Siegen-Wittgenstein. Die Weltwirtschaft sortiert sich neu, bedingt durch den Ukraine-Krieg. Deutschland muss seinen Platz noch finden. VdSM: Rahmede hilft da wenig.

Seit Russland die Ukraine überfallen hat, sortiert sich die Weltwirtschaft neu, der Industriestandort Deutschland muss seine Position darin noch finden, sich anpassen. Mitten in diesem Prozess blicken die Unternehmen vorsichtig in die Zukunft: In der aktuellen Konjunkturumfrage des Verbands der Siegerländer Metallindustriellen (VdSM) haben sich „alle Parameter eingetrübt“, sagt Geschäftsführer Dr. Thorsten Doublet. „Die Unsicherheit nimmt zu.“

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Die kurze Hoffnung auf eine stabile Lage nach Finanz-, Corona- und Lieferkettenkrise habe sich mit Beginn des russischen Angriffskriegs Anfang 2022 zerschlagen, „nach drei Jahren Krisenmodus steht es allen bis Oberkante Unterlippe“, sagt VdSM-Vorsitzender Christian F. Kocherscheidt. Die Branche sei eigentlich optimistisch gewesen, wieder mit mehr Sicherheit produzieren zu können, stattdessen mussten wieder Budgets korrigiert, Investitionspläne gestoppt, Umsatzerwartungen zurückgeschraubt werden.

Wirtschaftliche Lage durch Energiekrise schwieriger als während Corona-Pandemie

Die Lage heute sei schwieriger als Corona – die Auswirkungen der Pandemie habe man überwiegend aus eigener Kraft abfedern können, da in der Regel schwächelnde durch boomende Geschäftszweige ausgeglichen werden konnten. Zudem sei Deutschland international beneidet worden um das Instrument der Kurzarbeit, mit dem Beschäftigung wirksam habe gesichert werden können. Der Ukraine-Krieg, die Wirtschaftssanktionen gegen Russland, die Entkopplung vom russischen Gas hingegen, treffe alle flächendeckend. Bedingt durch die geopolitische Lage Europa stärker als USA, China, Indien, so Kocherscheidt; Deutschland aufgrund der einst starken Abhängigkeit von russischem Erdgas mehr.

Von einer Gasmangellage ist derzeit nicht auszugehen, dennoch war die Lage lange unsicher, viele Unternehmen etwa stellten von Gas auf Öl um; Kocherscheidts Firma Ejot etwa für den Betrieb von Härteöfen. „Viele sind auf die Bremse getreten“, sagt der Unternehmer, sparten aus Vorsorge Energie, um mit weniger Gas durchzukommen – und fahre „mit angezogener Handbremse in die Zukunft“, sagt Geschäftsführer Doublet. „Man weiß nicht, was kommt.“ Ohne das sehr günstige russische Gas, das am teuren Industriestandort Deutschland durchaus ein Wettbewerbs- und Kostenfaktor gewesen sei, gelte es nachzujustieren. Die Entwicklung der Energiekosten sei dabei zentral.

Deutschland sei von jeher ein teurer Produktionsstandort gewesen – aber einer mit hoher Qualität. Dieses Image („Made in Germany“) zeige aber leider auch Schwächen, so der VdSM-Vorsitzende: Zustände wie Infrastrukturprobleme nicht nur bei der Bahn, langwierige Milliardengräber wie der Berliner Flughafen würden weltweit wahrgenommen, Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit schwinde.

Rahmede und Siegen-Wittgenstein: „Wird noch einige Jahre so sein“

Rahmede: Erst der Ausfall eines zentralen Verkehrswegs zeige die Bedeutung für das Funktionieren von Wirtschaft und Gesellschaft, sagt Christian F. Kocherscheidt – die Region werde zweigeteilt, Unternehmen springen Kunden ab, Azubis hätten Probleme die Berufskollegs nördlich von Lüdenscheid zu erreichen, Beschäftigte von dort suchten sich neue Jobs, gleichzeitig brauche man nördlich von Iserlohn im Grunde keine Stellenanzeigen mehr zu schalten. Immerhin gebe es in Siegen-Wittgenstein einen gewissen Zulauf aus den Nachbarbundesländern und dem Rheinland. Leider gebe es wohl keinen politischen Willen, die Zeit für Abriss und Neubau zu verkürzen, „wir müssen uns darauf einstellen, dass die Situation einige Jahre so sein wird“. Aktuell sind 90 Prozent der VdSM-Mitgliedsunternehmen teilweise (75 %) oder erheblich (15 %) durch die gesperrte Autobahnbrücke belastet.

Route 57: Eine Nummer kleiner, im Grunde aber das selbe Problem mit ähnlichen Folgen wie Rahmede, sagt der Unternehmer – nicht nur für die Industrie. Auch Handwerk, Handel, selbst Rehakliniken spürten die zunehmend schlechte Erreichbarkeit des ländlichen Raums.

Bürokratie lähmt wirtschaftliche Entwicklung: „Fortschritt findet nicht statt“

Fachkräfte: Es wird immer schwieriger für Unternehmen Personal und vor allem Auszubildende zu finden. Der demografische Wandel war nie weg, nur zeitweise von Corona überlagert, sagt Dr. Doublet. „Jetzt pressiert’s wirklich.“

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Bürokratie: Kompliziert, langwierig, „wirklicher Fortschritt findet nicht statt“, stellt der Verbandsvorsitzende fest. Es brauche Tempo bei Genehmigung und Umsetzung, Verfahrensschritte müssten parallel und nicht nacheinander umgesetzt werden. „Es wäre schön, wenn das neue ‘Deutschlandtempo’ nicht nur bei zwei LNG-Terminals funktioniert.“ Die Entfesselung von bürokratischen Hemmnissen würde zudem wie ein riesiges Konjunkturprogramm wirken, prognostiziert Kocherscheidt. „Wir legen uns selbst Fesseln an. Gäbe es sie nicht, bräuchte es auch keine aufwendigen Fördersysteme.“