Bad Laasphe. Bad Laasphe sperrt die größte Turnhalle der Stadt, nutzt sie als Flüchtlingsunterkunft. Dann kommt alles anders als erwartet.
Kurz vor Weihnachten sind die meisten Sachen eingepackt. Allerdings nicht in Geschenkpapier. Stattdessen: Folie, durchsichtig. Inhalt: Kissen, Decken und Matratzen, weiß, platziert auf leeren Feldbetten.
Da, wo sonst geturnt wird, sperren Bauzäune die Klettergerüste ab, hängen Handtücher zum Trocknen. Links Spinde, rechts ein Sichtschutz, in der Mitte Bettenreihen. Die Flüchtlingskrise hat die Dreifachturnhalle in Bad Laasphe erreicht.
Alles hier sieht nach einer Notlösung aus. Das ist es auch - und doch auch nicht. Paul aus der Ukraine und zehn weitere Flüchtlinge verbringen hier nicht nur Weihnachten, sondern wohl den ganzen Winter. „Ich weiß nicht, wie lange wir hier bleiben. Niemand sagt uns, wie lange es dauern wird“, sagt Paul, der älter wirkt, aber angibt, erst 18 zu sein.
Auf der anderen Seite steht die Frage im Raum: Eine ganze Turnhalle wegen elf Flüchtlingen gesperrt, den Schulen und den Vereinen als Sportstätte „weggenommen“, wie Laasphes Bürgermeister Dirk Terlinden ohne Umschweife einräumt - muss das sein?
Klar ist eines: Eine Win-Win-Situation ist das nicht.
Der Vereinssport muss Abstriche machen
Die Dreifachturnhalle, Teil einer Förderschule, versprüht den Charme der Sechziger Jahre. Die Fassade: Waschbetonplatten, grau. Im Foyer: zwei Mitarbeiter eines Sicherheitsdiensts, der eine spricht auch Arabisch. Bad Laasphe hat, wie auch Hagen, zur Unterbringung von Flüchtlingen erneut auf eine Turnhallen-Lösung gesetzt. Die Maßnahme erinnert an die Flüchtlingskrise 2015/16, schien Vergangenheit. Nun ist sie wieder da. Mit allen Konsequenzen - und unterschiedlichen Reaktionen bei dem sensiblen Thema.
Da ist Jonas Weller, er lebt in der Seniorenresidenz gegenüber der Dreifachturnhalle und sagt über die elf Flüchtlinge nebenan: „Wo sollten sie denn sonst untergebracht werden?“
Da ist Marcel Zyber, Vorsitzender des FC Laasphe. „Für elf Flüchtlinge den Spielbetrieb beispielsweise im Basketball oder Volleyball lahmzulegen stößt auf Unverständnis“, sagt er. Ohne Groll, ganz sachlich.
Der Schul- und der Vereinssport in der 13.500-Einwohner-Stadt Bad Laasphe müssen sich einschränken, wobei Bürgermeister Dirk Terlinden und Sozialamtsleiter Jann Burholt berichten, dass die Zweckentfremdung der größten Halle im Stadtgebiet weniger ein Problem für die Schulen sei, da noch drei kleinere Hallen zur Verfügung stünden, der Schulsport dort stattfinde. Die Vereine müssen hingegen Abstriche machen.
Marcel Zyber sagt, dass sie als Fußballklub weniger stark betroffen seien als die Indoor-Sportarten. Problematisch sei aber auch für sie, dass im Januar und Februar drei Jugendturniere nicht in der dafür geeigneten Halle stattfinden könnten. Sollte sich keine Alternative finden, würden „ein paar tausend Euro“ Einnahmen fehlen. „Das ist für uns bitter. Davon zehren wir sonst das ganze Jahr“, sagt Klubchef Zyber.
Er äußert Verständnis für die Lage der elf Männer in der Halle, mit denen er nicht tauschen möchte, findet die ganze Situation „sehr unglücklich“. Auf die Frage nach der Stimmung in Bad Laasphe antwortet er: „Im Freundeskreis wird diskutiert.“
Für die Verwaltung ist die Entscheidung „völlig alternativlos“
Diskutiert haben sie auch in der Verwaltung und im Stadrat. Über geeignete Maßnahmen. Weil sie mit 15 neuen Flüchtlingen pro Woche gerechnet hätten und alle anderen Unterbringungsmöglichkeiten erschöpft gewesen seien, greifen sie seit Mitte November auf die Turnhalle zurück. Sozialamtsleiter Jann Burholt bezeichnet die Entscheidung als „völlig alternativlos“.
