Brilon. Ein 30-Kilometer-Marsch in zum Teil alpinem Gelände: Ein Selbstversuch mit einem Wanderführer - bis die Füße Blasen kriegen.
Es ist nicht so, als hätte Dennis Eydt auf den letzten Metern mit der Frage gerechnet, aber die Antwort ist kühl bis ans Herz. „Hat schonmal jemand auf einer der Touren geweint?“ Er denkt eine Sekunde lang nach und sagt: „Bisher nicht.“ Er schmunzelt ein wenig über den Mann von der Zeitung an seiner Seite, der zum Selbstversuch antritt, um folgende Frage zu beantworten: Kann man beim Wandern im Sauerland an seine Grenzen gehen? Oder muss man dafür in die Alpen? Antwort folgt. Mit oder ohne Tränen.
Dennis Eydt hat den „Sauerland Hiking Club“ gegründet. Zusammen mit seiner Frau bietet der zertifizierte Wanderführer seit einem Jahr Wanderungen im Sauerland an. Am liebsten und besten: besondere Touren, besondere Kulissen, besonderes Rahmenprogramm. Und weil er so offensiv damit wirbt, dass niemand in die Alpen muss, um eine herausfordernde Wanderung zu machen, stellen wir ihn auf die Probe. Zeig her, was du kannst! Start in Brilon. 30 Kilometer über zum Teil alpines Gelände, wie Eydt sagt.
Abmarsch!
Sauerland extrem: XXL-Wanderung
Alles beginnt mit einem Schockmoment nach wenigen hundert Metern. „Da hinten müssen wir hin, da ist Siggis Hütte“, sagt Eydt und zeigt über bewaldete Bergkuppen auf einen Turm am Horizont. Daneben, das weiß man, liegt der berüchtigte Gastrobetrieb „Siggis Hütte“ auf dem Ettelsberg in Willingen. Das ist Hessen, ein anderes Bundesland! Sieht irre weit weg aus. Aber hey, wird ja wohl kein Ding sein. Wanderschuhe hab ich nicht, dafür Joggingschuhe. Und um meine Verachtung gegenüber der vermeintlichen Schwierigkeit der Aufgabe zu demonstrieren, schnüre ich die nicht einmal. Ein Fehler, wie sich herausstellt.
Eydt ist ein Kind des Ruhrgebiets, aber das Sauerland ist seine zweite Heimat geworden, sein Zufluchtsort. „Ich brauche das Wandern, um rauszukommen aus dem Hamsterrad“, sagt Eydt. Er ist Projektentwickler, viel Arbeit, viel Stress. Die Ruhe hier draußen sein Ausgleich. In Brilon haben er und seine Partnerin eine kleine Ferienwohnung, in die sie oft fahren.
„Der erste Streckenabschnitt ist der schwierigste“, sagt Eydt. Es geht den Briloner Kammweg hinauf. Steil hinauf. Schmale, verschlungene, schroffe Wege, felsig, Wurzeln dazwischen – immer aufwärts, bis sich links und rechts ein Panorama auftut. So schöne Dinge kosten für gewöhnlich Geld, das hier nur Kraft. Immerhin: Es ist noch welche da.
Warum Eydt den Hiking-Club gegründet hat? „Im Grunde, um die Leute glücklich zu machen“, sagt er. Klingt etwas sehr pathetisch, aber es könnte sein, dass das stimmt. Natürlich kosten die geführten Wanderungen die Kunden Geld. Eydt hat schon eine Basecamp-Tour angeboten mit Übernachtung, eine Schneeschuhwanderung, eine Sonnenauf- und -untergangsrunde mit Stirnlampe! „Aber ich mache das nebenher und selten. Ich wüsste nicht, wie wir damit Geld verdienen sollten.“ Er will, sagt er, den Leuten das Wandern näherbringen. Damit sie das gleiche Glück empfinden können, das er empfindet.
