Olpe. Flüchtlingsunterkünfte sind ein Streitfall. Hier berichten Anwohner, Polizei und Geflüchtete von ihren Erfahrungen. Sie trennen Zäune und Welten.
Unterkünfte für Geflüchtete werden vielerorts zum Streitfall, wie unter anderem der Fall Arnsberg-Oeventrop gezeigt hat. Wie aber ist es, über Jahre neben einer Zentralen Unterbringungseinrichtung (ZUE) zu leben? Was berichten Anwohner? Und wie nehmen Geflüchtete, die dort untergebracht sind, die Situation wahr?
In Olpe steht die mit offiziell 400 Plätzen kleinste ZUE in der Region, auf dem Gelände einer früheren Kolping-Familienferienstätte, idyllisch am Waldrand gelegen, zwischen einem Wohngebiet und dem Kreuzbergstadion, mit hauseigenem Spiel- und Bolzplatz.
Die Landeseinrichtung wird seit der Flüchtlingskrise 2015/16 betrieben (mit Unterbrechungen wegen Umbaumaßnahmen). Anwohner, Verantwortliche und Polizei haben also Erfahrungen über mehrere Jahre gesammelt. Ihre Schilderungen unterscheiden sich teils deutlich.
Ein Besuch in der ZUE wurde dieser Redaktion verweigert. Dennoch kommen hier nun die Beteiligten zu Wort.
Die Behörden
Im Umfeld der umzäunten und von einem Sicherheitsdienst bewachten Anlage sind bei zwei unangekündigten Besuchen fast nur Männer zu sehen, was zu der Auskunft der für die Einrichtung zuständigen Bezirksregierung Arnsberg passt. Die ZUE Olpe war zuletzt mit 394 Personen nahezu voll belegt. 86 Prozent der Bewohner waren männlich, 71 Prozent alleinreisende Männer. Mehr als 30 Nationalitäten waren vertreten. Die Top 3 der Herkunftsländer: Türkei, Syrien, Afghanistan.
Die Bewohner werden voll verpflegt, es gibt Integrations- und Sprachkurse, für Kinder und Jugendliche ein schulnahes Bildungsangebot. Besuch von externen Personen in der ZUE sei in der Regel nicht möglich, aus Gründen des Schutzes der Privatsphäre und der Sicherheit der Bewohner, erklärt die Bezirksregierung. Auch die Presse darf nicht rein.
„Hintergrund ist, dass es sich bei Unterkünften für Geflüchtete um einen besonders geschützten Bereich handelt. Unter anderem aus Gründen der Privatsphäre ist ein Zutritt daher nicht möglich“, teilt das Landesministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration mit.
Die Bewohner
Bei den unangekündigten Besuchen im Umfeld der Anlage möchten oder können die meisten befragten Bewohner nicht mit der Presse sprechen. Kein Deutsch, kein Englisch, heißt es oft. Stattdessen: Arabisch, Türkisch, Kurdisch oder Farsi. Ein Paar ist sich unsicher, ob die Einrichtungsleitung Gespräche mit Medien zulasse, sagt lieber nichts.
Schließlich findet sich Diallo aus Guinea. Der 23-Jährige ist mit zwei Landsmännern unterwegs, spricht etwas Englisch, außerdem ein paar Brocken Deutsch, sagt beispielsweise: „spazieren“. Es ist offenbar seine Hauptbeschäftigung, neben Schlafen und Fußballspielen, wie er erzählt. Er wolle arbeiten, dürfe jedoch nicht. Seit Wochen finde außerdem kein Sprachunterricht in der ZUE statt, was die Bezirksregierung auf Nachfrage bestätigt (bald aber gehe es weiter).
Während Diallo erzählt, dass er vor sieben Jahren Guinea verlassen habe und seit drei Monaten in Olpe sei, erscheinen zwei Mitarbeiter des ZUE-Sicherheitsdienstes. Das Duo unterbricht die – auf öffentlichem Grund stattfindende – Unterhaltung. Auf den Hinweis, dass es ein Presse-Gespräch sei, reagieren die Security-Männer mit der Erkundigung, was man die Bewohner frage. Erst nach dem Hinweis, dass die Bewohner laut Bezirksregierung außerhalb der Einrichtung mit Medienvertretern sprechen dürfen, gehen die beiden wieder.
Diallo berichtet dann weiter, von seiner Reise über Spanien und Frankreich nach Deutschland. Das „deutsche System“ sei besser als in den anderen Ländern. Hier müsse er nicht auf der Straße schlafen, bekomme Taschengeld. Die Menschen in Olpe seien „freundlich“, auch in der ZUE sei es gut, es gebe keine Kämpfe. Auf gezielte Nachfrage erklärt Diallo später, dass es in der Unterkunft „einige gute“ und „einige schlechte“ Personen gebe. Wie überall. Seine Bleibe-Chancen in Deutschland beziffert er im Übrigen auf 30 Prozent.