Angedacht sei die Halle für 70 Flüchtlinge (zur Not ginge auch mehr). Dass nun weniger kamen, habe man vorher nicht wissen können. Die Kommunen haben auf das, was in Arnsberg, Düsseldorf, Berlin, Brüssel und im Rest der Welt passiert, keinen oder kaum Einfluss. Zudem hätten plötzlich 26 Flüchtlinge in vier privaten Wohnungen untergebracht werden können. Auch das ist nicht planbar.
Die geringere Zahl hat die Situation einerseits entspannt, andererseits manches verkompliziert, weil jetzt elf Flüchtlinge eine ganze Turnhalle in Beschlag nehmen. Bürgermeister Terlinden betont dennoch: „Es war richtig, dass wir Pufferkapazität geschaffen haben.“ Außerdem verweist das parteilose Stadtoberhaupt, das von wenigen kritischen Stimmen in der Angelegenheit berichtet, darauf, dass der Januar komme, dann der Februar, heißt: weitere Flüchtlinge. Außerdem: 290 insgesamt aufgenommene Flüchtlinge zeigten, wie groß die Aufgabe für seine Kleinstadt sei. „Wir haben hier Orte, die sind kleiner als diese Zahl. Wir haben einen ganzen Ort dazubekommen“, sagt Terlinden.
Ukrainer berichtet von Problemen in der Männer-WG
Sie haben dieser Tage im Rat - einstimmig - beschlossen, Wohncontainer anzuschaffen, mit Platz für 108 Menschen. Lieferung im März. Das koste etwa zwei Millionen Euro, sagt Terlinden. Schafft aber eine Perspektive. Vor allem auch für die Elf in der Halle.
Laut Paul, dem jungen Ukrainer, der etwas Deutsch spricht und für seine vier Landsleute dolmetscht, versteht man sich untereinander gut - das gilt allerdings offenbar nur für die fünf Osteuropäer. „Mit den anderen“, sagt Paul, „hatten wir Probleme.“ Die anderen, das sind die sechs Syrer. Die hätten Geschirr nicht gereinigt, seien laut gewesen. Der Sicherheitsdienst hätte das geregelt. Laut Terlinden ist bisher nichts Dramatisches vorgefallen, sie hätten noch keinen Polizeieinsatz hier gehabt.
Während Paul über das Leben als Flüchtling in Bad Laasphe erzählt, schlafen drei Männer noch in ihren Betten. Beziehungsweise: Sie versuchen zu schlafen. Zwischen den Feldbetten - von denen viele frei sind - gibt es keine Trennwände. Man sieht und hört alles, jede Bewegung, jedes Schnarchen, jeden Furz. „Wohnen in der Turnhalle“, sagt Terlinden, „ist nicht lustig“. Immerhin haben sie hier WLAN.
ÖPNV-Ausfall führt zu 17-Kilometer-Fußmarsch
Und draußen? Nichts gegen Bad Laasphe, aber hätten die Elf wählen können, hätten sie sich dann für eine Kleinstadt mit begrenzten Möglichkeiten in den Weiten Wittgensteins entschieden, von der sie vermutlich zuvor nie gehört haben und in der man ohne Auto schnell festsitzt? Paul erzählt, dass er und seine Landsleute arbeiten wollen (bzw. er vielleicht studieren möchte). Einer, der mit seinen grauen Haaren, Brille, Karohemd und Laptop vor sich auf dem Tisch wie ein städtischer Mitarbeiter aussieht, sei Informatiker. Ein anderer Ingenieur. Einer Koch. Sprache und Bürokratie müssen aber erst mal gemeistert werden. Und mehr.
Gestern sei er auf dem Rückweg - mit dem ÖPNV - von Siegen in Erndtebrück gestrandet. Ausfall der Verbindung... „Ich bin 17 Kilometer zu Fuß gegangen“, erzählt Paul. Dreieinhalb Stunden habe er gebraucht.
Wie hat Marcel Zyber, der Vorsitzende des FC Laasphe, die Situation genannt? Unglücklich. Das trifft‘s ganz gut.