Hagen/Dortmund. Der Immunologe Carsten Watzl über das aktuelle Corona-Gefährdungspotenzial. Warum er Infizierten eine Maske im Flugzeug empfiehlt.

Carsten Watzl (53) ist Immunologe an der TU Dortmund und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. In der Pandemie war er häufig Gesprächspartner der Medien - unter anderem musste er in Ferienzeiten Fragen beantworten, wie man sich mit Blick auf das Infektionsgeschehen vor und während der Urlaubsreise verhält. Auch in diesem Sommer mischt sich in die Ferien-Vorfreude die bange Frage: Habe ich Corona? Fällt mein Urlaub aus?

Ist meine Urlaubsreise gefährdet, wenn ich an Covid-19 erkrankt bin oder jemand in meinem direkten Umfeld Corona hat?

Ein positiver Corona-Test ist kein Grund, die Urlaubsreise abzusagen. Es ist ja heute so: Wenn ich mit einem positiven Corona-Test zu meinem Hausarzt gehe und sonst keine schweren Symptome habe, schreibt der mich nicht mehr krank. Vor zwei Jahren musste man sich in einem solchen Fall noch isolieren. Aber das Gefährdungspotenzial hat sich verändert: Die meisten Menschen haben eine Grundimmunität erreicht, können sich jetzt zwar noch infizieren, aber erkranken nicht schwer.

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Wie sollte ich mich verhalten, wenn ich mit Erkältungssymptomen in ein Flugzeug oder einen Zug steige?

Es wäre schön, das Virus nicht wissentlich weiter zu verbreiten. Sie würden den Mitreisenden einen großen Gefallen tun, wenn Sie eine Maske aufsetzen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Sie im Urlaub Ihre Familie anstecken. Aber wenn es nicht die hochbetagten Großeltern sind, ist das Risiko einer schweren Erkrankung sehr gering. Letztlich ist es nicht anders als bei einer schweren Erkältung, die durch die Familie geht.

Sind wir vom Impfstatus her noch genügend geschützt?

Das Ziel der Impfungen ist und war, vor schweren Verläufen zu schützen. Die Impfungen schützen darüber hinaus vor einer Ansteckung und einer Weitergabe - aber das nur sehr bedingt und immer nur kurzzeitig. Wir müssen uns darauf verlassen, dass jetzt die allermeisten Menschen, gerade wenn man unter 60, gesund, drei Mal geimpft und ein-, zweimal genesen ist, eine gute Grundimmunität erreicht haben - dass man bei einer Infektion mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht schwer erkrankt.

Prof. Dr. Carsten Watzl leitet den Fachbereich Immunologie am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund. Er ist zudem Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie.
Prof. Dr. Carsten Watzl leitet den Fachbereich Immunologie am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund. Er ist zudem Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. © dpa | -

Sie sprechen das 60. Lebensalter an. Was sagt uns diese Zahl?

Die Ständige Impfkommission (STIKO) hat zu Recht eine Impfempfehlung für über 60-Jährige und Menschen mit chronischen Vorerkrankungen gegeben. Diese Personengruppen haben ein vergleichsweise höheres Risiko, an Covid-19 zu erkranken. Ich weiß, dass viele 60-Jährige sagen: Ich bin doch noch fit, ich brauche das nicht. Das ist immer eine persönliche Risikoeinschätzung. Aber man muss sagen: Ab 60 geht das Risiko Stück für Stück nach oben.

Sie empfehlen also eine Auffrischungsimpfung?

Für die genannten Gruppen ist es wichtig, sich im Herbst impfen zu lassen. Das ist ähnlich wie bei der Grippeschutzimpfung, die auch empfohlen wird. Ich finde es schade, dass die Bereitschaft zur Corona-Impfung nachgelassen hat. Die dritte Impfung haben fast alle über 60-Jährigen noch gemacht. Die Quote für die Auffrischungsimpfung im vergangenen Herbst lag nur noch bei um die 13 Prozent. Ich kann allen über 60-Jährigen und Menschen mit Vorerkrankungen nur dringend raten, sich in diesem Herbst impfen zu lassen. 

Haben Sie den Eindruck, dass das Thema Corona aus den Köpfen der Menschen verschwunden ist?

Bei den meisten schon. Was durchaus verständlich ist. Viele haben einfach die Nase voll davon. Dennoch: Das Verdrängen von Gefahren beziehungsweise eine Totalblockade ist nicht gut. Es nehmen mehr Menschen die Grippeschutzimpfung als die Corona-Auffrischungsimpfung in Anspruch. Dabei sind beide Impfungen für dieselben Risikogruppen empfohlen und könnten gleichzeitig verabreicht werden. Es hat sich bei einigen Menschen leider eine gewisse Abwehrhaltung breitgemacht. Aber für Risikogruppen ist es immer noch besser, sich die Immunität durch die Impfung aufzufrischen als durch eine Infektion. Hier müssen alle wieder ansetzen, damit die Impfzahlen steigen. Wir müssen nicht befürchten, dass im Winter die Intensivstationen überlastet werden. Aber Ältere und Vorerkrankte sollten die Impfung als eine Art Vorsorge sehen.

