Alle hoffen, dass die Rahmedetalbrücke bis 2026 fertig wird. Und wenn nicht? Firmen-Umfrage zeichnet düsteres Bild für Südwestfalen.
Die wirtschaftlichen Schäden durch die Sperrung der A45 bei Lüdenscheid könnten die prognostizierten 1,8 Milliarden Euro noch weit übersteigen, fürchten Experten des Verkehrsverbandes Westfalen.
Rund zweieinhalb Jahre nach der Sperrung der Rahmedetalbrücke der Autobahn 45 bei Lüdenscheid interessiere man sich in Bund und Land nach wie vor nicht angemessen für die betroffene Region. „Der Verkehrskollaps wird zunehmend zum realistischen Szenario“, sagt Christoph Brünger, Geschäftsführer der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer (SIHK). Nach eigenem Bekunden werde die SIHK nur noch „die Brückenkammer“ genannt. Wie stark die Wirtschaft in Südwestfalen, Hagen bis nach Hamm und ins Ruhrgebiet von der Sperrung der A45 tatsächlich betroffen ist, lässt sich nicht bis auf den Eurocent genau sagen. Der Verkehrsverband Westfalen hat allerdings im Herbst 2023 eine Umfrage bei Unternehmen im betroffenen Gebiet durchgeführt. Die Ergebnisse sind beunruhigend. „Rund 90 Prozent der befragten Unternehmen fürchten weitere Brückensperrungen“, sagt Verbands-Geschäftsführer Stefan Peltzer.
Die nächsten Brücken bröseln
Diese Befürchtung bezieht sich nicht allein auf Autobahnbrücken, sondern auf die Verkehrswegeinfrastruktur in der Region insgesamt. Inzwischen hat sich diese Sorge bereits an zwei wichtigen Verkehrswegen bestätigt. Entlang der Bundesstraße 236 im Lennetal bei Nachrodt und in der Stadt Hagen, wo eine wichtige Verbindung, eine bahnhofsnahe Hochstraße der Bundesstraße 54, aufgrund von Brückenschäden für Lkw ab 3,5 Tonnen zulässiges Gesamtgewicht seit vergangenem Donnerstag nicht mehr befahren werden darf. Die Brücke in Nachrodt ist mittlerweile einspurig wieder befahrbar.
Allein die Kosten wegen der Sperrung der Rahmedetalbrücke hatten Experten des unternehmernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln bereits im Jahr 2022 auf rund 1,8 Milliarden Euro hatten Experten geschätzt. Eine enorme Summe, die sich allerdings noch sprunghaft erhöhen könnte, wenn der Neubau nicht im Zeitplan bleibt.
Befürchtung: Ab dem Kipp-Punkt steigen die Kosten exponentiell
Rund 1,1 Milliarden Euro machen demnach die Kosten für Umwege etc. aus. Mindestens rund 600 Millionen Euro Verluste in der Wertschöpfungskette in der Region kämen noch hinzu, erklärte am Freitag der Geschäftsführer des Verkehrsverbandes, Stefan Peltzer. Sofern es tatsächlich gelingt, dass ab Ende 2026 wieder Verkehr über die A45 bei Lüdenscheid rollt. Die Kosten für Umwege würden sich mit jedem Tag Neubauverzögerung „nur“ linear erhöhen, sagt Peltzer: „Ab einem bestimmten Kipp-Punkt, steigen die Verluste der Firmen aber exponentiell.“ Dieser Kipp-Punkt könnte bereits erreicht werden, wenn der Brückenneubau nicht, wie angekündigt, Ende 2026 befahrbar sein wird.
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Die Folgen lassen sich aus den Umfrageergebnissen des Verbandes ablesen. Knapp 200 vor allem kleinere und mittelgroße Unternehmen haben teilgenommen, vor allem aus der Industrie und dem Transportgewerbe. Damit sei die Umfrage zwar nicht repräsentativ, relevant sei sie aber in jedem Fall, betont der Verkehrsverband. Bereits heute verzeichnen mehr als 40 Prozent der Unternehmen, die an der Befragung teilnahmen, finanzielle Verluste, bei der überwiegenden Mehrheit sind diese mit mehr als zehn Prozent deutlich. Mehr als 20 Prozent aller Teilnehmer beurteilen die wirtschaftlichen Folgen der Brückensperrung bereits als „existenzbedrohend“.
Bislang kaum Standortverlagerungen
Erstaunlicherweise ist die Zahl der Verlagerungen von Produktions- oder Lagerflächen und Büroarbeitsplätzen „sehr gering“, erklärte Peltzer. Dabei hatte genau hier das Land ein Förderprogramm aufgelegt, das, den Ergebnissen des Verkehrsverbandes folgend, nur selten genutzt wird. „Sehr viele nutzen lediglich temporäre Maßnahmen. Offenbar glauben viele an die fünf Jahre“, sagt Peltzer - und meint den Zeitraum von der Sperrung der A45 bei Lüdenscheid bis zur möglichen Eröffnung des Neubaus Ende 2026. Ob dies so kommt, sei vielen Unternehmen unklar. „Wir wissen nach wie vor nicht, wie der Baufortschritt ist, wann wirklich wieder in beide Richtungen gefahren werden kann“, sagt Marc Simon, Vorsitzender des Verkehrsverbandes Westfalen und selbst Logistikunternehmer in Hagen.
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A45 hat beim Bundesverkehrsminister nur noch in Teilen oberste Priorität
Eine dringende Forderung des Verbandes in Richtung Bundesregierung betrifft ebenfalls die A45. Die sei nicht mehr in Gänze im Prioritäten-Plan für die Erneuerung der Straßeninfrastruktur. Lediglich von Siegen bis zum Westhofener Kreuz zwischen Hagen und Dortmund reiche die Priorisierung des Bundes. Die Anbindung an die wichtigen Autobahnen 40, 42 und 2, von Hagen aus gesehen in Richtung Norden, fehlten.
Untersuchungsausschuss zur Rahmedetalbrücke im Landtag
Das Brückendesaster rund um die A45 beschäftigt die Landespolitik schon. Allerdings geht es dabei nicht um Beschleunigung, sondern um Schuldfragen: Rund ein Jahr nach dem Start des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Verkehrsdebakel um die Rahmedetalbrücke ist der Streit zwischen der nordrhein-westfälischen Regierung und der Opposition um vollständige Akten zunächst beigelegt. Im Fokus steht der amtierende Ministerpräsident Hendrik Wüst, seinerzeit verantwortlicher Landesverkehrsminister. In dieser Woche seien die fehlenden Dokumente geliefert worden, berichtete der Obmann der SPD-Landtagsfraktion in dem Ausschuss, Gordan Dudas, am Donnerstag in Düsseldorf. Dort hieß es, dass infolge des Ausweichverkehrs nach der Sperrung der Rahmedetalbrücke bereits sechs weitere Brücken gesperrt oder der Schwerlastverkehr dort hätte beschränkt werden müssen - wie in Hagen. Dudas sprach von einem „Domino-Effekt“. (mit dpa)