Bad Laasphe. Eine Gruppe Männer überwintert in einer Notunterkunft in Bad Laasphe. Ohne Trennwand oder Sichtschutz. Nun ist Besserung in Sicht.

Sie mag sich das gar nicht vorstellen, solch ein Leben in einer Turnhalle, über Monate, mit lauter Fremden um sich herum, in einem fremden Land, ohne die Sprache zu beherrschen. Ohne Familie. Ohne Job. Ohne Privatsphäre.

„Das“, sagt Ingeborg Warratz, „ist ganz sicher nicht schön.“

Was für die Koordinatorin der Flüchtlingsinitiative Bad Laasphe – und wahrscheinlich für viele andere – unvorstellbar ist, ist für Darwish Xahya und 19 weitere Männer Realität. Der Libanese lebt seit Jahresbeginn in der Dreifachturnhalle in Bad Laasphe, in der Feldbetten ohne Trennwand oder Sichtschutz stehen und jeder vom anderen fast alles sieht und hört. Ein Leben in einer Umgebung, die als Notunterkunft gedacht ist, aber für Darwish Xahya seit drei Monaten sein Zuhause ist. Zehn seiner „Mitbewohner“ harren sogar bereits seit November dort aus. Fast ein halbes Jahr in einer Turnhalle, tagein, tagaus, im Winter, in einer Kleinstadt im ländlichen Wittgenstein.

Als „nicht schlecht, okay“ bezeichnet Darwish Xahya die Bedingungen. Diplomatisch formuliert. Der 34-Jährige möchte wohl nicht undankbar erscheinen, öffentlich nichts Falsches sagen; im Dezember, nach einem ersten Besuch der WESTFALENPOST vor Ort, hatten Äußerungen eines Flüchtlings über Konflikte untereinander für Kritik durch die Flüchtlingsinitiative gesorgt.

Es ist ein sensibles Thema. Der Fall der 20 Männer in der städtischen Turnhalle in Bad Laasphe sagt viel darüber aus, welche Herausforderungen die Flüchtlingskrise mit sich bringt. Für alle Seiten: Stadt, Bürger, Flüchtlinge.

Da, wo sonst geturnt wird, sperren Bauzäune die Klettergerüste ab.
Da, wo sonst geturnt wird, sperren Bauzäune die Klettergerüste ab. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Zuweisungen sind „Lotterie“

Seit November nutzt die Stadt Bad Laasphe die Dreifachturnhalle für die Unterbringung von Flüchtlingen. Elf Männer – fünf Ukrainer, sechs Syrer – waren es zunächst. Das hatte der Stadt die Diskussion beschert, ob man denn elf Personen in einer 13.500-Einwohner-Stadt nicht woanders hätte unterbringen können. Inzwischen sind in der größten Halle der Stadt, die für den Schul- und Vereinssport gesperrt ist, 20 Männer untergebracht; für Frauen und Familien konnten Wohnungen gefunden werden.

„Jetzt kann man sagen: War es denn erforderlich, für 20 Leute die Halle zu nutzen?“, sagt Bürgermeister Dirk Terlinden – und liefert die Antwort gleich mit: „Ja, war es, es war die richtige Strategie.“ Sie seien trotz großer Hilfsbereitschaft der Bevölkerung in einer Notlage gewesen, hätten keine Wohnungen mehr gefunden und damit keine andere Wahl gehabt.

Wir kommen durch die Wohncontainer endlich aus dem Notfall-Feuerwehr-Modus raus, kurzfristig Kapazitäten schaffen zu müssen.
Dirk Terlinden - Bürgermeister Bad Laasphe

Den Kommunen werden die Flüchtlinge von der Bezirksregierung Arnsberg zugewiesen. Wie viele Menschen tatsächlich vor Ort ankommen (und wer: alleinreisende Männer, Frauen, Familien?), lässt sich allerdings oft schwer prognostizieren. Bad Laasphes Sozialamtsleiter Jann Burholt spricht von einer „Lotterie“. Um für alle Fälle gewappnet zu sein, funktionierten sie im Herbst die Turnhalle um. Dann fielen die Zuweisungen niedriger aus, aber das hätten sie im Vorfeld ja nicht wissen können, sagen Terlinden und Burholt.

Inzwischen haben sie – finanziert durch einen Millionen-Kredit der NRW-Bank – Wohncontainer bestellt, die Platz für insgesamt 216 Menschen bieten. Dadurch sei die Stadt für dieses und das kommende Jahr gut aufgestellt, käme „endlich aus dem Notfall-Feuerwehr-Modus raus, kurzfristig Kapazitäten schaffen zu müssen“, sagt Bürgermeister Terlinden.

Nicht zuletzt kommen die 20 Männer endlich aus der Notunterkunft raus.

