Rudersdorf/Wilgersdorf/Gernsdorf. Baustellen-Logistik für neuen Rudersdorfer Tunnel sorgt für große Angst: Deutsche Bahn präsentiert nun eine neue Lösung - ist das der Durchbruch?
Gewaltige Mengen Material müssen bewegt werden, wenn der längste Eisenbahntunnel NRWs länger wird - und sich auch noch verdoppelt: Die Deutsche Bahn plant den Neubau des Rudersdorfer Tunnels bis 2031, in künftig zwei statt bislang einer Röhre. Dieses Material hat vielen Menschen in Wilnsdorf und Haiger einiges Kopfzerbrechen bereitet - denn es braucht eine Baustraße, auf der die Lkw fahren können. Die von der DB zunächst vorgelegte Variante sorgte für Bauchschmerzen bei der Gemeinde und in den betroffenen Ortschaften: Die L 904 sei viel zu steil für schwer beladene Laster. Und außerdem würde die Route die Wasserversorgung beeinträchtigen. Mehr als 100 Einwendungen und Stellungnahmen wurden abgegeben, ein Großteil zum Thema Baustraße. Die Bahn prüfte nochmal gründlich alles durch - und präsentiert beim Erörterungstermin des Eisenbahnbundesamtes am Mittwoch, 23. Oktober, im Gernsdorfer Bürgerhaus eine neue Strecke, mit der wohl - fast - alle ganz gut leben können.
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Die „Träger öffentlicher Belange“ haben auf beiden Seiten der Grenze NRW-Hessen nichts gegen den Tunnelneubau an sich. Die Bahn will die für den Güterverkehr wichtige Verbindung Hagen-Siegen-Hanau mit Priorität ausbauen, der Rudersdorfer Tunnel hat nochmal besondere Priorität, weil er bröckelt. Die Schäden seien erheblich, man könne nicht warten, bis die gesamte Trasse erneuert werde, bekräftigt Bodo Tauch, Projektleiter beim bahneigenen Infrastrukturunternehmen DB InfraGO am Mittwoch. Was den Anrainern Sorge bereitet, ist die Baustellenlogistik - Material muss herantransportiert und gelagert, Schutt abgefahren werden. Das geht bei einem Bauprojekt solchen Ausmaßes nicht ohne Eingriffe in Landschaft und Natur. Sechs Jahre Bauzeit, Tunnelvortrieb durch rund 6000 Sprengungen, knapp 200.000 Kubikmeter alter Tunnel werden verfüllt, mehr als 500.000 m3 Aushub entsorgt. Ein Mammutprojekt.
Durch Neubau Rudersdorfer Tunnel würde L 904 als Baustraße zu Gefahrenstelle
Die Baustraßen, so der alte Plan, sollten von den beiden Tunnelportalen bei Rudersdorf und Dillbrecht an die von Wilgersdorf kommende L 904 angebunden werden, von dort ginge es weiter über die B 54 zur A 45. Es gehe um die Abwägung von Natur- und Menschenschutz, bekräftigt der Vertreter der Wilgersdorfer Jagdgenossenschaft: Auch wenn man die Landstraße verbreitere, bleibe das Gefälle. In Herborn sei letztens ein Tanklaster in ein Gebäude gerast - hier würden solche Vorfälle geradezu provoziert - zumal hier neben Bauschutt auch Chemikalien und Sprengstoff transportiert würden. Den Verkehr durch dieses steile Nadelöhr zu führen - „das ist Wahnsinn!“
„Unsere Priorität ist, Eingriffe in die Natur so gering wie möglich zu halten.“
Wasserbehörden von Kreis und Bezirksregierung, Wasserverband Siegen-Wittgenstein, örtliche Fischereigenossenschaft und Haigerer Stadtwerke äußern zudem erhebliche Bedenken, weil diese Trasse durch Wasserschutzgebiete führen würde und eine erhebliche Gefahr nicht nur für die Trinkwasserversorgung Wilgersdorfs hätte. Bäche müssten geschützt werden, vor Betriebsstoffen oder davor, zugeschüttet zu werden. Man werde die Gewässer komplett schützen, betont Bodo Tauch für die DB InfraGO. Und mit Blick auf die Baustraße und die großen Bedenken: „Wir haben uns das sehr zu Herzen genommen.“ Sämtliche Varianten habe man sich daher nochmal intensiv vorgenommen, auch solche, die riesige Umwege bedeutet hätten. Ganz frisch sei die Lösung: „Wir können die Schutzgebiete umfahren.“ Und auch die L 904 vermeiden.