Ein anderer Wanderer mit Stock kommt uns irgendwo im Grünen entgegen. „Guten Morgen“, sagt er. Schwätzer, der. Vier Kilometer geschafft. Ginsterkopf, eine Erhebung, von der aus man einen Blick auf die Bruchhauser Steine hat. Problem: dazwischen liegt ein tiefes Tal. Also: Berg runter. Vorbei an der Feuereiche, einem Naturmahnmal. „Da, ein Fuchs“, sagt Eydt. Sehe keinen. Eydt, der Fuchs, weiß wie man für Spannung sorgt.
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Den Berg wieder hinauf in Richtung der Bruchhauser Steine. Nationales Naturmonument. Vulkanfelsen, eindrucksvolle Entstehungsgeschichte. Tausende Jahre alt. Wie meine Knochen, gefühlt jedenfalls. Hoch zum Gipfelkreuz.
Was!
Für!
Ein!
Ausblick!
360-Grad-Panorama.
Neun Kilometer geschafft, 25 Grad, kein Wind. Das T-Shirt durchgeschwitzt. Trinkpause. Nur noch 21 Kilometer. Ein-und-zwanzig! Die Aufgabe erscheint mir plötzlich groß. Ein Wanderer im gelben T-Shirt kommt vorbei und sagt: „Servus.“ Servus? Wie weit sind wir gegangen?
Weiter, immer weiter. Am Drachenplatz unterhalb der Steine vorbei. Dabei warum auch immer: Seitenstiche! Wer hat schon Seitenstiche? Ist das nicht was, was nur Elfjährige haben? Offenbar auch 35-Jährige. Ja, ok, ist ja gut: 43-Jährige!
Die Stelle hinten links am linken Fuß beginnt zu schmerzen. Der Schuh schubbert und erst jetzt wird mir klar, dass es hilfreich wäre, ihn fest zuzubinden, damit er sitzt. Fragen Sie bitte nicht, wie ich sonst so durchs Leben komme…!
Ab jetzt geht es hinauf zum Langenberg, die höchste Erhebung in NRW (843,2 m), gerade mal einen Corona-Abstand höher als sein deutlicher berühmterer Kollege namens Kahler Asten (841,9).
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Eydt geht vor, den Anstieg hinauf. Er dreht sich immer wieder um, wohl um zu schauen, ob ich noch da bin. Dabei müsste er meinen schweren Atem hören. Die Kilometer ziehen sich. Ein Bächlein plätschert. Ein Berg keucht. Ein Specht klopft gegen einen Baum. Klingt, als würde er bei meinem Anblick einen Notruf morsen. Das Handy ist auch schon in Aufruhr und schickt mir Nachrichten: Sie haben Ihr Bewegungsziel vervierfacht. Der hölzerne Wegweiser neben dem Pfad ragt vollkommen schief in die Luft. Jede Haltung eingebüßt. Wie ich.
Jetzt wird auch klar, warum der Langenberg nicht der Star unter den Bergen ist: Er hat zwar ein Gipfelkreuz, aber keine Aussicht. Man sieht die Welt vor lauter Bäumen nicht. Pause in einer Hängematte aus Holzelementen. Sonne hoch am Himmel. 20 Kilometer sind geschafft. Fuß schmerzt, Beine sind bleischwer. Durst. Eydt verspricht eine Hütte in drei Kilometern.
Wandern ist nicht spazieren
Hochheider Hütte heißt der Laden, zauberhaft gelegen. Panorama ins Tal. Kurz vorher hüpft direkt vor uns ein Reh über den Weg. Fast schon kitschig schön. Die Leichtfüßigkeit von Bambi geht mir allerdings völlig ab.
Niedersfelder Hochheide. Gefällig am Auge. Bisschen noch durch den Wald, nochmal hoch auf den Ettelsberg, auch über 800 Meter hoch. Reinhold Messner bewältigte alle 8000er, wir immerhin einige 800er. Die Null, die da fehlt, trägt Joggingschuhe und hat deswegen eine Blase am Fuß.
Jetzt nur noch den Berg wieder runter. Bilanz laut Aufzeichnungsgerät: 28,2 Kilometer, fast 1000 Höhenmeter, 5 Stunden und 59 Minuten. Keine Tränen. Aber nah dran gewesen. „Manche“, sagt Eydt, „halten Wandern ja für Spazierengehen…“ Ich nicht. Nicht mehr.