Hamburg/Attendorn. Ute Weber war bis zu einer Covid-Infektion kerngesund. Doch das Virus stellte ihr Leben auf den Kopf, löste heftige Angststörungen aus.
Ute Weber weiß, welchen Eindruck sie auf den ersten Blick hinterlässt: „Ich bin eigentlich eine lebenslustige Frau, ein froher Mensch“, sagt sie mit einem einnehmenden, selbstbewussten Lächeln. Dazu eine Gesichtsfarbe, die eher auf einen gerade zurückliegenden Karibikurlaub schließen lässt als auf etwas, das Ute Weber seit gut zweieinhalb Jahren wie einen lästigen Rucksack mit sich herumschleppt. Einen Rucksack, in dem sich eine Emotion breit gemacht hat, die zwar jeder Mensch kennt, die das Leben von Ute Weber aber sozusagen auf einen Schlag völlig verändert hat: Die Emotion heißt Angst. Angst allerdings in einem eskalierten Ausmaß, das die 56-jährige Lehrerin für Deutsch und Elektrotechnik sozusagen kalt erwischt hat: „Dass ausgerechnet mich so etwas trifft, damit hätte ich nie gerechnet. Ich war kerngesund, habe viel Sport gemacht, mich in der Natur bewegt, hatte fast nie eine Grippe. Und dann das.“
Angst einflößender Corona-Virus
Mit „das“ ist zunächst einmal Corona gemeint. Ein Virus, der in den vergangenen dreieinhalb Jahren vielen Menschen Angst und Schrecken eingejagt, sie schlimmstenfalls schwer gehandicapt oder sogar das Leben gekostet hat. Und ein Begriff, der für Ute Weber zum alles bestimmenden Thema wird. Im März 2021 trifft sie das Virus mit voller Wucht, allerdings mit einer rätselhaften Verzögerung: „Nach einem familiären Besuch in Süddeutschland hatte ich mich infiziert und bekam Symptome wie bei einer starken Erkältung. Hohes Fieber, von fast 40 Grad, das sich aber untypisch mit extremer Untertemperatur abwechselte. Ich lebte damals noch in Hamburg, und das dortige Gesundheitsamt hat sich fast täglich nach meinem Befinden erkundigt.“ Im Unterbewusstsein, erinnert sich die Single-Frau, hatten sich bei ihr schon lange vorher ihr die schlimmen Fernsehbilder aus Bergamo festgesetzt. Die vielen Leichensäcke, das Krematorium. Von einer übertriebenen Angst spricht Ute Weber aber für diesen Zeitraum noch nicht: „Es war eher eine immerwährende Sorge. Ich habe die Wohnung nur noch mit doppelter Maske verlassen, meine Hände permanent desinfiziert. Da war ich nie nachlässig.“
Nach etwa einer Woche verflüchtigte sich das Virus. Alles okay also? Mitnichten. Denn der mehrjährige Leidensweg der seit eineinhalb Jahren in Attendorn lebenden Norddeutschen, sollte kurz danach erst beginnen: „Plötzlich quälten mich ganz schlimme Schmerzen. Ein Notarzt diagnostizierte aufgrund meiner Blutwerte einen erheblichen Schaden an Leber und Bauchspeicheldrüse.“ Eine nachvollziehbare medizinische Ursache fehlte. Was die verdächtigende Frage der Ärzte aufwarf: „Trinken Sie wirklich kaum Alkohol?“
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Tut sie nicht, rauchen auch nicht. Wo also kam plötzlich die heftige Krise her? „Corona blieb als Ursache. Und meine jetzt immer stärker werdende, spürbare Angst - verbunden mit der Frage: Geht das wieder weg?“ Der Leidensweg der Ute Weber hatte Fahrt aufgenommen. Glück im Unglück: Eine gerade gestartete Forschungsstudie zum Thema „Long Covid“ der „Schön-Klinik“ in Hamburg-Eppendorf nimmt sie auf. Die Mediziner wollen Erkenntnisse sammeln, auch über die Frau Mitte 50, die plötzlich einen „Körper wie eine 75-Jährige hatte“, blickt Ute Weber zurück. Zu dem Zeitpunkt, erinnert sie sich, „hatte mich volle Panik ergriffen.“ Sie bekommt einen Platz in der Psychotherapie, wird mit Medikamenten behandelt, hat mit fast allen Symptomen von Patienten zu kämpfen, die unter Angst, aber auch Depressionen leiden: „Schweißausbrüche, Schwindel, Sehstörungen, chronische Müdigkeit, Konzentrationsmangel. Ich konnte nicht mehr alleine auf die Toilette gehen, hatte riesige Angst, alleine zu sein, bewusstlos zu werden - alleine zu sterben.“ Notfall-Medikamente sind ihr ständiger Begleiter. Und erstmals die konkrete Überlegung, aufzugeben: „Ich wollte aus dem Fenster springen.“
An die Wiederaufnahme ihrer Arbeit bei einem caritativen Bildungsträger ist nicht mehr zu denken. Bis heute nicht. Und dennoch: Nach einer Verhaltens-Therapie kämpft sie sich Schritt für Schritt, sagt sie, langsam zurück ins Leben. Immer an ihrer Seite ihr treuer Mischling „Bentley“, ein Hund mit Genen eines ungarischen Hirtenhundes, der auch mich während unseres Gespräches mit typisch treuen Hundeaugen ansieht, deren Charme jeder sofort erliegt.
