Meschede. Johanna Brenscheidt (20) aus Balve gewinnt NRW-Jugendmeisterschaften des Gastgewerbes in Meschede. Was sie mit Titel in Zukunft plant.
Als Johanna Brenscheidt nach dem Abitur eine Ausbildung im Hotel Antoniushütte in Balve-Eisborn begann, sei die Verwunderung bei Mitschülerinnen groß gewesen. Neulich, beim Abitreffen, hörte sich das plötzlich anders an: „Jetzt sagen viele, die ein Studium begonnen haben: ,Hätte ich mal eine Ausbildung gemacht.‘“ Die 20-Jährige weiß, dass es bei der Berufswahl kein schwarz oder weiß, richtig oder falsch gibt. Auch sie hatte ein Studium in Erwägung gezogen. Jetzt ist die junge Frau im zweiten Lehrjahr, hat schon einige Stationen im Viersterne-Haus durchlaufen und sogar fürs Leben gelernt: Ihre Scheu vorm Telefonieren habe sie an der Rezeption verloren.
„Gerade macht es mir sehr viel Spaß“, sagt sie mit Blick auf ihre Ausbildung. Dabei hat sie ganz aktuell ein „so lala“-Gefühl. Brenscheidt inspiziert an diesem Morgen im Welcome Hotel am Hennesee in Meschede ein Standardzimmer, in dem so einiges nicht stimmt. Mit ihr suchen acht weitere Azubis im Hotelgewerbe nach Fehlern, die eine erfahrene Jury in diesem so aufgeräumt erscheinenden Raum eingebaut hat. Zehn an der Zahl. Es sind die NRW-Jugendmeisterschaften der gastgewerblichen Berufe, die in Meschede stattfinden, ausgerichtet vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga).
„Als ich ausgebildet wurde, waren Zwölf-Stunden-Tage normal. Heute reden wir über eine Vier-Tage-Woche.“
In der Branche herrscht nicht erst seit der Corona-Pandemie ein personeller Aderlass. Seit Langem fehlen Fachkräfte in allen Bereichen. Daran ändert auch nichts, dass sich die Arbeitsbedingungen und der Verdienst in tarifgebundenen Betrieben deutlich verbessert haben. „Als ich ausgebildet wurde, waren Zwölf-Stunden-Tage normal“, erinnert Georg Frey, Inhaber eines Drei-Sterne-Hauses mit 80 Betten in Brühl bei Köln. Heute diskutiere er über die Vier-Tage-Woche. Frey ist Teil der Jury, die den jungen Leuten bei der Meisterschaft auf die Finger schaut. Die Auszubildenden wirken so kompetent, dass sie vermutlich die meisten Hotelbetreiber sofort einstellen würden. Frey etwa.
Zahl der Auszubildenden zuletzt wieder leicht gestiegen
Im vergangenen Jahr ist die Zahl derer, die eine Ausbildung als Hotelfachmann oder -frau, Koch, Köchin oder Restaurantfachfrau oder -fachmann in Nordrhein-Westfalen neu begonnen haben, wieder gestiegen, und zwar um knapp 300 auf 3855 (Zahl: Dehoga). Das sind allerdings rund 2000 Neuanfänger weniger in der Branche als noch vor zehn Jahren und noch beinahe 500 weniger als 2019, im letzten Jahr vor der Corona-Pandemie.
„Die Ausbildungssituation im Hotel- und Gastgewerbe Nordrhein-Westfalen hat sich nach Corona zum Glück wieder deutlich verbessert. Das ist die gute Nachricht. Allerdings hinken wir den Zahlen von 2019 leider immer noch hinterher. Das braucht also Zeit und wird vor dem Hintergrund von demografischer Entwicklung und Akademisierung kein Selbstläufer. Auch wenn die Beschäftigtenzahlen wieder über Vor-Corona-Niveau liegen, wird uns der Arbeits- und Fachkräftemangel kurz-, mittel- und langfristig intensiv beschäftigen“, sagt der Arnsberger Dietmar Wosberg, Präsident des Dehoga NRW.
Gefragte Kräfte in vielen Branchen und in aller Welt
Eine Einschätzung, die auch der Hotelbesitzer Georg Frey teilt. Dabei sei die Nachfrage nach Jobs bei ihm hoch: „Ich habe viele Bewerbungen aus dem Ausland. Jeden Tag rund 20.“ 15 Beschäftigte arbeiten im Hotel in Brühl, davon vier Auszubildende. Frey könnte mehr Fachkräfte gebrauchen, sei darauf angewiesen, Bewerber aus dem Ausland einzustellen, weil es an Nachwuchs in Deutschland weiter mangelt. Dabei hätten junge Leute mit einer Ausbildung im Hotel- und Gaststättengewerbe viele Möglichkeiten: „Die können auf der ganzen Welt arbeiten, auch in anderen Branchen. Jeder sucht genau diese Kräfte.“
Das Offensichtlichste übersehen
Alle fünf Auszubildenden, die das Standard-Zimmer im Hotel am Hennesee an diesem Morgen umgekrempelt haben, um die Fehler zu finden und vielleicht den NRW-Titel des Dehoga ergattern, waren flott, strukturiert, haben im Bad das Accessoire-Kistchen untersucht, einen Blick unter den Toilettendeckel geworfen, die Minibar auf Vollständigkeit überprüft und sogar kleinste Krümel hinter einem Stuhlbein entdeckt. Selbstbewusst, bester Laune und freundlich traten sie trotz der Stresssituation alle auf. So wie es sein soll in dieser Branche. „Sie haben vieles gesehen“, sagt Susanne Grothaus, seit fünf Jahren Personalchefin des Courtyard by Marriot im schicken Düsseldorfer Hafen. Vieles, ja, aber das Offensichtlichste nicht. Die Bettwäsche war auf links gedreht, verrät die Juryfrau und bleibt verständnisvoll: „Es ist schon Zeitdruck. Im richtigen Betrieb weiß man nach dem zehnten Zimmer manchmal nicht mehr, wo man am Anfang war.“
Geduld mit Gästen ist gefragt
Manche Tage seien anstrengend, mitunter herausfordernd, wenn Gäste sich daneben benehmen, sagt Anna-Vanessa Schwarze. Die 21-Jährige ist nach dem Abitur für den Ausbildungsplatz bei Deimann aus der Großstadt Hagen ins Schmallenberger Land umgezogen und will dort bleiben: „Die Ausbildung ist genau das, was zu mir passt. Ich bereue es nicht.“
Johanna Brenscheidt, die vor der Haustür im Sauerland die Ausbildung begonnen hat, kann sich dagegen vorstellen, nach dem Ende der Lehrzeit im englischsprachigen Ausland zu arbeiten - oder ein Studium der Lebensmittelwissenschaft zu beginnen, weil es ihr im Restaurantbereich besonders gut gefällt. „Sollte ich noch studieren, habe ich aber immerhin eine Ausbildung, kann in der Branche nebenbei arbeiten und mich vernünftig bezahlen lassen.“ Davon könnte sie dann beim übernächsten Abitreffen erzählen.
Siegerehrung erst am Abend
Am Abend steht dann fest: Johanna Brenscheidt von der Antonius-Hütte gewinnt die Meisterschaften in der Kategorie Hotelfachfrau. Bester Koch war Ben Kappelhoff vom Hotel-Restaurant Domschenke (Billerbeck). In der Kategorie Restaurantfachfrau siegt Tale Voss (Sternelokal Neobiota in Köln).
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