Hagen. Die Zahl der Geflüchteten geht teils zurück, dennoch haben Kommunen in der Region zu kämpfen. So ist die Lage in Südwestfalen.
Für die einen ist die Situation in diesem Sommer vergleichsweise ruhig, gar von einer Atempause bei der Zuwanderung von Flüchtlingen ist die Rede. Fragt man hingegen andere, ist von einer Entspannung nichts zu hören. Im Gegenteil.
Über Monate war das Flüchtlingsthema eines der beherrschenden, galt etwa als mitentscheidend für die Ergebnisse der Europawahl im Juni, beschäftigte Bürger, Kommunen, Politiker, Parteien, Bundesländer, Bund und EU, sorgte mancherorts, etwa in Arnsberg-Oeventrop, für emotionale Diskussionen über die Unterbringung von Flüchtlingen.
Nun herrscht Sommerpause – und relative Ruhe. Oder?
„Die Zuzugszahlen sind in diesem Jahr bisher relativ moderat. Den Kommunen gibt das etwas Luft zum Atmen“, erklärt beispielsweise der Städte- und Gemeindebund NRW.
Anders klingt hingegen etwa die Auskunft der Stadt Hagen: „Die aktuelle Situation der Kommune ist angespannt, alle Unterbringungsreserven sind ausgeschöpft.“ Aus diesem Grund gewährte die Bezirksregierung Arnsberg Hagen jüngst eine temporäre Zuweisungspause von Flüchtlingen.
Die Beurteilung der Lage, das zeigt eine Umfrage in Südwestfalen, variiert, was die Angelegenheit nicht weniger kompliziert macht.
Fünf neue zentrale Flüchtlings-Unterkünfte
Im Regierungsbezirk Arnsberg gibt es unterschiedliche Flüchtlingsunterkünfte. Die Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) Unna dient der Registrierung, der Erstuntersuchung und der Antragstellung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), um das Asylverfahren zu eröffnen. Danach werden die Asylbewerber sowie die ukrainischen Flüchtlinge Zentralen Unterbringungseinrichtungen (ZUE) und Notunterkünften (NU) des Landes zugeteilt, später dann auf die Kommunen verteilt. Im Regierungsbezirk Arnsberg wurden in diesem Jahr bisher vier neue zentrale Unterbringungseinrichtungen in Betrieb genommen (in Hamm, Dortmund, Finnentrop und Werl, siehe Grafik). Die Inbetriebnahme der NU Hagen ist laut Bezirksregierung zum 1. November geplant. Weitere sollen folgen. In NRW sollen die Landes-Kapazitäten von 31.000 Plätzen (in 2023) bis zum Ende dieses Jahres auf 41.000 ausgebaut werden. Auf den Regierungsbezirk Arnsberg entfallen davon 8.240 Plätze.
Bezirksregierung: 20 Prozent weniger Asylsuchende
Laut Bezirksregierung Arnsberg sei die Zahl der Asylsuchenden vor dem Hintergrund der anhaltenden Grenzkontrollen – seit Oktober an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz – gesunken. Die Zugänge in 2024 lägen circa 20 Prozent unter denen des „sehr zugangsstarken Jahres 2023“. Dafür seien die Zugänge von Schutzsuchenden aus der Ukraine – die keinen Asylantrag stellen müssen – allerdings in diesem Jahr deutlich höher als im Vorjahr, als insgesamt 14.986 Personen gekommen seien.
„Hier erreichen wir im August bereits die Zahl der Gesamtzugänge des Jahres 2023“, so die Arnsberger Behörde, welche in Nordrhein-Westfalen für die gesetzlich geregelte Verteilung der Flüchtlinge aus den zentralen Landesunterkünften auf die Städte und Gemeinden zuständig ist. Anfang Juli waren in den zentralen Flüchtlingsunterkünften in Südwestfalen 4.663 Personen untergebracht – 1109 weniger als ein Jahr zuvor.
„Die aktuelle Flüchtlingssituation in der Universitätsstadt Siegen ist als stabil zu bezeichnen.“
Zur Auskunft der Bezirksregierung, dass zumindest die Zahl der Asylsuchenden gesunken ist, passen die Erklärungen etwa der Stadt Attendorn, welche die Flüchtlingssituation gegenwärtig als „verhältnismäßig ruhig“ beschreibt (wobei weder von einer Entspannung noch von einer Verschärfung gesprochen werden könne), oder aus Siegen. „Aufgrund der bisher niedrigen Zuweisungs- und Aufnahmezahlen im Jahr 2024 ist die aktuelle Flüchtlingssituation in der Universitätsstadt Siegen als stabil zu bezeichnen. Dies bezieht sich insbesondere auf die Unterbringungssituation“, heißt es aus dem Süden des Regierungsbezirks.
