Hagen. Der Hagener geht ins Kloster, um Ruhe zu finden. Das Interesse an Auszeiten wachse, stellt die Abtei Königsmünster in Meschede fest.
Nein, überrascht haben ihn die Reaktionen nicht. „Die meisten meiner Freunde und Bekannten waren sehr verdutzt, sie konnten nicht begreifen, wieso ich das mache“, sagt Karim Chebbi aus Hagen, 25 Jahre alt, von Beruf Erzieher. Ein junger Mann, den weltlichen Freuden durchaus zugetan: Partys, online sein, zocken am Computer. Als er erzählte, dass er ins Kloster gehen würde, machten alle große Augen. „Ein bisschen Spott“, sagt er, „war auch dabei.“
Er nimmt das niemandem übel, er weiß ja, dass Klöster nicht zwingend als hippe, coole Orte durchgehen, an denen junge Menschen wie selbstverständlich auftauchen. „Aber ich wollte in den Herbstferien weg vom Alltag, mal wirklich abschalten und entspannen“, sagt Karim Chebbi. Sein Job mit den Kindern ist wunderbar, aber stressig und laut.
Abtei Königsmünster in Meschede an Weihnachten immer ausgebucht
Nach Ruheangeboten suchte er im Internet. Er fand das katholische Zisterzienser-Kloster Stiepel in Bochum, buchte für zwei Nächte – und reiste an einem Samstagmorgen an. Im Gepäck: auch Aufregung. „Ich war sehr angespannt, weil ich absolut nicht wusste, was da auf mich zukommt“, sagt er. Wie präsent ist das Thema Religion für Gäste, fragt er sich. Und: Finde ich im Kloster, wonach ich suche? Ruhe, Entschleunigung, innere Einkehr?
Mit dem Wunsch genau danach steht er zumindest nicht allein da. 11.000 Übernachtungen im Jahr verzeichnet das wohl bekannteste Kloster in Westfalen, die Benediktiner-Abtei Königsmünster in Meschede. 80 Schlafplätze bietet sie, an Ostern und Weihnachten sind sie ausgebucht, für Weihnachten sogar knapp ein Jahr im Voraus. „Das Interesse von Menschen an Auszeiten ist eher steigend“, sagt Bruder Benjamin, der in Königsmünster für den Gästebereich zuständig ist. Frauen seien bei den Gästen deutlich in der Überzahl, aber es würden zusehends mehr Männer. Wie Karim Chebbi.
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Als Jugendlicher hatte er sich in der evangelischen Kirche in Hagen-Halden engagiert, war im Jugendzentrum aktiv und half bei der Konfirmationsarbeit. Das Thema Religion ist ihm nicht fremd, aber auch nicht mehr sehr nah. „In der Kirche bin ich meistens nur an Weihnachten“, sagt er.
Sein Zimmer im Kloster ist karg eingerichtet: ein Bett, ein Schreibtisch, ein Kleiderschrank, ein Kruzifix und ein Bild der Muttergottes an der Wand. Das war es. Kein Fernseher, kein Radio, dafür eine Bibliothek im Haus. Das Handy darf er mitnehmen, aber er beschränkt sich freiwillig auf eine Stunde pro Abend.