„Das Gefährdungspotenzial hat sich verändert: Die meisten Menschen haben eine Grundimmunität erreicht, können sich jetzt zwar noch infizieren, aber erkranken nicht schwer.“

Carsten Watzl
Immunologe an der TU Dortmund

Der Virologe Christian Drosten hat ein Buch mit dem Titel „Alles überstanden?“ herausgegeben. Darin schreibt er: „Jetzt haben viele den Ernst der Lage vergessen und wollen suggerieren, die Maßnahmen seien in Wirklichkeit alle übertrieben gewesen.“ Wie sehen Sie das?

Wenn man einigermaßen gut durch eine Infektion gekommen und der Worst Case nicht eingetreten ist, klingen Maßnahmen immer überzogen. Aber das ist ein falscher Schluss. Am Anfang der Pandemie wussten wir relativ wenig, wie sich das Virus ausbreitet, wer schwer betroffen ist und wie man sich am besten schützt. Von daher war es nachvollziehbar, dass man übervorsichtig war und erst einmal versucht hat, die Infektionszahlen niedrig zu halten. Natürlich wurden einige Maßnahmen ergriffen, die im Nachhinein nicht unbedingt notwendig waren. Ich denke da an die Schulschließungen oder Spielplatzsperrungen. Aber alles in allem sind wir auch dank der Maßnahmen in Deutschland relativ gut und schnell durch die Pandemie gekommen. Noch einmal: Ohne die Impfungen hätten wir es nicht geschafft, jetzt diese gute Basisimmunität zu haben. Dass wir sagen können: Eine reine Corona-Infektion ist nicht mehr gefährlich für einen sonst gesunden unter 60-Jährigen. Da musst du dich nicht regelmäßig impfen lassen, du wirst dich zwar regelmäßig infizieren, aber die schwere Erkrankung ist durch die Immunität verhindert.

In der Öffentlichkeit ist von einer drohenden Sommerwelle die Rede. Was kommt da auf uns zu?

Es ist einfacher, sich in Herbst und Winter mit Corona zu infizieren. Aber im Vergleich zu anderen Atemwegserregern wie RSV oder Influenza (Grippe), die über den Sommer fast gar nicht vorkommen, scheint es Corona doch noch zu schaffen, in dieser Jahreszeit ein gewisses Infektionsgeschehen zu verursachen. Dem Robert-Koch-Institut zufolge ist aktuell die Zahl der Atemwegsinfekte etwas höher als im vergangenen Jahr. Erkenntnisse aus dem Abwasser-Monitoring stützen diese Darstellung. Sommerwelle heißt aber nur, dass wir ein paar mehr Infektionen mehr haben. Verglichen mit dem, was im Winter los ist, ist das harmlos. Um auf das Thema Urlaub zurückzukommen: Wenn ich jetzt mit vielen Menschen zusammenkomme und mich mit Corona anstecke, ist das per se nichts Schlimmes – so lange ich nicht sofort nach meiner Rückkehr die Oma im Pflegeheim besuche und das Virus in die Einrichtung trage.

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Sollte ich mich vor der Urlaubsreise testen, wenn ich Erkältungssymptome habe?

Wenn ich keine Konsequenz daraus ziehe, muss ich mich auch nicht testen. Bei akuten Atemwegssymptomen ist es letztlich egal, ob es Corona, Grippe oder RSV ist. Hauptsache ich benutze im Flieger oder in der Bahn freiwillig eine Maske. Es wäre schön, wenn aus der Pandemie eine gewisse Infektionshygiene übriggeblieben wäre. Also: Wenn ich mit einer Erkältung zur Arbeit gehe, kann ich freiwillig Maske tragen, damit der Kollege nächste Woche nicht ausfällt. Oder ich arbeite im Homeoffice.

Nach der Pandemie ist vor der Pandemie. Wann kommt die nächste?

Das Einzige, was ich mit Sicherheit sagen kann: Es wird eine nächste Pandemie geben. Wann sie kommt und wie sie aussieht, wird Ihnen niemand seriös beantworten können. Historisch gesehen waren die Abstände groß. Ich bin aber skeptisch, dass wir 50 Jahre Ruhe haben werden. Wir Menschen dringen in Gebiete vor, in denen wir vorher nicht waren, und geraten in Kontakt mit neuartigen Viren.