Lüdenscheid. Der Prozess gegen eine 22-Jährige, die 150 Brände gelegt haben soll und den Rechtsstaat vor Probleme stellt, startet unerwartet.
Die Frau, die angeblich die Stadt in Atem hält und den Rechtsstaat seit Jahren vor ein Problem stellt, ist nicht von beeindruckender Statur. Als sie den Gerichtssaal 125 betritt, streicht sie sich mehrfach das fingerlange rotblonde Haar in die Stirn, als könnte sie sich dahinter verstecken. Den Kragen des schwarzen Kapuzenpullovers zieht sie sich bis unter die dunkel gerahmte Brille, als sie sich gesetzt hat. 22 Jahre alt, weiche Gesichtszüge - das ist die Frau, die für über 150 Brände in Lüdenscheid und ihrem früheren Wohnsitz Bochum verantwortlich sein soll. Rund 50 dieser Fälle wurden am Mittwoch vor dem Amtsgericht Lüdenscheid verhandelt, kurzfristig dann doch unter Ausschluss der Öffentlichkeit – und vorerst ohne Ergebnis.
Brandserie im Sauerland: Öffentliches Interesse ist groß
Das öffentliche Interesse an der jungen Frau ist groß. Rund 30 Zuschauer drängen sich in den kleinen Raum des Amtsgerichts, eine Fernsehkamera steht bereit, ehe die Verteidigung den Prozesstag mit dem Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit eröffnet. Nach fast 45-minütiger Beratung entspricht Richter Thomas Kabus diesem Wunsch. Begründung: Da es sich bei der mutmaßlichen Täterin um eine Heranwachsende handele, wolle das Gericht „dem besonderen Schutzbedürfnis gerecht werden“, wie Richter Kabus formuliert. Auch durch das mediale Interesse drohe eine Stigmatisierung einer jungen Frau, die möglicherweise psychisch labil sei. „Aber wer schützt uns vor ihr?“, fragt ein Zuschauer beim Verlassen des Gerichtssaals.
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Das ist die Kernfrage dieses schwierigen Falles. Seit Jahren gehen vornehmlich Altpapiercontainer in Flammen auf. Doch dem Rechtsstaat gelingt es bislang nicht, entweder die mutmaßliche Täterin abzuhalten, oder aber die Öffentlichkeit vor ihr zu schützen. Grund: Weil es sich bei den Taten im juristischen Sinne nicht um Brandstiftung, sondern um Sachbeschädigung handelt, ist ihr bisher nicht beizukommen.
Die zuständige Staatsanwaltschaft Hagen hatte im Dezember 2023 insgesamt 26 Sachbeschädigungen und eine versuchte schwere Brandstiftung angeklagt. In dem einen Fall, so arbeiteten die Ermittler heraus, hätte ein Wohnhaus in Brand geraten können, hätten Menschen gefährdet sein können. Doch das Landgericht folgte dieser Argumentation nicht – und verwies den Fall an das Amtsgericht in Lüdenscheid.
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Das wiederum macht die zwangsweise Unterbringung der jungen Frau in einer Klinik schwierig, denn das Amtsgericht kann darüber nicht entscheiden, sondern nur das Landgericht in Hagen, das den Fall bekanntermaßen zurückwies. Oberstaatsanwalt Gerhard Pauli befand im Frühjahr 2024 im Gespräch mit der WESTFALENPOST, der Fall befinde sich „an der Grenze zwischen Strafverfolgung und Sozialarbeit“. Die junge Frau habe bereits stationäre Aufenthalte in der Psychiatrie hinter sich. Es stellt sich damit auch die Frage der Schuldfähigkeit.
Insgesamt fast 50 Brandfälle werden verhandelt
Zu den 27 Fällen, die die Staatsanwaltschaft Hagen vorbringt, gesellt sich eine zweite Anklage aus November 2022. Die Staatsanwaltschaft Bochum, in deren Zuständigkeitsbereich die junge Frau früher wohnte, wirft der jungen Frau 21 Sachbeschädigungen durch Feuer und zwei Brandstiftungen (an Autos) vor.
„Wenigstens habe ich sie jetzt einmal gesehen“, sagt ein Mann im karierten Kurzarmhemd. Auch er wollte der Verhandlung beiwohnen, wollte hören, wie sich die Frau erklärt. Wie so viele andere. „Vielleicht kann ich eine weitere Tat verhindern, wenn ich sie in Zukunft in der Nähe eines Containers sehe“, sagt der Mann.
Brandserie beschäftigte auch den Landtag
Die Brandserie treibt die Menschen in der Stadt um – und ebenfalls die Tatsache, dass sie bislang nicht zuverlässig beendet werden kann. Selbst den Landtag beschäftigte das Thema schon, weil der SPD-Abgeordnete Gordan Dudas eine Kleine Anfrage an die NRW-Landesregierung stellte. Tenor: Sieht die Regierung eine Möglichkeit, weitere Brandstiftungen zu verhindern? Er äußerte damals große Sorge: „Diese Nicht-Handlungsfähigkeit des Staates, so fürchte ich, kann für eine Demokratie gefährlich werden.“ Antwort auf seine Anfrage: Die Landesregierung will sich zu abstrakten Rechtsfragen nicht einlassen.
Hinter den verschlossenen Türen des Amtsgerichts wurde am Mittwoch von morgens an bis nach 17 Uhr verhandelt. Angesetzt war ursprünglich nur ein Verhandlungstag. Doch nun sind noch weitere Fortsetzungstermine festgesetzt: 18. Oktober und 29. Oktober. Dann erst fällt ein Urteil über die Frau, die die Stadt in Atem halten soll.