„Du weißt manchmal nicht, womit du dich beschäftigen sollst. Normalerweise nimmt man sich dann das Handy, tingelt bei Instagram herum oder schreibt Nachrichten. Diese Leere konstruktiv zu füllen, war eine Aufgabe für mich.“
Um 6 Uhr morgens findet das erste Gebet statt, 12 Uhr das Mittagsgebet, 18.30 Uhr die Abendmesse, 19 Uhr das Abendgebet. Er darf überall dabei sein, muss er aber nicht. Mit den Gepflogenheiten der katholischen Kirche sei er ohnehin nicht gut vertraut, sagt er. Trotzdem geht er zu einer Abendmesse. „Das bereue ich nicht. Die Botschaft ist ein Denkanstoß fürs eigene Leben, was man vielleicht vermisst oder worauf man mehr achten sollte.“
Karim Chebbi schaut auf sich, auf die Tatsache, dass er gern ausgeht mit Freunden, dass dieser Konsum ihn nicht wenig Geld kostet. „Geld ist nicht alles im Leben“, sagt er, „wichtig sind Freunde, Familie und etwas Gutes zu tun für seine Mitmenschen.“ Darauf will er sich jetzt mehr besinnen, ohne gleich ein anderer Mensch zu werden. „Ich gehe weiterhin mit Freunden aus, aber sich einmal erden zu lassen, ist nicht verkehrt in unserer schnelllebigen Gesellschaft.“
Die Not ist zu spüren: Darf ich das Handy nutzen?
Morgens gibt es Frühstück, abends eine Brotzeit, mittags warmes Essen, das er aber verpasst, weil er im nahen Wald wandern geht, 15 bis 20 Kilometer pro Tag. Rund 90 Euro kostete ihn der Aufenthalt. Ob er Langeweile verspürte. „Oh ja“, sagt er, „du weißt manchmal nicht, womit du dich beschäftigen sollst. Normalerweise nimmt man sich dann das Handy, tingelt bei Instagram herum oder schreibt Nachrichten. Diese Leere konstruktiv zu füllen, war eine Aufgabe für mich.“
Eine Beobachtung, die auch Bruder Benjamin in der Abtei Königsmünster macht. „Wenn jüngere Erwachsene bei uns ankommen, dann kann man eine gewisse Not spüren: Darf ich das Handy nutzen, kann ich den Kontakt halten“, berichtet er von der drängendsten aller Fragen mancher, die ins Kloster in Meschede nahe des Ruhrtalradwegs kommen. 42 Euro bis 102 Euro kostet die Nacht bei Vollpension je nach Unterbringung (Oase oder Haus der Stille) und Zimmerart (Einzel- oder Doppelzimmer).
„Die Ruhe ist ein Motiv, warum die Menschen zu uns kommen“, sagt Bruder Benjamin. „Aber wenn sie die Ruhe dann erleben, dann kann sie auch den einen oder anderen im ersten Moment überfordern. Aber das ist nicht schlimm. Viele kommen dann auf uns zu und mit uns ins Gespräch.“ Im Alltag könne man sich mit allerhand Aktivitäten ablenken, aber in der Stille, im Gespräch mit sich selbst tauchten die Fragen auf.
Angst vor der Zukunft bewegt viele Gäste im Kloster
„Bei uns ist nicht wichtig, ob jemand Buddhist oder Muslim ist, ob jemand evangelisch, katholisch oder aus der Kirche ausgetreten ist“, sagt Bruder Benjamin. „Die Menschen haben unabhängig von ihrer Konfession Sinnfragen, die sich auch mit dem Austritt aus der Kirche nicht erledigen. Das erleben wir hier häufig. Das Kloster ist ein Anlaufpunkt für alle.“ Und möglicherweise wichtiger denn je: „Die Krisen auf der Welt“, sagt Bruder Benjamin, „die beschäftigen die Menschen schon sehr. Das Thema Angst vor der Zukunft gerät viel stärker in den Vordergrund.“
Das war nicht das Motiv von Karim Chebbi - und wenn doch, sagt er es nicht. „Ich wollte Zeit mit mir selber verbringen, meine Gedanken schweifen lassen, mal ein Buch lesen, statt auf die Glotze zu starren. Es geht alles so schnell. Einen Ort zu finden, wo die Zeit langsam vergeht, wo Ruhe noch etwas bedeutet, ist schon etwas Schönes“, sagt er. Gefallen hat es ihm offenbar auch. „Ich bin sehr entspannt aus diesem Wochenende gekommen - und mit einem veränderten Mindset.“