Dreis-Tiefenbach/Siegen. Ingenieurin Verena Carl baut bei der Autobahn alle A-45-Brücken zwischen Kalteiche und Rahmede neu. Riesige Siegtalbrücke besondere Herausforderung.

Die schieren Ausmaße faszinieren sie. Gewaltige Bauwerke aus Stahl und Beton, die ganze Täler überspannen. Brücken verbinden, sagt Verena Carl, das gefällt ihr daran. Ihre Vielfalt; jede ist anders, genau für den Ort konstruiert, an dem sie steht. Autobahnbrücken gibt es nicht von der Stange, ganz besonders an der A 45 nicht. Die Bauingenieurin ist bei der Autobahn GmbH verantwortlich für alle Brücken entlang der Sauerlandlinie zwischen Haiger und Rahmede. Sie alle müssen neu gebaut werden. Ihr Job ist es, diese Giganten mit ihrem Team zu planen, die alten abzureißen; dafür zu sorgen, dass die neuen Brücken errichtet werden. Auch die Siegtalbrücke - eine besondere Herausforderung. „Ein Riesenprojekt“, sagt sie.

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Verena Carl kann von Brücken schwärmen. Sie findet Baustellen faszinierend, die schweren Maschinen, die komplexe Logistik, immer wieder die spektakulären Ausmaße. Zum Beispiel nach einer Sprengung, wenn da dieses riesige Bauwerk am Boden liegt und man ganz klein danebensteht - „einfach beeindruckend“. Das empfinden viele Menschen so. Jeder kennt die Brücken, aber sie sind nicht wirklich fassbar, manches kann man sich einfach nicht richtig vorstellen. Verena Carl kann das. Und sie erklärt das auch gern. Dass das zum Beispiel nicht nur eine Platte auf Pfeilern ist - das Bauwerk auf den Pfeilern ist so groß, dass der Raum im Innern doppelt so hoch wie eine Wohnung ist. Als sie dieses Jahr in der Schulklasse ihrer Zwillinge eine Unterrichtsstunde über die Siegtalbrücke hielt, waren die Kinder natürlich alle fasziniert - „Deine Mama kann das?“ Die Schülerinnen und Schüler hörten gar nicht mehr auf zu fragen: Nach der Menge des Sprengstoff, wenn eine Brücke abgebrochen wird und was mit den Regenwürmern darunter passiert, wenn sie ins Tal donnert.

Siegen: Ingenieurin ist für Dutzende Brücken entlang der A 45 zuständig

13 Jahre hatte Verena Carl fast nur gerechnet. Studiert hat sie Bauingenieurwesen, wollte etwas Naturwissenschaftliches machen, „was zum Anpacken, wo man etwas wachsen und entstehen sehen kann“. Der Groschen fiel während eines Praktikums bei einem Ingenieurbüro, auf der Baustelle der HTS-Verlängerung war das. „Wer macht das, wer plant das?“, fragte sie sich, als sie die riesigen Bauwerke von Nahem erlebte. Als sie an diesem Tag nach Hause fuhr wusste sie: „Ich möchte Brücken bauen“. 2007 erhielt sie ihr Diplom, begann 2008 in einem Ingenieurbüro in Eschenbach als Tragwerkplanerin, baute auch etliche kleinere Brücken in Netphen, sanierte etwa den Damm der Obernau-Talsperre. „Ich konnte in viele Bereiche reinschnuppern,“ sagt sie, „wusste aber: Ich will Brücken bauen.“ Die großen.

Verena Carl, Teamleiterin im Geschäftsbereich Bau Autobahn Westfalen/Außenstelle Netphen, ist für den Ersatzneubau der Siegtalbrücke zuständig.

„„Ich wollte was zum Anpacken machen, wo man etwas wachsen und entstehen sehen kann.“

Verena Carl,

Die Gelegenheit erhielt sie, als die Autobahn GmbH gegründet wurde und für die Niederlassung im ehemaligen Telekom-Gebäude in Dreis-Tiefenbach Mitarbeitende suchte. Das kannte Verena Carl schon als Kind - ihr Vater hatte hier gearbeitet. 2021 fing sie an, inzwischen ist sie „Teamleiterin konstruktiver Ingenieurbau“. Das Unternehmen fördert Teilzeit auch in Führungspositionen gerade für Frauen wie Verena Carl, die Beruf und Familie unter einen Hut kriegen müssen. Dutzende Bauwerke fallen in ihren Verantwortungsbereich - nicht nur die Autobahn-Talbrücken selbst. Sondern auch alle anderen: Es führen auch Brücken über die Autobahn und unter ihr hindurch. Sie alle müssen neu gebaut werden - die A 45 wird ja sechsspurig ausgebaut.

