Siegen/Dortmund/Duisburg. „Direktanschluss“ von Siegen ans Meer: Die Kreisbahn und drei Binnenhäfen schließen mit Log4NRW die Logistik-Lücke und tun kräftig was fürs Klima

Den Anfang machen zwei Güterzug-Umläufe pro Woche, zwischen Kreuztal und Dortmund. 27.000 Fahrten mit dem Lkw sollen sie pro Jahr ersetzen können und noch reichlich Luft nach oben haben – vier wöchentliche Fahrten ersetzen demnach schon 54.000 Lastwagen. Mit dem Projekt „Log4NRW“ (etwa: Logistik für NRW) gehen drei große Binnenhäfen eine bisher undenkbare Kooperation ein. Zusammen mit dem vierten Partner, der Kreisbahn Siegen-Wittgenstein, holen sie den Schwerverkehr aus und nach Südwestfalen wortwörtlich von der Straße auf die Schiene.

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Was die Politik seit Jahren fordert und verspricht. „Wir machen das jetzt einfach“, sagt der Duisburger Hafen-Chef Markus Bangen – auch gezwungenermaßen, denn die starke Wirtschaftsregion südlich Rahmede droht den logistischen Anschluss an ihre internationalen Lieferketten zu verlieren. Andreas Stolte, Geschäftsführer des Niederrhein-Hafens Deltaport und „Erfinder“ von Log4NRW, spricht von einem „Lösungsmodell für Wirtschaft und Gesellschaft“.

Das Prinzip von Log4NRW: Wenige Schiffe und Züge statt zehntausende einzelne Lkw

Ganz grob: Waren werden auf weiten Strecken in Güterzügen und Frachtschiffen zwischen vier Knotenpunkten transportiert, nicht mehr per Lkw. Südwestfälische Unternehmen bringen ihre Fracht zum Containerterminal nach Kreuztal, von dort geht es zum Dortmunder Hafen und von da entweder Richtung Nordhäfen (Hamburg, Bremerhaven, Wilhelmshaven) oder über die Häfen Duisburg (Duisport) und Wesel/Voerde (Deltaport) Richtung Westen (Rotterdam, Antwerpen). Damit wird quasi ein „Bypass“ gelegt zur A 45. Die logistische Lebensader Siegen-Wittgensteins und angrenzender Gebiete ist bekanntermaßen durchtrennt. Fällt ein Knotenpunkt aus, gibt es Alternativen, das Netzwerk sei resilient aufgebaut.

Der Dortmunder Hafen ist die NRW-Drehscheibe Richtung deutsche Nordseehäfen.
Der Dortmunder Hafen ist die NRW-Drehscheibe Richtung deutsche Nordseehäfen. © www.blossey.eu / FUNKE Foto Services | Hans Blossey

Die Freude ist groß, die Beschreibungen des Projekts euphorisch, für das am Montag, 14. August, in Siegen die Unterschriften geleistet werden. Deltaport-Geschäftsführer Stolte beantwortet die Frage, warum das nicht schon früher passiert sei, mit dem Vertrauen der nun handelnden Personen, das sich erst im vergangenen Jahr „massiv“ entwickelt habe. Vorher gönnte man sich gegenseitig im Grunde keinen Seecontainer. Das soll gründlich anders werden.

NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) ist mangels direkter Beteiligung des Landes Schirmherr des Vorhabens und findet das neue Bahn- und Binnenschiffsystem „absolut wegweisend“, man unterstütze beim unternehmerischen Risiko. Neben den aktuellen wirtschaftlichen und logistischen Schwierigkeiten wollen die Partner auch eine ganze Menge generelle ökologische und gesellschaftliche Probleme überwinden. Das Netzwerk könne seine Leistungsfähigkeit hochfahren, sich erweitern und sei auch auf andere Regionen übertragbar. „Es geht um Unternehmertum, also werden Probleme unternehmerisch beantwortet“, sagt Ingo Brohl, CDU-Landrat des Kreises Wesel.

Log4NRW will Probleme lösen: Für die Wirtschaft, die Umwelt, die marode Infrastruktur

Siegen-Wittgenstein: „Man kommt derzeit nur selten gut und schnell nach Südwestfalen“, sagt Landrat Andreas Müller. Der exportorientierte heimische Mittelstand sei zwingend auf die Autobahnen 4 und 45 angewiesen. Seit dem Rahmede-Desaster wird vor einer Deindustrialisierung einer der leistungsfähigsten Wirtschaftsregionen des Landes gewarnt – eine Lebensader ist durchtrennt.

