Breckerfeld/Siegen/Düsseldorf. Nach den Mafia-Razzien in Siegen (Eisdiele) und Breckerfeld laufen die Ermittlungen weiter. LKA-Mann Hans-Joachim Schmitz kennt Hintergründe.

Die Ermittlungen gegen Verantwortliche, Mitglieder und Unterstützer der kalabrischen Mafia-Organisation ‘Ndrangheta in in NRW hatten im Juli 2020 begonnen. Fast drei Jahre später, am Morgen des 3. Mai 2023, schlugen 500 Polizeikräfte zu, durchsuchten mehr als 50 Objekte und nahmen 18 per Haftbefehl gesuchte Personen fest.

Am Nachmittag des Tages sprach das Landeskriminalamt (LKA) von 35 Beschuldigten. Bei dem Einsatz gerieten insbesondere der Betreiber eines Eiscafés in Siegen und ein Geschäftsmann aus Hattingen, dem das „Angelparadies“ in Breckerfeld gehört, ins Visier der Behörden.

Was weiß man über die beiden Männer und deren Geschäfte? Hans-Joachim Schmitz ist Leiter der Abteilung 1 (Organisierte Kriminalität) beim LKA in Düsseldorf.

Der Betreiber (36) des Siegener Eiscafés „Al teatro“ wurde in Italien festgenommen, die Staatsanwaltschaft Düsseldorf hat ein Auslieferungsersuchen gestellt. Der Mann soll zusammen mit seinem Bruder (38) für den Betrieb eine GmbH gegründet haben, um den wahren Geld- und Auftraggeber – ein hochrangiges Mitglied der ‘Ndrangheta aus San Luca in Kalabrien – zu verschleiern. Können Sie das bestätigen?

Hans-Joachim Schmitz: Ja, in dem Eiscafé passierte mehr als das eigentliche operative Geschäft – nämlich Eis zu machen und zu verkaufen. Nach Erkenntnissen der italienischen Strafverfolgungsbehörden hat ein hochrangiges ‘Ndrangheta-Mitglied etwa 400.000 Euro in die Eisdiele investiert. Vermutlich waren es Erlöse aus illegalen Geschäften im internationalen Kokainhandel. Er soll den in Italien verhafteten 36-Jährigen mit der Geschäftsführung beauftragt haben. Wir wissen, dass ein Teil der Tageseinnahmen an die `Ndrangheta gegangen ist.

Hans-Joachim Schmitz leitet die Abteilung 1 für Organisierte Kriminalität beim Landeskriminalamt in Düsseldorf.
Hans-Joachim Schmitz leitet die Abteilung 1 für Organisierte Kriminalität beim Landeskriminalamt in Düsseldorf. © Landeskriminalamt NRW

NRW-Innenminister Reul sprach davon, dass das Eiscafé in Siegen „eigentlich eine Geldwaschanlage“ gewesen sei, dass die Mafia „eher in Hinterzimmern sitzt und Eisdielen, Restaurants, Bauunternehmen als vermeintlich legale Fassaden nutzt“. Wie muss man sich das vorstellen?

Das Kerngeschäft der ‘Ndrangheta ist der Rauschgifthandel und -schmuggel. Dort wird üblicherweise eine Menge Bargeld eingenommen. Das illegale Geld muss aber zu legalem Geld werden, um es im normalen Finanzkreislauf nutzen zu können. Also wäscht man das, in dem man zum Beispiel einen Betrieb wie ein Eiscafé gründet und dort die legalen Einnahmen aus dem normalen Geschäftsbetrieb mit dem illegal gewonnenen Geld vermischt.

Die Siegener Eisdiele soll ein „Logistikstützpunkt“ der ‘Ndrangheta gewesen sein. Was versteht man darunter?

Häufig tauchen Mitglieder und Unterstützer der ‘Ndrangheta an solchen Stützpunkten unter, um sich dem Zugriff der italienischen Sicherheitsbehörden zu entziehen. Wir wissen von Wohngemeinschaften mit wechselnder Besetzung an solchen Orten. Zudem werden Eisdielen oder auch Pizzerien gerne als Ausbildungsstätten genutzt, in denen junge Leute ins Geschäft, in die Strukturen eingebracht werden. Führende Köpfe in Stützpunkten reisen nach unseren Erkenntnissen häufig in die kalabrische Heimat, um Aufträge entgegenzunehmen.

Warum sucht sich die Mafia gastronomische Betriebe aus?

