Siegen. Der Mangel an Flächen ist so groß, Siegen steht bei der wirtschaftlichen Entwicklung quasi vor dem Nichts. Firmen können nicht mehr wachsen.
Der Gewerbepark Oberschelden/Seelbach wird nicht kommen. Der Ausschuss für Stadtentwicklung und Wirtschaftsförderung schließt sich wie erwartet mehrheitlich den Vorschlag der Verwaltung an, die Planungen einzustellen und das Thema damit nach Jahrzehnten zu den Akten zu legen. Damit steht Siegen nun buchstäblich vor dem Nichts: Gebraucht werden dringend weitere Gewerbeflächen, es gibt aber keine. Nicht mal in Aussicht. Das könnte für die wirtschaftliche Entwicklung durchaus noch bedrohlich werden.
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Die 20 Hektar im Siegener Westen hätten zumindest etwas Druck vom Kessel nehmen können, das grundlegende Problem aber in keiner Weise gelöst: Siegen sucht händeringend nach geeigneten Grundstücken, damit heimische Unternehmen sich vergrößern oder auswärtige sich in der Stadt ansiedeln können. Für beides erreichen die Stadt viele Nachfragen, sie kann aber nichts anbieten. 100 Hektar beträgt das Defizit, erinnerte Bürgermeister Steffen Mues in der Sitzung – immerhin nicht mehr 130, dank Martinshardt und Leimbachtal. Davor seien mit Heidenberg und Schemscheid lediglich „Mini-Gewerbegebiete“ erschlossen wurden und all das sei inzwischen auch schon ziemlich viele Jahre her.
Dramatische Lage nicht nur in Siegen: Im ganzen Siegerland keine Gewerbeflächen?
Der Bedarf sei riesig, betonte Mues, das zeigten die Interessensabfragen für das geplante Gewerbegebiet Martinshardt II: „Das ist jetzt schon überzeichnet“ und werde nicht ausreichen, die Nachfrage zu bedienen. So riesig es ist, werde es vielleicht kurz für Entlastung sorgen „und ist dann sehr schnell wieder voll.“ Es wäre das Ziel, wenn Siegen permanent über Flächen verfügen könnte, um Firmen Möglichkeiten und Perspektiven für die Expansion oder Neuansiedlung anbieten zu können. Die habe man aber nicht. In den 2000er Jahren seien reihenweise Unternehmen nach Haiger gezogen, „darunter Weltunternehmen mit tausenden Mitarbeitern“, so der Bürgermeister. „Die kamen alle aus Siegen.“
Schon In Leimbachtal und Martinshardt seien zum Großteil „nur“ Unternehmen angesiedelt worden, die schon ihren Betriebssitz in Siegen hatten und mehr Platz brauchten. Rückblickend sei das auch sehr gut gewesen, „die wären nämlich sonst auch weggegangen“, betonte der Bürgermeister. Wenn sich Unternehmen vergrößern wollen, „dann wollen nicht drei bis vier Jahre warten.“ Dass die Stadt sich mit Flächen bevorratet, die nicht nur eine theoretische Reserve sind, sondern tatsächlich auch in der Realität erschlossen werden können: „Ich sehe nicht, dass wir das erreichen.“
Keine reine Industrie mehr
Was tatsächlich nicht mehr benötigt werden, seien reine Industriegebiete, also wo es rund um die Uhr lärmt und stinkt. „Nicht jedes produzierende Gewerbe gießt Tag und Nacht Walzen“, so Mues auf einen Einwand von Daniela Stoker (Grüne), die nicht nur für die Wirtschaft, sondern generell einen strategischeren Umgang mit Flächen gefordert und dabei angemerkt hatte, dass sich Technologien und Verfahren weiterentwickelt hätten.
Einziger „Vorteil“, wenn man das in dieser Misere überhaupt so nennen kann: Im Siegerland gibt‘s nirgends Flächen. Für Siegen sei das deshalb positiv, weil diese Firmen warten müssten, wenn sie die Region nicht ganz verlassen wollen. Was für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt und gerade auch der Unternehmen sicher nicht positiv ist. „Das zeigt, wie dramatisch die Lage ist.“
SPD Siegen für Gewerbegebiet und Lkw-Durchfahrtsverbot – das gälte auch für Heizöllaster
Trotz alledem: Für Oberschelden/Seelbach sehen die Fraktionen – bis auf die SPD – keine sinnvolle Perspektive. Man habe „sehr, sehr intensiv“ dafür gekämpft, im Sinne der „wirtschaftlichen Entwicklung unserer Stadt“, nach jahrzehntelangen Verhandlungen unter anderem mit diversen Staatssekretären der Bundesregierung und dem Landesbetrieb Straßen NRW „hätte es wahrscheinlich auch geklappt“, so der Bürgermeister. Aber gerade der neue, eigene Autobahnanschluss, der die umliegenden Ortslagen hätte entlasten sollen, würde das Gegenteil bewirken, Oberschelden, Gosenbach und Seelbach würden den zusätzlichen Verkehr schlicht nicht verkraften. Es sei aus seiner Sicht nicht ganz so dramatisch, wie mancher die Lage skizziere, aber man könne die Belastung auch nicht absprechen.
Nicht nur die CDU, auch die Stadt beende das Vorhaben mit einem weinenden Auge, sagte der Verwaltungschef. „Wenn man erkennt es funktioniert nicht, muss man die Bücher irgendwann schließen“. Er sei froh, dass die Erkenntnis auch in der CDU angelangt sei, sagte Markus Nüchtern (FDP). Bernd Schneider hingegen bekräftigte, dass der zusätzliche Verkehr aus Sicht der SPD händelbar sei, dass insbesondere der Schwerlastverkehr gelenkt werden könne. Man lege Wert darauf, dass sich in Siegen weiterhin Gewerbe ansiedeln könne. Anders als Marc Klein (CDU) sehe er nicht, dass Wirtschaftsverkehre von Niederschelden durch die „Schossi“ Richtung Gosenbach und weiter zur Autobahn fahren, statt wie bisher über die HTS.
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Benjamin Hinkel, Abteilungsleiter Straße und Verkehr, widersprach: Auf Landesstraßen wie der L 907 gebe es nur äußert begrenzt Möglichkeiten, insbesondere den Schwerverkehr zu lenken. Denn dürften Lkw von und zum Gewerbepark nicht mehr durchfahren, dürften das beispielsweise auch Heizöllaster oder Möbelfahrzeuge nicht mehr so einfach so vors Haus der Anwohner fahren – die Spediteure bräuchten Sondergenehmigungen. „Da hängt ein ganzer Rattenschwanz dran“, so Hinkel. Abgesehen davon helfe ein Durchfahrtverbot auch nicht, die Verkehrszahlen effektiv zu senken, weil der Schwerverkehr einen relativ geringen Anteil ausmacht: Den Großteil des „Zusatzverkehrs“, so Bürgermeister Mues, machen die aus, die den neuen Autobahnanschluss nutzen, einfach weil er da ist.