Siegen. Siegen kann und muss sich aussuchen, welche Firmen kommen dürfen. Viele Unternehmen wollen sich vergrößern oder ansiedeln. Aber Platz ist extrem knapp.

Die Industrie ist weiter wichtig, Dienstleistung, Forschung, Hochtechnologie werden immer wichtiger. Siegen steckt mitten im Strukturwandel, ist längst keine Stahl- und Bergbaustadt mehr. „Stadt und Wirtschaft“, heißt es in der Antwort auf eine Anfrage der Grünen zur Gewerbeflächenstrategie, befinden sich „seit geraumer Zeit in einem spürbaren Umbruch“, unter anderem beschleunigt durch Digitalisierung - und Klimawandel. Gleichwohl brauchen Unternehmen Platz: Die, die schon da sind, weil sich die Ansprüche an ihre Standorte verändern. Und die, die sich neu ansiedeln wollen. Problem: Platz hat Siegen kaum noch, ist aber nach wie vor begehrt. Gewerbeflächen sind nach wie vor äußerst knapp; mit dem Aus für den geplanten Gewerbepark Oberschelden/Seelbach an der A 45 vor einem Jahr gibt es nur noch eine nennenswerte Reserve: Das künftige Gewerbegebiet Martinshardt II im Leimbachtal. Und die steht auch erst in einigen Jahren zur Verfügung.

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Die Nachfrage ist schon jetzt groß - rein rechnerisch haben so viele Unternehmen Interesse an einem Standort auf der Martinshardt II, dass das künftige Gewerbegebiet jetzt schon voll wäre. „Wir sammeln“, sagt Thomas Runge, Leiter der städtischen Wirtschaftsförderung, auf Anfrage - in diesem frühen Stadium könne von aktiver Vermarktung noch keine Rede sein. Denn wie so oft in Siegen ist es auch mit dem Platz für die Wirtschaft nicht so einfach. Die Siegerländer Topografie macht die Erschließung enorm kompliziert. Wie berichtet ist geplant, für Martinshardt II eine Art Hochplateau herzustellen: Die Bergkuppe wird abgetragen, das Material zu Terrassen verbaut, um möglichst viel bebaubare Fläche zu erhalten - Martinshardt II soll doppelt so groß werden wie die beiden benachbarten Gewerbegebiete Martinshardt I und Leimbachtal zusammen. Gewaltige Erdbewegungen, für die bislang aber noch die rechtliche Grundlage fehlt.

Siegen: Laut und schmutzig rund um die Uhr? Kaum Bedarf nach reinen Industriegebieten

Ein erster Meilenstein im Prozess rückt näher: die Offenlegung des Bebauungsplans. Das bereitet die Stadt mit Hochdruck vor, bestätigt Runge. Für solche riesigen und komplexen Bauvorhaben - zum Beispiel auch aktuell beim Neubau des Rudersdorfer Tunnels - braucht es zahlreiche Gutachten: Unter anderem zu Altbergbau, Archäologie, Natur- und Artenschutz. Abhängig von Art und Zahl der Einwände dagegen folgt dann der Satzungsbeschluss, womit feststeht, wie es aussehen soll. Dann kann ausgeschrieben und vergeben werden. Bis zum Baubeginn vergeht wieder einige Zeit und auch während des Baus, das zeigen die Erfahrungen der vergangenen Jahre, kann es durchaus zu Verzögerungen kommen. Mit Fertigstellungsterminen ist nicht nur die Stadt vorsichtig geworden.

Gewerbegebiet Martinshardt, Siegen-Rosterberg, Siegen, Siegerland, Nordrhein-Westfalen, Deutschland
Das Gewerbegebiet Martinshardt II - Siegens „letzte Reserve“ - soll oberhalb des bestehenden Gewerbegebiets Martinshardt I auf der Kuppe des Berges entstehen. © www.blossey.eu / FUNKE Foto Services | Hans Blossey

Martinshardt II wird ein reines Gewerbegebiet - kein Industriegebiet. Das macht einen erheblichen Unterschied, zum Beispiel in Sachen Schallschutz - es gibt kaum noch Bedarf nach Standorten, an denen es rund um die Uhr laut und schmutzig werden darf. Das ist neben dem wirtschaftlich-technologischen Wandel auch eine Folge des Gewerbeflächen-Monitorings. Die Abteilung Wirtschaftsförderung, heißt es weiter in der Antwort auf die Grünen-Anfrage zum Stadtentwicklungsausschuss, hält „engen Kontakt zu den Unternehmen im Stadtgebiet“. Es gebe ein gut funktionierendes Netzwerk, daher habe man einen guten Überblick über die Bedürfnisse der Siegener Unternehmen - oft geht es um Expansion, wenn der alte Standort zu klein geworden ist.

Abseits großer Gewerbegebiete vom Kaliber Martinshardt gibt es aber wenn nur kleinere, vereinzelte Grundstücke und Immobilien und auch kaum nennenswerten Leerstand. „Bei allen verfügbaren und bekannten Flächen wird individuell betrachtet, welche Nutzungsformen möglich und genehmigungsfähig sind“, heißt es weiter. Denn je nach Lage kommen auch andere Bebauungen in Frage - Stadtentwicklung, soziale und kulturelle Einrichtungen. Im Fall von „Flächenkonkurrenzen“ entscheiden der Verwaltungsvorstand und letztlich die Politik.

Siegens Wirtschaftsstruktur: „gute und robuste Verfassung“

Flächen sind knapp, der Bedarf nach Ansiedlung und Vergrößerung groß - Siegen macht derzeit nur wenig Werbung für sich als Wirtschaftsstandort. Es gibt ja schließlich auch kaum etwas zu vermarkten. Für die Bedürfnisse heimischer Firmen bestehe der Draht ins Rathaus, externe werden vorab gebeten, eine umfangreiche Bewerbung zu schicken. Die Wirtschaftsstruktur sei „in einer guten und robusten Verfassung“, gerade im Vergleich mit anderen NRW-Städten: Zahlreiche Weltmarktführer, konstant niedrige Arbeitslosenquote, gutes Image als „Dienstleistungs-, Bildungs-, Verwaltungs- und forschungsintensiver Technologiestandort“ mit guter Verkehrsanbindung an die großen Flughäfen sowie die Metropolregionen Rhein-Ruhr, Frankfurt-Rhein-Main und Rhein-Neckar.

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Siegen muss vor dem Hintergrund dieser Gemengelage auswählen, wer in die Stadt kommen kann - dabei spielen auch Gewerbesteueraufkommen, Zahl der Arbeits- und Ausbildungsplätze oder Nachhaltigkeit eine Rolle. Bei bedeutenden Ansiedlungsanfragen begleitet immer öfter der Bürgermeister den „Bewerbungsprozess“, bei dem sich die Wirtschaftsförderung auch vor Ort ein Bild des Unternehmens macht. Die Stadt selbst muss ihre Hausaufgaben zunehmend im Bereich Lebensqualität machen: Für Unternehmen spiele der Aspekt Mitarbeiterbindung eine immer größere Rolle. „Weiche Standortfaktoren“ sind wichtig: Wohnen, Bildung, Freizeit, Gesundheitsversorgung.