatischen Händler aufzudecken.

Der Textildiscounter Kik arbeitet gegen sein schlechtes Image im Heimatmarkt Deutschland, wehrt sich gegen chinesische Onlinehändler, die gerade den deutschen Markt am Zoll vorbei mit Billigprodukten überfluten - und ganz nebenbei auch noch gegen die Bundesregierung wegen angeblich verfehlter Pandemiepolitik.

Klage gegen den Bund auf Entschädigung wegen Coronaschließung noch nicht vom Tisch

Patrick Zahn, seit 2016 Vorstandsvorsitzender des Unternehmens mit Sitz im westfälischen Bönen, geht es bei der Klage gegen den Bund „um den Grundsatz, weniger um das Geld“. Das Geld wäre eine Entschädigung für monatelange staatlich verordnete Schließungen während der Corona-Pandemie. „Beim ersten Lockdown wirft niemand den Politikern etwas vor.“ Zahn jedenfalls nicht. Bei Lockdown zwei und drei sehe es allerdings völlig anders aus. „Es ist irrational, was da passiert ist und muss aufgearbeitet werden.“ Dass beispielsweise Drogerien im zweiten Lockdown 2020 öffnen durften, die Kik-Filiale nebenan aber nicht, sei nicht nachvollziehbar gewesen. Nur Deutschland und Österreich hätten so übervorsichtig gehandelt - besonders zu Lasten des Handels. Beste Aussichten, in Sachen Kik gegen die Bundesregierung einen Erfolg zu erzielen, gebe es wohl nicht. Gegen das abschlägige Urteil hat das westfälischen Unternehmen beim Bundesgerichtshof Revision einlegen lassen. Es geht ums Prinzip.

Den Textildiscounter KiK in Bönen besteht 2024 seit 30 Jahren. KiK ist ein Unternehmen der Tengelmanngruppe mit mehr als 30.000 Beschäftigten und rund 4200 Filialen (Stand 2024). Vorstandsvorsitzender ist Patrick Zahn. 

„Für uns ist das eine Riesensauerei. Und die Politik hat Sorge vor einem Zollkrieg mit China.“

Patrick Zahn

Chinesische Online-Billighändler fluten den deutschen Markt mit 400.000 Paketen täglich

Anders ist dies im Fall Temu und Shein. Die Onlinehandelsplattformen sind bereits seit Monaten im Fokus der Regierungen in Berlin und Brüssel. Die chinesischen Anbieter nutzen eine Zolllücke aus. Kauft der Kunde bei Temu und Shein, ist er quasi Mini-Importeur und muss für Waren unter 150 Euro keinen Zoll zahlen. So ist die aktuelle Gesetzeslage.

Firmen wie KiK, die Container voller Waren per Schiff aus Asien um die halbe Welt verschiffen und nach Europa einführen, Zahlen diese Zölle natürlich schon. „Das ist Wettbewerb, der sich nicht an die Regeln hält“, wettert Kik-Chef Patrick Zahn über die bedrohlichen Online-Konkurrenten: „Für uns ist das eine Riesensauerei. Und die Politik hat Sorge vor einem Zollkrieg mit China.“ Kik lässt für Kundinnen und Kunden Textilien, Haushaltsartikel und jede Menge Krimskrams auch in Asien produzieren, um günstig anbieten zu können. Die Preise von Temu und Shein kann das deutsche Unternehmen aber nicht mitgehen.

Temu und Shein Thema im Bundestag

Tatsächlich beschäftigt sich die Europäische Union bereits mit dem Problem für den europäischen Handel. Die 150-Euro-Zollgrenze soll abgeschafft werden. Die Bundesregierung unterstützt das EU-Vorhaben wohl. Und auch der Bundestag hat in der kommenden Woche Temu und Shein auf der Tagesordnung: „Bericht der Bundesregierung zu aktuellen und geplanten Maßnahmen, um ein regelkonformes Verhalten der Online-Händler Temu und Shein in Deutschland und Europa sicherzustellen.“ Die Crux: Erst 2028 soll die Abschaffung der Zollfreigrenze umgesetzt werden. „Viel zu spät. Täglich kommen 400.000 Pakte nach Deutschland“, schätzt der Kik-Vorstandsvorsitzende Patrick Zahn.

Dass ausgerechnet der Discounter aus Bönen gegen derartige Billigimporte wettert, mag kurios erscheinen. Schließlich ist billig um jeden Preis genau der Vorwurf, der dem Unternehmen aus der Tengelmann-Gruppe ziemlich genau seit Gründung vor 30 Jahren gemacht wird und der sich insbesondere am Import von Kleidung aus Asien festmacht, die in einer der heute rund 4200 Filialen in Europa zu Niedrigpreisen verkauft wird.

Kik spricht von Zeitenwende in der Textilbranche nach vielen Todesopfern

Spätestens seit dem Brand in der Textilfabrik von Ali Enterprises in Karachi in Pakistan im September 2012 und dem Einsturz der Rana-Plaza-Fabrik in Sabhar (Bangladesch) im April 2013 ist die Textilbranche auch hierzulande in den Fokus geraten. Hunderte Menschen kamen im Feuer beziehungsweise beim Einsturz ums Leben. KiK war eine der Firmen, die damals in diesen Fabriken hat produzieren lassen. Zum Beispiel Kinderjeans der Marke „Okay“.

Textilbündnis für bessere Arbeitsbedingungen

Bekannte und viel teurere Modelabels waren aber ebenso Kunden in den Problemfabriken. „Rana Plaza war eine Zeitenwende für die Textilbranche“, sagt Ansgar Lohmann, Nachhaltigkeitsbeauftragter bei Kik: „Wir haben sehr viel falsch gemacht.“ In der Folge engagierte sich das Unternehmen vor Ort, schloss sich Abkommen zwischen Produzenten, Gewerkschaften und Händlern an, die mehr Sicherheit und bessere Arbeitsbedingungen nach internationalen Standards garantieren sollen. Erst in Bangladesch, dann in Pakistan. Das Unternehmen trat von Beginn an als eines der wenigen Unternehmen aus der Branche dem „Textilbündnis“ bei, das der frühere Bundes-Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) 2014 ins Leben rief.

Kik sieht kein Problem durch Lieferkettengesetz

Kik sieht sich bestätigt, dass die Standards, die das Unternehmen von seinen mehr als 800 Produzenten in Bangladesch, Pakistan, China und der Türkei verlangt und kontrollieren lasse, hoch seien. Seit Januar 2023 gilt in Deutschland das umstrittene Lieferkettengesetz, das viele Unternehmen als bürokratische und nicht leistbare Zumutung kritisieren. Kik-Chef Zahn findet das Gesetz grundsätzlich gut, weil es einheitliche Regeln für die Einhaltung von Menschenrechten, Arbeitsstandards etc. vorgibt. Die Ausgestaltung habe allerdings Lücken. Zudem kritisiert der Vorstandsvorsitzende, dass die Staaten - hier wie in den Produktionsländern - sich damit aus der Verantwortung nähmen und die Unternehmen in der Pflicht seien. Kik selbst habe das wenig belastet: Von den mehr als 800 Lieferanten seien gerade einmal fünf oder sechs aus dem Pool geflogen, in China, Bangladesch und der Türkei. Hochpreisige Labels lassen oft in den gleichen Fabriken zu gleichen Bedingungen fertigen, haben aber ein viel besseres Image in Deutschland. In Osteuropa, wo der Discounter kräftig wachse, habe Kik dieses Problem nicht.

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