Blick in die Dreifachturnhalle in Bad Laasphe: Hier sind derzeit sechs Ukrainer, 13 Syrer und ein Libanese untergebracht.
Blick in die Dreifachturnhalle in Bad Laasphe: Hier sind derzeit sechs Ukrainer, 13 Syrer und ein Libanese untergebracht. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Die Probleme: Schnarchen, Essen, Langeweile, keine Privatsphäre

Die Wohncontainer, die unter anderem über Küchenmodule verfügen, sollen in einer ersten Tranche Mitte April geliefert werden. Dann können die sechs Ukrainer sowie 13 Syrer und Darwish Xahya die Turnhalle verlassen und wieder ein halbwegs selbstbestimmtes Leben führen, etwa ihr eigenes Essen zubereiten. In der Turnhalle werden sie zentral von einem Caterer verpflegt, was gut klingt und gut gemeint ist, aber Darwish Xahya sagt – mit aller Vorsicht –, dass es ihm lieber wäre, er könne sich selbst versorgen, sein eigenes Essen kochen.

In den Gesprächen mit ihm und den Verantwortlichen der Stadt wird die Verpflegung, neben dem Schnarchen des einen oder anderen Turnhallen-Bewohners, mehrfach als eines der Probleme genannt. Manchmal soll das Essen zu knapp bemessen sein, nicht immer schmeckt es wohl allen, es unterscheidet sich von dem, was sie kennen. Zudem ist derzeit Ramadan, der Fastenmonat der Muslime. Kompromisse sind gefragt. Eine Lösung zu finden, mit der alle immer zufrieden sind, ist anspruchsvoll. Das kennt wohl jede Familie, das gibt‘s im Ferienlager, auf Reisen.

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Wenn 20 Männer über Monate in einer Turnhalle leben müssen, kann es auch zu Meinungsverschiedenheiten kommen, zumal sie wenig Abwechslung haben. Darwish Xahya, der etwas Deutsch spricht und erklärt, Bauarbeiter zu sein und arbeiten zu wollen, es aber nicht zu dürfen, beschreibt seinen Tagesablauf als eine Abfolge von: „schlafen, essen, spazieren, viel Langeweile“.

Hinzu kommt der Mangel an Privatsphäre. Über Monate. Dabei habe doch „jeder Mensch andere Bedürfnisse“, sagt Ingeborg Warratz und bemerkt: „Ich weiß nicht, wie wir reagieren würden, wenn wir so leben müssten.“

Man hat keinerlei Privatsphäre. Ich weiß nicht, wie wir reagieren würden, wenn wir so leben müssten.
Ingeborg Warratz - Flüchtlingsinitiative Bad Laasphe

Die 69 Jahre alte Sozialarbeitern engagiert sich im Ruhestand ehrenamtlich in der Flüchtlingsinitiative. Sie und ihre Mitstreiter helfen bei Anträgen, bei der Integration, versuchen, insbesondere auch die 20 Männer aus der Halle zu beschäftigen. Warratz findet es „bewundernswert“, wie „gut“ und „friedlich“ das Zusammenleben in der Halle trotz der genannten Herausforderungen funktioniere.

Dass im Dezember ein ukrainischer Flüchtling im Gespräch mit der WESTFALENPOST über Meinungsverschiedenheiten zwischen Ukrainern und Syrern berichtet hatte, weil Geschirr nicht gereinigt und es in der Halle mal zu laut gewesen sein soll, stieß bei Warratz und der Flüchtlingsinitiative hingegen auf wenig Verständnis. „Das ist ein sehr sensibles Thema“, sagt Warratz, „solche Äußerungen befeuern Vorurteile.“

Laut Polizei ein Vorfall in fünf Monaten

Wie sensibel das Thema ist, zeigt sich vor Ostern. Der junge Mann, der im Dezember von den Meinungsverschiedenheiten berichtet hatte, möchte sich nicht mehr äußern. Auch an anderer Stelle ist große Vorsicht zu spüren.

Andere Kommunen und Behörden lassen Journalisten nicht in solche Flüchtlingsunterkünfte, Bad Laasphe hingegen schon, bereits zum zweiten Mal. Bürgermeister Dirk Terlinden sagt, man habe nichts zu verbergen. Dass es zu Diskussionen komme, wenn 20 Männer unterschiedlicher Herkunft über Monate in einer Turnhalle leben müssten, bezeichnet er als „normal“. In der Halle sind rund um die Uhr im Schichtdienst zwei Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma im Einsatz, die Arabisch und Russisch sprechen. Sie fangen laut Sozialamtsleiter Jann Burholt „viel auf“. Aber wohl nicht alles.

Die Kreispolizeibehörde Siegen-Wittgenstein teilt auf Anfrage mit, dass es Mitte März zu einem Körperverletzungsdelikt zwischen zwei Bewohnern der Turnhalle gekommen sei, „ohne sichtbare Verletzungen“. Es sei der bislang einzige Polizei-Einsatz dort gewesen. Die Arbeit des Sicherheitsdienstes, den die Stadt beauftragt hat, beurteilt die Polizei als „sehr positiv“.

Bürgermeister Terlinden zeigt sich „sehr froh“, dass die Notunterkunft wohl bald geschlossen werden kann, die 20 Männer in die Wohncontainer umziehen.

Darwish Xahya sagt, 100 Prozent Zufriedenheit wären erreicht, wenn er eine eigene Wohnung hätte, aber nach dem Umzug in den Container werde man nah dran sein: bei „90 Prozent“. Also viel besser als derzeit.