Rucksack nicht mehr so schwer
Nach der Entlassung aus der Klinik in Eppendorf versucht es Ute Weber zunächst einmal alleine. Ohne Erfolg: „Die Angst war zu stark. Ich habe mich deshalb in einer Tagesklinik weiter therapieren lassen, zehn Wochen etwa. Positiv: Ihr Körper ist plötzlich wieder genesen, die Blutwerte in Ordnung, Bauchspeicheldrüse und Leber ohne Spätschäden funktionstüchtig. Eine rätselhafte Entwicklung: „Auf dem Papier war ich gesund, aber die Angst, die war immer noch da.“ Allerdings mit dem Unterschied, dass Ute Weber während ihrer Therapien einen Instrumentenkasten erworben hat, mit dem sie dieser Angst begegnen kann: „Der Rucksack ist tragbar geworden“, lächelt sie mich an, „nicht mehr so schwer.“
Seit März 2022 lebt sie in Attendorn. Die Hansestadt hat sie sich ganz bewusst ausgesucht: „Eine schöne Gegend, und meine beste Freundin lebt schon hier, was meinen Entschluss bestärkt hat. Ich brauche ab und zu einfach Luftveränderung, wollte aus Hamburg raus.“ Dass es schwierig sein würde, in der Region einen Psychotherapeuten auf Anhieb zu finden, war ihr klar. Doch das Portal Minddoc.com der Schönklinik half: „Über dieses Portal vermittelt die Organisation MindDoc relativ schnell einen Therapeuten mit Aufnahmekapazität. Ich hatte Glück und fand jemanden in Hannover, mit dem ich mich online verbinden kann. Das hilft ungemein. Und ich kann es Hilfesuchenden nur wärmstens empfehlen.“ Dass sie dennoch bei weitem noch nicht wieder die frühere widerstandsfähige Frau sei, habe sie dann nach einem Zeckenbiss schmerzhaft zur Kenntnis nehmen müssen: „Ich hatte Neuroborelliose, und die traf auf meinen insgesamt geschwächten Körper. Die Angst war sofort wieder da. Würde ich es überstehen? Unsicherheit und Schwindel waren sofort wieder da.“
Vier Tipps von Ute Weber:
Ute Weber aus Attendorn rät Menschen, die von Angst und Panik betroffen sind, Hilfe in Anspruch zu nehmen:
1. MindDoc - Internetportal der Schön-Klinik in Hamburg Eppendorf. Von dort aus werden Online-Therapeuten vermittelt.
2. Parallel dazu sollten Betroffene sich für eine ambulante Psychotherapie bewerben, wofür eine mehrmonatige Wartezeit (teilweise über ein Jahr) einzukalkulieren sei.
3. Sich nicht scheuen, im akuten Zustand die Hotline 116 117 zu wählen und nach Ärzten zu forschen. Am Telefon freundlich bleiben.
4. Selbsthilfegruppen ansteuern. Die Selbsthilfegruppe von Ute Weber im DRK-Mehrgenerationenhaus Olpe findet jeden 2. Samstag im Monat statt - von 10 bis 12 Uhr.
Was vermutlich vielen Post-Covid-Patienten so gehe, habe auch sie erfahren müssen. Denn aus ihrem Bekanntenkreis hätten manche sie als „Drama-Queen“ abgewertet. „Was ihre Angst, nicht mehr „gesellschaftsfähig“ zu sein, nur bestärkt habe.
Doch mittlerweile, freut sich Ute Weber, habe sie das Tal ihres Lebens, in das Corona sie gestürzt habe, zu einem großen Teil durchschritten: „Post Covid ist bei mir medizinisch belastbar diagnostiziert. Im Januar 2024 beginne ich eine Rehabilitation in Bad Buchau am Bodensee.“ Nach zwei Impfungen und mittlerweile zwei Covid-Infektionen, so ist sie überzeugt, besitze sie einen maximal möglichen Schutz vor einem erneut schweren Krankheitsverlauf.
Yoga wirksamer Entspannungsfaktor
Medikamente gegen die Angst braucht sie nur noch gelegentlich. Sie schläft gut, ist allerdings noch schneller erschöpft als früher. Auf meine Frage, wie sie ihren augenblicklichen Zustand mit einem Wort beschreiben würde, sagt sie: „Zufriedenstellend.“ Seit dem Frühjahr leitet sie sogar eine Selbsthilfegruppe, die beim DRK-Mehrgenerationenhaus in Olpe angesiedelt ist. Neben ihren Hobbys, dem klassischen Klavierspiel, ihrem Hund Bentley und Badminton, hat sie zudem Yoga für sich entdeckt: „Das ist ein enorm wirkungsvolles Entspannungs-Instrument.“ Und somit ein schlagkräftiger Komplize im Kampf gegen ihren alltäglichen Gegner: die Angst.