Hagen. Zu wenig Schutz, zu viele Schlaglöcher: Der Verband der Motorradfahrer ist enttäuscht. Warum er sich von den Behörden diskriminiert fühlt.

Die Horror-Meldungen reißen nicht ab. „Tödlicher Motorrad-Unfall bei Olpe.“

Tragischer Unfall: Junger Gevelsberger stirbt auf Motorrad.“

Motorrad prallt gegen Auto: Schwerer Unfall in Lennestadt.“

Breckerfeld: Motorradfahrer mit Hubschrauber in Klinik.

Das sind Meldungen aus den vergangenen Wochen in Südwestfalen. Vor allem die Strecke in Breckerfeld (Priorei) fordert immer wieder Unfallopfer und ist weit über die Region hinaus bekannt. Ein Gespräch mit dem Vorsitzenden des Bundesverbands der Motorradfahrer Michael Lenzen über Risiken, Sperrungen und mangelnde Zusammenarbeit.

Täuscht der Eindruck: Sind es in diesem Jahr besonders viele schwere oder tödliche Unfälle?

Das ist zum Zeitpunkt x einer Motorradsaison immer schwer zu sagen. Die Unfallhäufigkeit hängt von verschiedenen Faktoren wie dem Wetter ab. Wir warten deshalb, bis die offiziellen Zahlen vorliegen, ehe wir Einschätzungen vornehmen.

Immer wieder kommt es auf einschlägigen Strecken wie dem Verbindungsstück zwischen Breckerfeld und Hagen, der Priorei, zu Unfällen. Die Strecke dort ist nun gesperrt – und bleibt es auch, wie ein Gerichtsurteil bestätigte. Wie schauen Sie auf den Fall?

Als Motorradfahrer fühlen wir uns durch die Sperrung diskriminiert und ausgeschlossen. Das ist nicht unsere Vorstellung von Gleichbehandlung. Oder kennen Sie eine Strecke, die für Autofahrer gesperrt ist, weil es zu Unfällen kommt?

Michael Lenzen (Bundesverband der Motorradfahrer) am Montag, 09. Mai 2022, am Woodpeckers Roadhouse in Bottrop.Ina Brandes und Herbert Reul unterzeichnen mit Motorradverbänden Erklärung für eine gute, sichere und leise Motorradsaison 2022.Foto: Michael Dahlke / FUNKE Foto Services

„Das ist nicht aufrichtig, das ist fahrlässig und keine Art, für Verkehrssicherheit zu sorgen. “

Michael Lenzen

Aber die Strecke scheint zu gefährlich oder zu verlockend zu sein für Motorradfahrer. Ist eine Sperrung dann nicht sinnvoll?

Ich finde, dass man jede Strecke sehr individuell vor dem Hintergrund der Frage analysieren muss, was ausschlaggebend für den Unfall war: Ist es die Strecke selbst, muss man sie entschärfen; war es überhöhte Geschwindigkeit, muss man über Tempolimits nachdenken. Eine hinreichende Analyse ist in Breckerfeld nicht vorgenommen worden.

Was wäre Ihrer Meinung nach dort zu unternehmen?

Wir haben schon vor Jahren und wiederholt das Gespräch mit dem Ennepe-Ruhr-Kreis gesucht. Wir bieten unsere Hilfe an, damit die Sicht derer gehört wird, die betroffen sind: die der Motorradfahrer. Unser Angebot steht auch weiterhin. Leider haben wir bislang nicht einmal eine Antwort vom Kreis erhalten. Das ist enttäuschend. Das kennen wir so nicht von anderen Kreisen und Kommunen.

Haben Sie konkrete Vorschläge für die Strecke?

Es gibt stets verschiedene Maßnahmen, um für mehr Sicherheit zu sorgen. Wir würden es als Fortschritt betrachten, wenn die Leitplanken dort einen Unterfahrschutz hätten, unter dem Motorradfahrer nicht hindurch und gegen scharfkantige Poller rutschen können. Aber das ist nicht das größte Problem.