Trotz der teilweise niedrigeren Zugangszahlen bezeichnen in einer Stichproben-Umfrage in der Region andere Kommunen die Lage wahlweise als „angespannt“ oder „herausfordernd“, dazu gehören neben Hagen auch Meschede, Olsberg, Bestwig, Winterberg und Menden. Letztgenannte Stadt gibt an, im bisherigen Jahresverlauf 116 Personen aufgenommen zu haben – 22 mehr als im gesamten Vorjahr. Ähnlich wie Hagen, wo Anfang November eine neue Landeseinrichtung mit Platz für 800 Flüchtlinge in Betrieb gehen soll, wurde Menden im Juni und Juli eine fast fünfwöchige Zuweisungspause von der Bezirksregierung gewährt.
16 Kommunen aus Südwestfalen überlastet
Solche temporären Zuweisungsstopps oder auch sogenannte Überlastungsanzeigen der Kommunen müssen von der Bezirksregierung bewilligt werden. Seit September 2023 wurden insgesamt 16 Kommunen aus der Region Atempausen zugestanden. Das sind knapp 20 Prozent der 83 Kommunen im Regierungsbezirk. Die betreffenden Kommunen sind: Bad Laasphe, Bochum, Breckerfeld, Drolshagen, Finnentrop, Gevelsberg, Hagen, Hallenberg, Hattingen, Lüdenscheid, Menden, Möhnesee, Nachrodt-Wiblingwerde, Olpe, Plettenberg und Sprockhövel. Dies geht aus der Antwort des Landesministeriums für Flucht und Integration auf eine parlamentarische Anfrage der FDP-Abgeordneten Marc Lürbke und Marcel Hafke sowie aus Angaben der Bezirksregierung Arnsberg hervor.
Rechtlich definierte Kriterien für das Vorliegen einer Überlastung gibt es laut Bezirksregierung Arnsberg nicht. Die Situation werde stattdessen intensiv mit einer betroffenen Kommune erörtert, eine Überlastung müsse „ausführlich begründet“ werden. Überlasteten Kommunen kann für eine gewisse Zeit eine Verschnaufpause bei der Aufnahme von Flüchtlingen oder eine reduzierte Zuweisung gewährt werden. Je nach Unterbringungsmöglichkeiten können etwa keine Familien, sondern nur Einzelpersonen zugewiesen werden.
Mit einer Überlastungsanzeige, die wiederholt gestellt werden kann, lässt sich die Aufnahme von Flüchtlingen nicht verhindern. Die Kommunen müssen ihre Aufnahmeverpflichtungen nacharbeiten, so die Bezirksregierung.
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Freier Wohnraum Mangelware
Als nach wie vor „zentrales Problem“ bezeichnen viele Kommunen den Mangel an Wohnraum. Selbst gut integrierte Flüchtlinge könnten daher Sammelunterkünfte nicht verlassen, weil sie woanders nicht unterkämen. „Neu hinzukommende Flüchtlinge verschärfen das Problem, auch bei geringen Zahlen“, so der Städte- und Gemeindebund NRW.
Hinzu kommt, dass sowohl Neuankömmlinge als auch bereits hier lebende Flüchtlinge nicht nur untergebracht, sondern auch betreut werden müssen, etwa Sprach- und Integrationskurse sowie Kindergarten- und Schulplätze benötigen. Hier würden die Kommunen „zunehmend an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen. Gleiches gilt auch für das Gesundheitssystem vor Ort“, teilt die Stadt Attendorn mit. Die Stadt Siegen spricht von „weiterhin erheblichen Anstrengungen“, die in diesem Bereich erforderlich seien. Und auch der Städte- und Gemeindebund NRW betont, dass die Kommunen nach wie vor „Zeit und Unterstützung“ für die Integration der Flüchtlinge bräuchten.
„Die aktuelle Situation der Kommune ist angespannt, alle Unterbringungsreserven sind ausgeschöpft.“
Im Übrigen dürften die Kommunen nicht weiter auf den Kosten für die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge sitzen bleiben. „Finanziell sind sie längst am Limit. Regelmäßig gehen die Städte und Gemeinden in Vorleistung und bekommen den Aufwand nicht voll erstattet. Zum Beispiel die Vorhaltekosten: Eigentlich müssten wir Plätze freihalten, damit wir bei kurzfristigen Zuweisungen nicht wieder Turnhallen belegen müssen. Aber für leere Betten bekommen die Kommunen keinen Cent“, so der kommunale Verband, der zudem fordert, dass Bund und EU „Zuwanderung endlich begrenzen und steuern“.
Erfahrungsgemäß, so heißt es vonseiten fast aller befragter Stellen, würden im Herbst und Winter die Flüchtlingszahlen wieder steigen. Darauf müssen sich die Kommunen einstellen.
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