Die Anwohner
Alexander Schwegel, Chef einer Firma für Medientechnik und -produktion, wohnt mit seiner Familie seit fünf Jahren in der Nähe der ZUE und sagt: „Wir fühlen uns sehr wohl, es ist ein tolles Wohngebiet. Ich kann nichts Negatives über die ZUE berichten.“ Auf einem Spielplatz im Wohngebiet treffe man auch Familien aus der ZUE. „Die benehmen sich genauso wie alle anderen. Die Kinder spielen miteinander“, erzählt Schwegel. In der Vergangenheit habe es zwar „ein, zwei Fälle“ gegeben, in denen ein Rettungswagen oder die Polizei bei der ZUE vorbeigekommen sei. „Aber die Einrichtung ist in meinen Augen kein Brennpunkt“, sagt Schwegel.
Wolfgang Maasjost wohnt in derselben Straße wie Schwegel, aber in unmittelbarer Nachbarschaft zur ZUE. Der Bau-Sachverständige, der sich einst bei einer inzwischen verstummten Bürgerinitiative gegen die Einrichtung der ZUE engagierte, sagt wie sein Nachbar und Mitstreiter Peter Kliche, dass „die Belästigung gerade in diesem Jahr extrem zugenommen“ habe. „Es geht um Lärm, massiven Lärm, und um mangelndes Einschreiten durch Polizei und Ordnungsdienst“, so Maasjost. Bewohner der ZUE schrien, Kinder tobten herum. Man werde „mit allen möglichen Musikstilen zugedudelt“. Lärm bis spät in die Nacht. Die Lebensqualität habe stark gelitten. Der Polizei wirft Maasjost vor, dass bei Beschwerden von Anwohnern „nur Ausflüchte“ kämen. „Es heißt dann beispielsweise, dass sie keinen Wagen frei hätten“, sagt er. Solchen Darstellungen widerspricht die Polizei.
Maasjost beschreibt viele Bewohner der ZUE als „ruhig, friedlich und nett“. Doch es gebe eben auch andere. „Meine Frau bemängelt, dass, wenn sie mit dem Hund in der Nähe der ZUE spazieren geht, immer irgendwelche Bewohner auf dem Fußballplatz stehen und sie fotografieren oder filmen. Meine Tochter sagt das auch.“ Auch hätten Bewohner der ZUE im Wohngebiet gestanden und die Häuser fotografiert. „Neulich hat einer in unserer Straße geguckt, ob die Autos abgeschlossen waren. Ein Nachbar hat erzählt, dass er mal einen in seinem Auto erwischt hat“, sagt Maasjost.
Die Polizei
Bei einem der Besuche dieser Zeitung an der ZUE Olpe steht vormittags ein Polizeiwagen vor der Einrichtung. Anlass sei aber nicht eine Schlägerei oder Ähnliches in der Einrichtung gewesen, sondern es handele sich um einen „Aufklärungseinsatz“, teilt die Kreispolizeibehörde Olpe auf Anfrage mit. Solche Aufklärungseinsätze führe man täglich an der ZUE durch.
Daten der Polizei zu ihren Einsätzen in der ZUE Olpe seit 2016 belegen, dass im laufenden Jahr ein Höchstwert erreicht werden könnte. Nach 108 Einsätzen im vergangenen Jahr – wegen Körperverletzung, Feueralarm, Randale, Diebstahl oder Hilfeersuchen – rückte die Polizei in den ersten acht Monaten dieses Jahres bereits 99-mal aus (zusätzlich zu den Aufklärungseinsätzen). Möglich, dass das mit der gegenwärtig sehr hohen Auslastung der ZUE zusammenhängt.
Am Fuße des Berges, auf dem die ZUE liegt, befindet sich unter anderem eine Lidl-Filiale. In der Gegend ist WLAN kostenlos verfügbar („Freifunk“). Bürger berichten, teils anonym, dass sich rund um die Discounter-Niederlassung viele Flüchtlinge tummelten, dass es Probleme mit (Laden-)Diebstahl gebe, Lidl deshalb einen Sicherheitsdienst dort einsetze. Anwohner Maasjost spricht von einem „Brennpunkt“.
Die Polizei räumt grundsätzlich ein, dass es bekannt sei, dass es in Olpe Straftaten gebe, die von Bewohnern der ZUE begangen würden; größtenteils handele es sich um Ladendiebstähle, mitunter begangen von Wiederholungstätern. Aber „die überwiegende Zahl der ZUE-Bewohner zeigt sich sehr normkonform“, betont die Polizei. In der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) sei seit Jahren festzustellen, dass sich die Kriminalitätslage im Kreis Olpe im Landesvergleich auf einem niedrigen Niveau bewege. „Aus Sicht der Behörde hat sich in den letzten Jahren das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung im Hinblick auf die ZUE verbessert“, teilt die Polizei mit.
Lidl äußert sich auf Anfrage zur Lage rund um die erwähnte Filiale ausweichend. „Bundesweit haben wir an ausgewählten Standorten Sicherheitsunternehmen für begrenzte Zeiträume beauftragt“, teilt das Unternehmen mit: „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir darüber hinaus keine Angaben zu internen Entscheidungsprozessen, Dienstleistern und zur Häufigkeit von Diebstählen in unseren Filialen machen.“