Ennepe-Ruhr-Kreis weist Vorwürfe zurück

Der Ennepe-Ruhr-Kreis reagiert auf den Vorwurf des Bundesverbands, dass man von dort nicht mal eine Antwort bekommen habe. Direkt zu Beginn der Diskussionen um die Freigabe/Sperrung der Prioreier Straße hätten die Kreisverwaltung und der Bundesverband der Motorradfahrer in Kontakt gestanden: „Dabei hat uns der Verband insbesondere seine Vorschläge für mehr Sicherheit auf dieser Strecke vorgelegt“, so Kreissprecher Ingo Niemann. „Alle diese Vorschläge - die übrigens auch auf unserer Liste des Denkbaren/Möglichen standen - hat der Ennepe-Ruhr-Kreis im Verlauf des Verfahrens bewertet und eingeschätzt.“

Am Ende habe der Kreis in einem ersten Schritt allerdings die teilzeitige Sperrung angeordnet - diese sei in einem Eilverfahren zwischenzeitlich in zwei Instanzen auch als „angemessen“ bewertet worden: Derzeit bereite der Kreis eine komplette Sperrung der Prioreier Straße für Motorräder vor. „Angesichts dieser Sachlage sowie mit Blick darauf, dass uns die Sicht der Motorradfahrer nicht unbekannt ist, sehen wir derzeit keine Notwendigkeit für einen Austausch mit dem Verband“, so Ingo Niemann.

Sondern?

Das noch größere Problem ist der allgemeine Zustand der Strecke. Selbst ein kleines Schlagloch kann Motorradfahrer, die sich in Schräglage befinden, leicht in Bedrängnis bringen – vor allem, wenn sie eher ungeübt sind. Das wäre ein Ansatz. Stattdessen sucht der Kreis die für ihn leichteste Lösung und sperrt die Strecke, öffnet sie wieder, ohne Maßnahmen umzusetzen – und wundert sich dann, dass es wieder Unfälle gibt. Das ist nicht aufrichtig, das ist fahrlässig und keine Art, für Verkehrssicherheit zu sorgen. Wir sind Mitglied im Deutschen Verkehrssicherheitsrat und verfügen über jahrelange Expertise. Ich weiß nicht, warum man sich im Ennepe-Ruhr-Kreis unseren Anregungen verschließt. Jeder Unfall ist einer zu viel.

Im Sommer 2023 war die Strecke noch befahrbar: Das Bild zeigt einen Motorradfahrer auf der kurvenreichen Landstraße zwischen Breckerfeld und dem Hagener Süden, die mittlerweile für Motorradfahrer gesperrt ist.
Im Sommer 2023 war die Strecke noch befahrbar: Das Bild zeigt einen Motorradfahrer auf der kurvenreichen Landstraße zwischen Breckerfeld und dem Hagener Süden, die mittlerweile für Motorradfahrer gesperrt ist. © WP | Michael Kleinrensing

Kommt es häufiger vor, dass Sie als Verband nicht gehört werden?

Es ist eher die Ausnahme. In Sundern am Sorpesee stehen wir mit dem Bürgermeister und den Anwohnern in Kontakt. Wir schauen, welche Maßnahmen infrage kommen. Dort ist das Thema eher Lautstärke als Sicherheit. Wobei die beiden Themen miteinander zusammenhängen. Denn in beiden Fällen müssen wir es schaffen, ein Bewusstsein bei den Motorradfahrern zu wecken, dass man zum einen sehr verletzlich und damit gefährdet ist – und daher sehr bewusst und vorausschauend fahren muss. Wer bewusst fährt, belästigt Anwohner auch nicht durch vorsätzlich lautes Fahren, er nimmt die Umgebung bewusster wahr und hat als souveräner Fahrer auch ein geringeres Unfallrisiko.

Klingt etwas zu leicht.

Bewusstsein zu verändern ist eher die schwierigste verkehrspsychologische Aufgabe, für die man einen langen Atem braucht. Und klar ist auch: Jene, die vorsätzlich handeln und zum Beispiel illegale Rennen fahren, erreichen wir kaum. Da ist die Polizei mit Sanktionen gefragt.

Aber?

Aber es gibt Möglichkeiten. Ein probates Mittel sind Displays am Straßenrand, die mit einem lachenden grünen Smiley oder einem traurigen roten Smiley auf die entsprechende Lautstärke oder Geschwindigkeit reagieren. Das ist Psychologie, das funktioniert, man geht sofort runter vom Gas und ist vorsichtiger, aufmerksamer. Bauliche Maßnahmen wie etwa die Fahrbahnteiler auf der Nordhelle in Meinerzhagen sind ein weiteres Mittel, um für mehr Sicherheit zu sorgen. Wir beschäftigen uns seit Jahren mit der Reduzierung von Unfällen und Abmilderung von Unfallfolgen, so haben wir als Verband die Schaumstoffummantelungen für die Leitplankenpfosten entwickelt. Flexible Kurvenleittafeln, können ebenso ein probates Mittel sein. Aber jede Strecke ist anders und muss entsprechend auf wirksame Maßnahmen untersucht werden. Wir sind immer und überall zu Gesprächen bereit. Aber umsetzen müssen die Kreise und Kommunen die Maßnahmen eben selbst.

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