Wilnsdorf: Ortschaften durch Verkehr hoch belastet - wegen Tunnel-Neubau nicht noch mehr
Die neue Baustraße, die per Deckblattverfahren beim Eisenbahnbundesamt eingereicht und auch erneut öffentlich ausgelegt werden soll, könnte der Kompromiss sein, der ziemlich viele Kriterien erfüllt: Sie führt auf dann entsprechend ausgebauten Wegen nicht durch die Ortschaften, die schon erheblich durch Lkw-Verkehr belastet sind, wie Martin Klöckner für die Gemeinde Wilnsdorf nochmals betont. Sie minimiert Umwelteingriffe, ist recht kurz und wirtschaftlich sinnvoll, schildert Projektleiter Tauch. Es brauche einfach eine Verbindung zwischen den beiden Portalen, um im Baugeschehen flexibel handeln zu können. „Keine Variante ist super-top, wir müssen Kompromisse eingehen.“
„Wir haben uns das sehr zu Herzen genommen.“
Erörterungstermin
Der Erörterungstermin wird am Donnerstag fortgesetzt. Die Veranstaltung ist Teil des Planfeststellungsverfahrens, im Rahmen dessen das Eisenbahn-Bundesant der Bahn den Bau am Ende genehmigen wird - oder auch nicht, wie die Verhandlungsleiterin erklärt: „Dass es so kommen wird, steht noch nicht fest.“ Teilnehmen an dem Termin können „Träger öffentlicher Belange“ wie Behörden und Verbände sowie Privatpersonen, die von dem Vorhaben betroffen sind und Einwendungen dagegen vorgebracht haben.
Mit diesem Kompromiss können sie leben, Behörden ebenso wie die Interessengemeinschaft (IG) Wilgersdorf: „Wir sind sehr froh über diese Variante und bereit, konstruktiv mitzuwirken“, verkündet deren Vertreter. Auch Straßen NRW und die Gemeinde Wilnsdorf: „Wir begrüßen das ausdrücklich“, sagt Martin Klöckner. Die Baustellenlogistik hätte auf dem Gefällstück „ganz erhebliches Gefährdungspotenzial“ geschaffen.
Baustraße für Rudersdorfer Tunnel: L 904 zu steil für schwere Lastwagen
Die Konfliktlinie scheint in diesem Fall mal wieder vor allem zwischen dem Bauherrn und dem Naturschutz zu verlaufen. Eine solche Straße zu bauen, berühre immer noch sensiblen Naturraum, das sei „höchst problematisch“, so der Vertreter der Naturschutz-Initiative (NI). Mit der Baustraße auf ertüchtigten Forst- und Wirtschaftswegen werde eine wahre Landstraße gebaut - werde sie auch wieder zurückgebaut? „Wir lehnen einen so massiven Bau ab“, sagte er und verwies auf seiner Ansicht nach unzureichende Artenschutzuntersuchungen, die Wolf, Luchs, Wildkatze und auch Haselhuhn nicht ausreichend berücksichtigt hätten. Natürlich gehe es auch anders, über die L 904 oder per Bahn - dann würden die Orte belastet, „aber unsere Priorität ist, Eingriffe in die Natur so gering wie möglich zu halten“. Und dieser Eingriff sei gewaltig.
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Diese Baustraße, hieß es vom Artenschutz-Experten der Bahn, sei mit einer Landstraße nicht zu vergleichen. Bei etwa 100 Lkw am Tag komme alle 7 bis 8 Minuten ein eher langsam fahrendes Fahrzeug - das beeinträchtige den Lebensraum der Katze längst nicht so stark wie eine tatsächliche Landstraße. Das Haselhuhn habe nicht nachgewiesen werden können. Bodo Tauch verwahrte sich dagegen, dass man die Baustraße nicht zurückbauen werde, wenn sie ihren Zweck erfüllt hat: Natürlich werde man das tun, „dazu sind wir verpflichtet.“ Man könne die L 904 einfach nicht so ausbauen, dass sie mit schweren Lkw sicher befahrbar sei: „Im Winter gerät man da ins Rutschen.“