Weil man leicht Zugang findet: Praktisch jeder kann ohne besondere Fähigkeiten eine Pizzeria oder eine Eisdiele aufmachen. Man trifft sich hier gemäß der italienischen Lebensart und kann Geschäfte machen, Kontakte knüpfen und ein Netzwerk in andere Städte und Regionen aufbauen, ohne dass jemand etwas davon mitbekommt. Hier lässt sich unauffällig leben. Das ist genau der Plan: Die ‘Ndrangheta ist darauf aus, nicht gesehen zu werden, unter dem Radar der Strafverfolgungsbehörden zu fliegen. Sie will im Idealfall unsichtbar sein.

Die Eisdiele „Al teatro“ in Siegen soll auch als Logistikstützpunkt für die ‘Ndrangheta gedient habenzia. 
Die Eisdiele „Al teatro“ in Siegen soll auch als Logistikstützpunkt für die ‘Ndrangheta gedient habenzia.  © Jürgen Schade

Wie wahrscheinlich ist es, dass mein Lieblings-Italiener um die Ecke für die Mafia arbeitet?

Sehr gering. Der überwiegende Teil der italienischen Community in Deutschland hat keine Verbindungen zur Mafia. Wir sollten jedwede Stigmatisierung vermeiden.

Der Hauptbeschuldigte aus Hattingen (62) – der Inhaber des Angelparadieses in Breckerfeld – soll Drogen für die ‘Ndrangheta geschmuggelt haben. Ein deutscher Staatsbürger, der für die Mafia arbeitet? Was ist mit dem alten Klischee, dass „La Famiglia“ alle Geschäfte selbst regelt?

Es ist ein gutes Beispiel für die Kriminalitätsentwicklung in den vergangenen 25 Jahren: Ursprünglich war die Mafia eine ethnisch abgeschottete Gruppe – es wurde alles selbst gemacht. Jetzt agiert sie dienstleistungsorientiert. Man beauftragt Spezialisten.

Spezialisten wie den Mann aus Hattingen? Was wissen Sie über ihn?

Wir gehen davon aus, dass er in den vergangenen 15, 20 Jahren ein internationales Betäubungsmittel-Netzwerk betrieben und gewerbsmäßig Kurierdienste aller Art für verschiedene kriminelle Organisationen übernommen hat. Unter anderem war er als Kokain-Schmuggler für die ‘Ndrangheta tätig. Für seine Auftraggeber organisierte er den Transport illegaler Güter von A nach B und nutzte dafür präparierte Fahrzeuge. Wir erkennen bei ihm ein sehr ausgeklügeltes System.

Wie ist die Mafia auf ihn gekommen?

Grundsätzlich gilt: Man kennt sich in kriminellen Kreisen, hat Kontakte. Es spricht sich herum, wer zuverlässig Aufträge ausführt. Dann sitzt man bei verschiedenen Gelegenheiten zusammen – zum Beispiel in einer Eisdiele – und fragt, ob man jemanden kennt, der 50 Kilogramm Kokain an einen bestimmten Ort bringen kann.

Dem Verhafteten gehörte das Angelparadies in Breckerfeld. Der perfekte Ort, um ein unauffälliges Leben zu führen, oder?

So ist es. Wenn Sie an dem Angelparadies vorbeikämen, würden Sie auf die Idee kommen, dass da jemand ist, der mit der Mafia kriminelle Geschäfte macht? Eher nein.

Der Mann soll mit seinem Angelparadies in drei Jahren 40 Millionen Euro Umsatz gemacht haben? Wieso ist man ihm nicht schon vorher auf die Schliche gekommen?

Man darf nicht jede Angabe in Auskunfts-Portalen im Internet ernst nehmen – diese basieren häufig lediglich auf Selbstauskünften.

Warum ist NRW offenbar so interessant für die Mafia?

Weil die Infrastruktur hervorragend ist; weil im Ballungsraum Ruhrgebiet traditionell viele italienische Staatsbürger leben; weil man hier angesichts der Größe des Bundeslandes leben kann, ohne aufzufallen. 18 Millionen Einwohner bieten eine gute Tarnung, um Rauschgifthandel und -schmuggel, Umsatzsteuerhinterziehung, Kfz-Verschiebung oder Geldwäsche zu betreiben.

Hintergrund:

Hans-Joachim Schmitz leitet die Abteilung für Organisierte Kriminalität beim Landeskriminalamt (LKA) NRW. Die Ermittler haben es hier mit den Themenbereichen Mafia, Clans, Rocker, Geldautomatensprengungen und Geldwäsche zu tun.

Im LKA geht man davon aus, dass es in Nordrhein-Westfalen eine dreistellige Zahl an Mafia-Mitgliedern bzw. -Unterstützern gibt – „nicht nur Menschen, die etwas mit der ‘Ndrangheta zu tun haben“, so der Leitende Kriminaldirektor Schmitz.