Eiserfeld. Von 2028 bis 2035 soll die Siegtalbrücke an der A45 in Eiserfeld neu gebaut werden. Was den Anwohnern vor Beginn des Projekts Sorge bereitet.
„Noch ist es ruhig hier bei uns, auch da oben …“ Mit dieser Zustandsbeschreibung steigt die Bürgerinitiative Siegtalbrücke ein in ihr Werben um Mitglieder. Denn die Menschen, die im Bereich der Eiserfelder Siegtalbrücke wohnen, blicken durchaus ungewiss und latent verunsichert in die Zukunft. Ihr Lebensumfeld wird sich ändern. Von 2028 bis 2035 soll eine neue Autobahnbrücke über ihren Köpfen entstehen, das alte Bauwerk der A 45 wird sukzessive abgerissen. Nun wollen die Anwohner nicht nur reagieren, sondern agieren – sie wollen vorbereitet sein, wenn die Baumaßnahme der Autobahn Westfalen beginnt. Eine immense Herausforderung für alle Beteiligten.
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„Die Brücke muss gebaut werden, da sind wir nicht gegen“, sagt Günter Messerschmidt. Der pensionierte Polizist wohnt seit einem halben Jahrhundert ziemlich genau unter der bis zu 104 Meter hohen Autobahnbrücke am Nachtigallweg. Aus seiner Sicht ist ein „gewisser Schutz“ der Anwohnerinnen und Anwohner dringend geboten. Deshalb hat Messerschmidt etwas angestoßen und im Verein mit weiteren Betroffenen die Bürgerinitiative Siegtalbrücke ins Leben gerufen.
Siegen: Initiative fordert Schutz der Immobilien
Vorsitzender dieses neuen Vereins ist der kommunalpolitisch erfahrene und vielfach in Eiserfelder Belangen engagierte Mark Rothenpieler. Ihm geht es darum, dass die vom Bau unmittelbar betroffenen Menschen gut informiert werden. „Wir wollen auf Augenhöhe mit dem Straßenbaulastträger sprechen“, sagt er. Und da sei es gut, wenn die Anwohner möglichst mit einer Stimme zu hören seien – auch im Dialog mit weiteren Verantwortungsträgern, etwa bei der Stadt Siegen. Die Initiative wolle sich gern konstruktiv einbringen, auch bei Überlegungen zur Wegführung von Baustraßen, bei zeitlichen Fragen, bei der Gestaltung der sogenannten Einhausungen, also der Überdachung der betroffenen Straßenzüge. Die Initiative wolle zudem dafür sorgen, dass die Bürgerinnen und Bürger im Umfeld des Brückenbaus frühzeitig über anstehende Maßnahmen Kenntnis erhalten. Sie kämpfe für den Schutz der Immobilien und für Leben und Gesundheit (also: Unversehrtheit) ihrer Mitglieder.
Die Baumaßnahme: Neue „Krone für die Königin der Autobahnen“
Endgültig fertiggestellt wurde die beim Bau höchste Straßenbrücke Deutschlands im Jahr 1976. Für den Verkehr freigegeben worden ist dieser Abschnitt bereits im Oktober 1968.
Im Zuge des sechsspurigen Ausbaus der A 45 wird die derzeit 30 Meter breite Brücke im Querschnitt um sieben Meter erweitert. Entstehen soll – als sogenannte Vorzugsvariante – eine Schrägseilbrücke mit Spannweiten von bis zu 192,5 Metern. Statt heute zwölf sollen künftig sechs Pfeiler das Bauwerk stützen.
Noch nicht abschließend geklärt ist, wie genau das Bestandsbauwerk abgebrochen wird. Möglich sind Teilsprengungen an den beiden Hängen, dazu ein sukzessiver Rückbau. Planungsziel der Verantwortlichen: „alle Immissionen und Einschränkungen für die Siegener Bevölkerung sowohl zeitlich als auch qualitativ auf das geringstmögliche Maß zu begrenzen“.
Der Verkehr der A 45 soll durchweg über die Autobahn geführt werden. Beide Fahrtrichtungen liegen auf jeweils getrennten Überbauten je Fahrtrichtung. Ist die neue Schrägseilbrücke fertig, wird der Verkehr vollständig auf die neue Brücke umgelegt. Dann erfolgt der Rückbau des Restbestands.
Der Verein knüpft an die positiven Erfahrungen einer vergleichbaren Initiative an, der Aktionsgemeinschaft Kreta e.V., die im Zuge des Baus des Bühltunnels der nach Niederschelderhütte führenden Hüttentalstraße erfolgreich die Interessen der Anlieger hat vertreten können. Der damalige Vorsitzende Friedrich Schmidt: „Wir haben einiges erreicht: Lärmschutz, Bauverbot am Sonntag, Entschädigungen zum Beispiel hinsichtlich des Einbaus von Schallschutzfenstern. Als Einzelner hast du da keine Chance. So etwas geht nur gemeinsam.“ Auch für den Bauträger sei es hilfreich, einen Ansprechpartner zu haben und nicht viele einzelne Parteien. Es gehe darum, insgesamt verträgliche Lösungen zu finden.