Der Duisburger Hafen Duisport ist der größte Binnenhafen der Welt. Hier werden Güter für die Atlantikhäfen Rotterdam und Antwerpen umgeschlagen.
Der Duisburger Hafen Duisport ist der größte Binnenhafen der Welt. Hier werden Güter für die Atlantikhäfen Rotterdam und Antwerpen umgeschlagen. © FUNKE Foto Services | Ant Palmer

die Wirtschaft: „Wir bieten den Unternehmen ein Konzept, bei dem sie aus den Vollen schöpfen können“, sagt Kreisbahn-Geschäftsführer Christian Betchen. Den Kunden in Siegen sei es egal, über welchen Hafen ihr Produkt in See sticht und wer es dahin transportiert hat – und auch denen in den angrenzenden Kreisen Olpe, Marburg, Altenkirchen, Westerwald, Lahn-Dill. „Hauptsache, es kommt weg“, stellt der Duisburger Hafen-Chef Markus Bangen fest. Das könne Log4NRW auf Schiff und Schiene gewährleisten; zuverlässig und kostengünstig. Durch die anstehende Anhebung der Lkw-Maut um mehr als 60 Prozent werde die Straße erheblich teurer. „Je weniger Lastwagen, desto kosteneffizienter der Transport“, sagt Andreas Stolte. Aus der Wirtschaft gebe es nicht nur konkrete Anfragen, sondern auch bereits geschlossene Vereinbarungen fürs neue Logistikangebot. Ab Oktober sind die Lokomotiven geblockt. „Wir würden die Unternehmen nicht auf ein unsichereres, teureres System umstellen“, versichert Markus Bangen. Die Eisenbahn sei wettbewerbsfähig – wenn alle Rädchen ineinandergreifen. Und, nebenbei, über die gesamte Strecke hinweg, auch schneller.

Die Knotenpunkte von „Log4NRW“
Die Knotenpunkte von „Log4NRW“ © funkegrafik nrw | Jill Starke

die Umwelt: Bis zu zwei Drittel weniger CO2 könne in diesem Modell emittiert werden, so Andreas Stolte, Lieferketten würden dekarbonisiert, Log4NRW forciere die Verkehrswende. Lkw-Direktverkehre werden in erheblichem Umfang vermieden, Sattelschlepper fahren nur noch auf der „letzten Meile“, vom letzten Umschlagplatz-Knotenpunkt zum Zielort. Das können immer noch 40 bis 80 Kilometer sein, aber nicht mehr hunderte und vor allem nicht im Stau auf maroden Autobahnen. „Wir sind endlich näher am Endverlader“, sagt Markus Bangen – und man wolle noch näher an die Wirtschaft heran.

Lkw nur noch auf der „letzten Meile“ – der Job „wird nicht im Stau attraktiv“

die marode Infrastruktur: Wenn zehntausende Schwerlast-Lkw nicht mehr über kaputte Straßen fahren, halten sie wahrscheinlich deutlich länger. Und das dürften nicht nur die Betroffenen in Lüdenscheid deutlich spüren, sondern Verkehrsteilnehmer in der ganzen Region. Aber auch das Schienennetz ist gebeutelt – die Ruhr-Sieg-Strecke, auf der die Güter transportiert werden sollen, aber nicht, betont Christian Betchen. „Auch mittelfristig gibt es noch ausreichend Trassenkapazitäten“ – und man könne auch mit geladenen Seecontainern durch die Tunnel fahren.

Vierter Knotenpunkt des neuen Log4NRW-Netzwerks: Der Deltaport, dem Niederheinhafen in Wesel/Voerde.
Vierter Knotenpunkt des neuen Log4NRW-Netzwerks: Der Deltaport, dem Niederheinhafen in Wesel/Voerde. © Funke Foto Services GmbH | Olaf Fuhrmann

den Nachwuchsmangel: Es gibt immer weniger Lkw-Fahrer, aber bislang stieg der Lastwagen-Anteil im Transportwesen. „Der Beruf wird nicht im Stau in der Zugmaschine attraktiv“, sagt Andreas Stolte – Fahrer sollen fahren, hocheffizient eingesetzt werden. Also auf der letzten Meile, wo kein Schiff und kein Zug mehr hinkommen. Kapazitäten werden bald frei unter anderem durch das bevorstehende Kohle-Aus – große Mengen fossiler Energieträger müssen nicht mehr transportiert werden.

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die Kooperation: Die bisherigen Logistikkonzepte für Binnenhäfen sind an den West- und Nordhäfen an den Küsten orientiert – Duisport und Deltaport nach Rotterdam und Antwerpen, Dortmund ist die Drehscheibe von Westfalen, Sauerland, Ruhrgebiet zur deutschen Nordsee. Das vergessen die Kooperationspartner jetzt alles mal, wollen nicht mehr in ihrem angestammten Sprengel denken und für die Wirtschaft im entlegenen Südwestfalen die Lücken schließen. Alle können alle Routen nutzen, die Häfen werden überlappend verknüpft, statt alle ihre eigenes Ding zu machen – „das schafft Systemsicherheit für die Wirtschaft“, sagt Stolte.

Vertrauen als Basis für die Zusammenarbeit: Markus Bangen (CEO Duisport), Andreas Müller (Landrat Siegen-Wittgenstein), Bettina Brennenstuhl (Chefin Dortmunder Hafen), NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer, Andreas Stolte (Geschäftsführer Deltaport), Ingo Brohl (Landrat Kreis Wesel), Christian Betchen (Geschäftsführer Kreisbahn Siegen-Witgenstein).
Vertrauen als Basis für die Zusammenarbeit: Markus Bangen (CEO Duisport), Andreas Müller (Landrat Siegen-Wittgenstein), Bettina Brennenstuhl (Chefin Dortmunder Hafen), NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer, Andreas Stolte (Geschäftsführer Deltaport), Ingo Brohl (Landrat Kreis Wesel), Christian Betchen (Geschäftsführer Kreisbahn Siegen-Witgenstein). © Hendrik Schulz