Breckerfeld/Hagen. Kurier-Netzwerk aus NRW soll Kokain für die ’Ndrangheta transportiert haben. Was Ermittler über die Methoden der Schmuggler berichten.
Still ruht der See – beziehungsweise: der Fischteich. Im Angelparadies Steinbachtal in Breckerfeld ist an diesem heißen Juli-Tag kein Fisch und auch kein Mensch zu sehen. Nur das Plätschern von Wasser ist zu hören. Das abgelegene Areal, das im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen die Mafia im Mai 2023 stillgelegt wurde, wirkt heruntergekommen, gar wie eine Bruchbude. 40 Millionen Euro Umsatz in drei Jahren sollen hier mal erwirtschaftet worden sein. Darauf deutet nichts hin.
Die Teiche schimmern teils grünlich, Sträucher und Gräser wuchern, das Metalltor an der Einfahrt, an dem die Farbe abblättert, ist mit einem rostigen Kettenschloss gesichert, in der Zufahrt sprießt Unkraut, links am Tor sind mit Kabelbindern die Teichordnung und ein Hinweisschild befestigt: „Das Angeln ohne gültigen Fischereischein ist grundsätzlich nicht gestattet!“
Gestattet ist auch nicht der Handel mit Kokain. Den aber wirft die Staatsanwaltschaft Düsseldorf dem Eigentümer des Angelparadieses vor. Der Hattinger (63) soll für die kalabrische Mafia-Organisation ’Ndrangheta über Jahre gewerbsmäßig Kokainschmuggel organisiert haben. Von mindestens 1,9 Tonnen ist die Rede.
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Seit Mai 2023 sitzt der 63-Jährige – wie weitere Beschuldigte – in Untersuchungshaft, die Ermittlungen laufen noch, Anklage ist noch nicht erhoben. Wie der mutmaßliche Schmuggler gearbeitet und den Ermittlern ins Netz gegangen sein soll, zeigte sich jedoch zuletzt in einem anderen Mafia-Verfahren, das am Landgericht Dortmund gegen die Betreiber einer Eisdiele in Siegen läuft.
Am Anfang war eine Autopanne. In Italien.
Autopanne zweier Drogenkurierinnen?
Wie zwei Ermittler des Landeskriminalamts NRW an verschiedenen Prozesstagen vor der Staatsschutzkammer des Landgerichts Dortmund berichteten, sollen italienische Behörden mutmaßliche Mafiosi abgehört haben. Dabei sollen sie unter anderem im Dezember 2019 ein Gespräch belauscht haben, in dem sich ein italienischer Staatsbürger, mutmaßlich führender Kopf bei der `Ndrangheta im internationalen Kokainhandel, mit zwei Frauen aus Wuppertal und Dortmund unterhielt.
Die beiden Damen sollen als Drogenkurierinnen im Einsatz gewesen sein, als ihr umgebauter Audi Q7 mit Wuppertaler Kennzeichen in Kalabrien kurz vor dem Ziel eine Autopanne hatte. Der mutmaßliche Mafioso soll das Abschleppen des Wagens in eine Werkstatt organisiert sowie den Frauen Hotels für eine Übernachtung und Tickets für Rückflüge besorgt haben, so ein Ermittler vor Gericht. Abends habe der mutmaßliche Mafioso das Duo zu einer Pizza eingeladen und bei der Rückfahrt zum Hotel den Frauen erzählt, dass er eine Eisdiele in Siegen besitze. In der Familienmitglieder arbeiteten.
Das Interesse des mutmaßlichen Mafioso am Schicksal der beiden deutschen Damen muss die ermittelnden Carabinieri bei ihren Lauschangriff hellhörig gemacht haben, sie verständigten ihre deutschen Kollegen.
Die beiden Damen aus NRW sollen Teil einer „deutschen Kuriergruppierung“ mit sieben bis zehn Mitgliedern gewesen sein und Kurierfahrten für Mafiaclans aus dem kalabrischen San Luca getätigt haben, das als Hochburg der ’Ndrangheta gilt. „Bargeld nach Deutschland, Kokain nach Italien“, so formulierte einer der Ermittler bei seiner Aussage vor der Staatsschutzkammer.