Siegen: Bestmögliche Information der Bürger
Letzteres unterstreicht auch die Autobahn Westfalen. Marco Gräb, der Leiter der Außenstelle Netphen, zur Gründung Bürgerinitiative: „Ich sehe das ausdrücklich positiv. Für uns als Träger dieses Projektes ist es sehr wichtig, die betroffenen Anliegerinnen und Anlieger der Siegtalbrücke in jedem Projektstadium über unsere Planungen bestmöglich zu informieren und bei unseren Überlegungen mit einzubeziehen. Ich freue mich auf eine konstruktive Zusammenarbeit.“
In Eiserfeld hat sich die Initiative nach ersten informellen Überlegungen im Mai 2022 formiert. Zu den Ansprechpartnern gehören neben Messerschmidt und Rothenpieler auch Jens Semma und Ernst Brühl, ebenfalls Hausbesitzer im Nachtigallweg. „Wir haben das Thema im kleinen Kreis angestoßen, wollten dann aber schnell in die Öffentlichkeit“, sagt Mark Rothenpieler. Inzwischen sind rund 300 Flyer verteilt worden: in der Eiserfelder Straße, der Grabettstraße und der Freiheitsstraße sowie im Nachtigallweg.
Mitglieder zahlen monatlich 10 Euro. Der Startschuss zum gemeinschaftlichen Ansparen von Mitteln, die gebraucht werden, um möglicherweise rechtlichen Beistand oder auch eine Begutachtung zu finanzieren, steht unmittelbar bevor. Wer später beitritt, muss rückwirkend zahlen. „Im Endeffekt geht es ums Geld“, so Rothenpieler. „Wenn man so will, sind wir eine private Rechtsschutzversicherung.“ Wichtig zu wissen: „Mit Beginn der Baumaßnahme ist Aufnahmestopp im Verein.“ Sollte die Bürgerinitiative Siegtalbrücke aufgelöst werden, erhalten alle Mitglieder das dann bestehende Vermögen anteilig zurück.
Häuser müssen in den 1960er Jahren Siegtalbrücke weichen
Noch genießen die Anwohnerinnen und Anwohner die Vorteile dieser trotz der verkehrsreichen Umgebung ruhigen Wohnlage: nah an der Natur, nah an einer guten Infrastruktur mit ÖPNV, Einkaufsmöglichkeiten, Freizeitanlagen, Schulen und Kindergarten. „Man wohnt hier super“, sagt Mark Rothenpieler. Der Bereich im Schatten der Talbrücke sei „eine beliebte Ecke“, bestätigt Günter Messerschmidt. „Ich lebe über 50 Jahre schon hier. Und zwar gern.“ Der Pensionär bebaute damals das Grundstück, das der Familie gehörte. Vom Lärm der stark befahrenen Autobahnbrücke höre er am allerwenigsten. Störender sei für ihn der nächtliche Güterverkehr auf der Bahnstrecke.
Messerschmidt kann sich noch daran erinnern, wie es war, als Mitte der 1960er-Jahre mehr als ein Dutzend Häuser im Bereich von Grabett- und Freiheitsstraße weichen mussten. Auch die legendäre „Gilberg-Klause“ (im Volksmund: „Lumumba-Bar“), die im Bereich der Häuser „Baum“ und „Wittmer“ zur Einkehr lud, kommt ihm in den Sinn. „Da haben sich meine Eltern kennengelernt“, weiß Mark Rothenpieler – und das ist nur eine von vielen Geschichten, die aus dem Irgendwo zwischen Eiserfeld-Ort und der Hengsbach-Siedlung erzählt werden könnten. Auch damals seien die betroffenen Straßen eingehaust worden, berichtet Peter Baum. Für den 64-jährigen „Grabetter“ war die Großbaustelle zu Kindheitszeiten eine Art Abenteuerspielplatz, die Begegnungen mit den Bauarbeiten aus „bella Italia“ besonders: „Die haben für uns Tomatenbrote gemacht.“ Gestört von Dreck, Staub und Lärm seien damals natürlich alle gewesen, sagt er. Rund um die Uhr hätten Lkw den Beton angeliefert. „Das waren schlaflose Nächte.“ Sein Vater Alfred dokumentierte den Fortschritt der Bauarbeiten mit der Kamera. „Drei Wochen dauerte es, dann stand der Pfeiler in der Nachbarschaft.“
Abriss der Siegtalbrücke bereitet Initiatoren große Kopfschmerzen
Peter Baum blickt durchaus sorgenvoll auf die Zeit nach 2028. Weniger der Neubau bereite ihm Kopfschmerzen als vielmehr der Abriss. Von der Infoveranstaltung im September 2019 in der Aula des Gymnasiums Auf der Morgenröthe sei er enttäuscht gewesen. Alle Fragen, die Belange der Anwohner betroffen hätten, seien nur sehr vage beantwortet worden. Hätten sich damals, in den 1960ern, die Bürger bei der Baubehörde beschweren wollen, seien sie an die ausführenden Baufirmen verwiesen worden. Auf jeden Fall werde er selbst der Bürgerinitiative beitreten.
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Im von der Autobahn GmbH veröffentlichten Plan zum Brückenneubau sind nur einige wenige Gebäude rot markiert. Es sind vor allem Häuser im oberen Bereich der Freiheitsstraße, die vermutlich nicht erhalten werden können, dazu zwei Garagenanlagen und zwei Häuser an der Grabettstraße. Die Autobahn Westfalen habe etlichen Hausbesitzern gegenüber ihr Interesse daran bekundet, Gebäude aufzukaufen. Das würde vermutlich den Baufortgang erleichtern, wissen die Verantwortlichen der Bürgerinitiative. Andernfalls müssten die besonders gefährdeten Häuser baulich geschützt und die Bewohner zeitweise ausquartiert werden. Von einer Wertminderung von Haus und Grund sei bislang noch nichts wahrzunehmen, sagen Messerschmidt und Rothenpieler.