Siegen. Martinshardt II in Siegen soll eines von Deutschlands ersten klimaneutralen Gewerbegebieten werden. Die Chancen stehen gut – bis auf einen Punkt.

Die Martinshardt II könnte tatsächlich ein weitgehend klimaneutrales Gewerbegebiet werden. Zu diesem Schluss kommt eine Potentialanalyse des Freiburger Ingenieurbüros Schäffler Sinnogy, über das die Politik zu entscheiden hat. Der Umweltausschuss und der Ausschuss für Stadtentwicklung, Wirtschaftsförderung, Stadthallen und Liegenschaften stimmten nun – bei einer beziehungsweise zwei Enthaltungen – dafür, dem Rat den nächsten Schritt zu empfehlen und die Erstellung einer Machbarkeitsstudie zu veranlassen.

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Das Vorhaben sei „ein Leuchtturmprojekt“ und „sehr gutes Marketing für die Stadt“, merkte Daniel Siejak von Schäffler Sinnogy an. Angestrebt sei ein Gewerbegebiet, das in Energiefragen „gleichzeitig unabhängig und wirtschaftlich“ sei. Er war der Sitzung per Videokonferenz zugeschaltet und stellte die Ergebnisse der Potentialanalyse vor. Wesentliche Punkte:

Aufwendiges Vorhaben

Die Martinshardt II entsteht oberhalb des bereits bestehenden Gewerbegebiets. Es wird mehr Nutzfläche haben als Martinshardt I und Oberes Leimbachtal zusammen.

Die Stadt Siegen startete mit den Arbeiten zur Erschließung des Areals 2019. Unter anderem müssen der Boden um 20 Meter abgesenkt und die Hügelkuppe geebnet werden.

Die Bedeutung neuer Gewerbegebiete betont die Stadt immer wieder. Es geht dabei nicht nur darum, weitere Unternehmen in die Region zu holen, sondern vor allem darum, bereits ansässigen Firmen ausreichend Möglichkeiten zur Erweiterung zu bieten – um deren Abwanderung zu verhindern.

• Eine klimaneutrale Wärmeversorgung der Martinshardt II ist technisch machbar;
• Eine klimaneutrale Stromversorgung bezogen auf Wärmeerzeugung und „Mobilitätsbedarfe“ wäre möglich – aber „die Bedarfe an Gewerbestrom sind nur zum Teil lokal abzudecken“, wie es in der Vorlage der Verwaltung heißt.

Siegen: Gewerbegebiet Martinshardt II – Wärmeversorgung wäre klimaneutral möglich

Hintergrund ist ein Konzeptionsbeschluss des Rates aus dem April vergangenen Jahres. Darin wurden bereits Festlegungen getroffen, wie die Martinshardt IIklimafreundlicher als für Gewerbegebiete gemeinhin üblich gestaltet werden könne. Wunschziel war Klimapositivität – also ein Ergebnis, das mehr zur Reduktion von CO2-Emissionen beiträgt, als es selbst verursacht. Geprüft wurden dafür verschiedene Varianten für die Versorgung des etwa 25 Hektar großen Areals, unter anderem eine „individuelle Wärmeversorgung mit Luft-Wasser Wärmepumpen“ und „eine gemeinschaftliche Wärmeversorgung auf Basis von Erdwärmesonden in Kombination mir einem kalten Nahwärmenetz und gebäudeindividuellen Wärmepumpen“, wie die Verwaltung schreibt.

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Empfohlen wird die gemeinschaftliche Lösung. Dafür würden nach derzeitigem Stand 540 Erdwärmesonden senkrecht in den Boden gebohrt – jeweils bis in 150 Meter Tiefe und im Abstand von 20 Metern zueinander (da jede davon die Erdwärme in einem Radius von jeweils zehn Metern nutzen kann). Da diese Sonden wartungsfrei sind, können sie sogar unter Gebäuden versenkt werden, wie der Experte erklärte. Die Investitionskosten liegen bei geschätzt 13,8 Millionen Euro, könnten aber zu 40 Prozent über Mittel der „Bundesförderung für effiziente Wärmenetze“ (BEW) getragen werden, so dass der Eigenanteil der Stadt bei 8,2 Millionen Euro läge.

Nach dem Oberen Leimbachtal und der Martinshardt I wird mit der Martinshardt II ein weiteres Gewerbegebiet in Siegen entstehen.
Nach dem Oberen Leimbachtal und der Martinshardt I wird mit der Martinshardt II ein weiteres Gewerbegebiet in Siegen entstehen. © Hendrik Schulz (Archiv)

Siegen: Gewerbegebiet Martinshardt II bleibt auf Strom von außerhalb angewiesen

Die Kapazitäten zur Stromerzeugung vor Ort aus regenerativen Quellen werden im Gegensatz zu den Wärme-Optionen selbst dann nicht zur Deckung des im Gewerbegebiet entstehenden Bedarfs ausreichen, wenn sämtliche Möglichkeiten für die Installation von Photovoltaikanlagen einschließlich Fassaden und Freiflächen ausgeschöpft würden. Grund ist der erwartete Bedarf der Unternehmen zur Ausübung ihrer Tätigkeiten. Ginge es lediglich um den Strom, der für die Wärmeerzeugung oder das Aufladen von Fahrzeugen notwendig ist, könnte die Martinshardt II hingegen klimapositiv sein.

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Vorhersagen zu tatsächlichen finanziellen Sparpotenzialen seien aktuell kaum zu treffen, wie Daniel Siejak erläuterte. Die Dynamik auf dem Energiemarkt mit den rasch steigenden Preisen in Folge des russischen Kriegs gegen die Ukraine macht Prognosen schwierig. Das Projekt stand ursprünglich vor allem unter klimapolitischen Zielen, hat mittlerweile aber eine ausgeprägte wirtschaftliche Dimension bekommen, da niemand weiß, in welche Höhen sich die Energiekosten noch schrauben mögen. Je mehr Wärme und Strom im Gewerbegebiet in Zukunft erzeugt werden können, je unabhängiger es also von anderen Quellen sei – um so besser, betonte der Fachmann. Und das könnte langfristig noch viel stärker ins Gewicht fallen: Je teurer Energie, die Unternehmen zukaufen müssen, nämlich wird, um so mehr können Betriebe sparen, die auf solche Lieferketten nicht angewiesen sind.

Siegen: Stadt soll Machbarkeitsstudie für klimaneutrales Gewerbegebiet veranlassen

Die nächsten Stationen sind der Haupt- und Finanzausschuss am 29. September und der Rat am 19. Oktober. Letzterer trifft die endgültige Entscheidung und soll laut Beschlussvorschlag die Verwaltung mit der Erstellung eines Förderantrags für die Machbarkeitsstudie beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) beauftragen, um 50 Prozent Förderung für die 500.000 Euro teure Studie zu akquirieren. Die Machbarkeitsstudie wird laut Vorlage zwölf Monate dauern, könne aber auf bis zu 24 Monate verlängert werden.

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