Die beiden Frauen sollen etwa einem albanischen Beschuldigten circa 30 Kilo Kokain übergeben haben, bei einer anderen Fahrt, im November 2022, sei eine „größere Menge Kokain“ gefunden worden. Dazu kommt die Tour, die mit dem technischen Defekt geendet haben soll. Die Drogen soll das Kuriernetzwerk aus den Niederlanden und Belgien bezogen haben. Die Originalware sei aus Südamerika dorthin geliefert worden.
Kurier-Fahrzeuge sollen in Spanien umgebaut worden sein
Organisator der Kurierfahrten soll der Eigentümer des Angelparadieses in Breckerfeld (Ennepe-Ruhr-Kreis) gewesen sein. Der Ermittlungsführer beim Landeskriminalamt NRW sprach in seiner Zeugenaussage vor dem Landgericht Dortmund stets von dem „Rädelsführer“. Der Hattinger habe die Kuriere immer zu zweit und in hochwertigen Fahrzeugen „losgeschickt“, sagte ein anderer Ermittler aus.
Die Kurier-Fahrzeuge sollen in Spanien für etwa 10.000 Euro umgebaut worden sein. Die Drogenverstecke seien „von außen bei Fahrzeugkontrollen“ nicht als solche zu erkennen gewesen sein, so der Chefermittler vor Gericht. Sie seien „nicht so einfach“ zu öffnen gewesen, „nur mit mechanischen Mitteln“.
„Der Beschuldigte ist weiterhin Eigentümer des Grundstücks, er kann es aber aufgrund des Beschlagnahmevermerks nicht veräußern.“
Fahrten zwecks „Erschließung neuer Einkaufsquellen von Fisch“
Von 2018 bis zur europaweiten Anti-Mafia-Operation „Eureka“ Anfang Mai 2023, bei welcher der Besitzer des Angelparadieses festgenommen wurde, soll das deutsche Täternetzwerk nach Angaben des LKA-Beamten etwa 30 Kurierfahrten für die `Ndrangheta absolviert haben. „Männer und Frauen der Kuriergruppe“, so der Ermittlungsleiter, sollen vom „Rädelsführer“ vor den Fahrten „angeleitet“ worden sein.
Zum Beispiel, welche „Legenden“ sie bei Grenz- und sonstigen Kontrollen auftischen könnten: „von einem Kurzurlaub oder von der Erschließung neuer Einkaufsquellen von Fisch für die Angelparadies GmbH“. Der Hattinger habe den Kurieren auch mit auf den Weg gegeben, „direkt nach Auslieferung des Kokains Italien zu verlassen und immer wieder einen anderen Grenzübergang zu nutzen“.
Neben dem Hauptbeschuldigten, dessen Anwalt nicht auf eine Gesprächsanfrage reagierte, erging auch Haftbefehl gegen die Ehefrau des Angelparadies-Eigentümers. Dieser wurde allerdings gegen Meldeauflagen außer Vollzug gesetzt.
Das Angelparadies wurde im Zuge der damaligen Ermittlungen durchsucht, die Staatsanwaltschaft veranlasste die Eintragung eines Beschlagnahmevermerks im Grundbuch. „Der Beschuldigte ist weiterhin Eigentümer des Grundstücks, er kann es aber aufgrund des Beschlagnahmevermerks nicht veräußern“, erklärt Staatsanwalt Julius Sterzel.
Veterinäramt füttert die Fische „bei Bedarf“
Das – geschlossene – Angelparadies hat laut Auskunft des Amtsgerichts Essen bereits Ende 2022 Insolvenz angemeldet. Anfang Januar dieses Jahres wurde die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft mangels Masse abgelehnt, sprich: Es war nichts zu holen.
Um das Areal und die Tiere kümmert sich der Ennepe-Ruhr-Kreis, genauer: das Veterinäramt. Die Teiche würden regelmäßig in Augenschein genommen und die Fische bei Bedarf gefüttert. „Die Betreuung ist nicht aufwändig, und es sind bisher keine nennenswerten Kosten entstanden. Ob diese Kosten dem Eigentümer zu einem späteren Zeitpunkt in Rechnung gestellt werden, wird noch geprüft“, teilt ein Sprecher des Kreises mit.
Vor einigen Wochen habe es ein Gespräch mit einem potenziellen Pachtinteressenten gegeben. „Ihm wurden die rechtlichen Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des Angelbetriebes erläutert. Seither gibt es keine Rückmeldung und keinen neuen Stand.“
Still ruht also weiterhin der Fischteich.
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