Von weitem sieht sie aus, wie eine Platte auf Pfeilern - aber das Fahrbahnbauwerk ist so groß, dass man im Inneren durch wahre Säle gehen kann.
Von weitem sieht sie aus, wie eine Platte auf Pfeilern - aber das Fahrbahnbauwerk ist so groß, dass man im Inneren durch wahre Säle gehen kann. © WP | Hendrik Schulz

Die Siegtalbrücke ist ein Bauwerk, mit dem die Autobahn Mitarbeitende wirbt - nach dem Motto: Bei uns kannst Du dieses Riesenteil neu bauen. Bei Verena Carl hat das jedenfalls funktioniert - sie wurde Sachbearbeiterin, ist nun Teamleiterin. Dieses Bauwerk hat etwas an sich, es ist anders als die anderen A 45-Brücken. Länger und höher, führt über bewohntes Gebiet. Sie kann nicht mal eben gesprengt werden wie Rälsbach oder Eisern, muss von oben nach unten „abgeknabbert“ werden. Immerhin gibt es keine Naturschutzgebiete, die Ärger machen könnten, wie in Büschergrund zum Beispiel.

Siegtalbrücke in Siegen: Die Höhe ist beim Abriss ein Problem - Sprengen geht nicht

Der Neubau ist dabei der einfache Teil. Die Siegtalbrücke rückt 18 Meter Richtung Siegen - die neue Brücke wird erst gebaut, bevor die alte abgebrochen wird. Beide Fahrbahnbauwerke liegen auf gemeinsamen Pfeilern - erst nehmen sie die Fahrtrichtung Dortmund weg, der Verkehr fließt währenddessen in beide Richtungen über die alte Fahrtrichtung Frankfurt. Dann bauen sie an dieser Stelle die neue Brücke auf neuen Pfeilern, quasi halb daneben. Ist sie fertig, wird der Verkehr auf sie umgelegt und die andere Fahrbahn abgebrochen. Und auch die Pfeiler. Für die untersuchen sie noch, was die schonendste Methode ist.

Luftbild, Autobahn A45 Siegtalbrücke, über die Bundesstraße B62 Hüttentalstraße, Erdkugel, Fisheye Aufnahme, Fischaugen Aufnahme, 360 Grad Aufnahme, tiny world, Eiserfeld, Siegen, Sauerland, Nordrhein-Westfalen, Deutschland
So sieht die Siegtalbrücke in Siegen-Eiserfeld heute aus... © www.blossey.eu / FUNKE Foto Services | Hans Blossey
A45 Siegtalbrücke
... und so soll der fertige Neubau aussehen. Die Autobahnbrücke ist nicht nur wegen seiner Höhe eine Herausforderung, sondern weil sie über besiedeltes Gebiet führt. © Autobahn Westfalen | Autobahn Westfalen

Die Länge sei nicht so schwierig beim Rückbau, erklärt Verena Carl. Sondern die Höhe. Kein Bagger reicht dorthin. Was die Fahrbahn angeht, den riesigen Betonkasten, haben sie eine Lösung ausgetüftelt: Ein Verlegegerät. Im Grunde ein riesiger liegender Kran, der über die Fahrbahn geschoben wird und von dem aus sie nach und nach in Stücke sägt wird, mit einer enorm großen Bandsäge. Im Grunde, erklärt Carl, „schneiden wir die Siegtalbrücke in Scheiben.“ Sichern, sägen, rausheben, über die verbleibende Fahrbahn abtransportieren. Im Grunde so, wie die Brücke in den 1960er Jahren auch errichtet wurde, nur halt rückwärts. Wenn nicht gesprengt werden könne, sei das meistens der beste Weg - „man weiß, das hat schonmal funktioniert“, sagt sie. Jeder einzelne Zwischenzustand sei statisch erprobt. Verena Carl und ihr Team haben es sich nicht leicht gemacht. Es soll möglichst schnell gehen, die Menschen so wenig wie möglich beeinträchtigen - es geht nur so. „Wir haben alles auf den Kopf gestellt, aber Risiko und Aufwand wären zu groß.“

A 45 bei Siegen: 2025 werden die ersten Autobahnbrücken so richtig endgültig fertig

Bei so einer Baustelle darf nichts schiefgehen. Die Brücke wurde nachgebaut, als Modell im Windkanal. Wenn da ein Stück fehlt - wie wird das Bauwerk vom Wind beansprucht, schwingt sie anders? Was, wenn zwei Stücke fehlen, drei,...? Dann der Baulärm: Alle Häuser im Einzugsbereich wurden in einem digitalen Modell erfasst, dann für jedes ein Lärmpegel simuliert - welchen Krach verursacht zum Beispiel die Bandsäge, wie verteilt sich der Schall? „Man kann genau sehen, welcher Lärm in wecher Bauphase auftritt“, sagt Verena Carl. Die wurden dann so ausgelegt, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte auch eingehalten werden. Das war dann wieder viel rechnen. Gehört auch zum Job.

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Mit Fertigstellungsterminen ist die Autobahn GmbH zurückhaltend. Irgendwas kann immer dazwischenkommen, das haben die vergangenen Jahre gezeigt. Über 25 Brückenbauwerke führt die A 45 im Bereich der Netpher Niederlassung, die Arbeiten an einigen davon laufen seit Jahren. Und so langsam werden die ersten fertig, so richtig. Eisern, Rinsdorf und Rälsbach: Nächstes Jahr ist es soweit, ganz bestimmt. Herausforderung gemeistert. Auf Verena Carl und ihr Team warten noch Dutzende weitere.