Hagen. Trotz Spardrucks und weniger Gläubigen: Für die Kirchenvertreter gibt es in Hagen noch Wunder. Ein Gespräch über das, was Hoffnung macht.
„Dem Wunder seine Hand hinhalten“ - so ist die ökumenische Weihnachtsbotschaft von Superintendent Hennig Waskönig und Dechant Dieter Aufenanger für Hagen überschrieben. Im Interview erzählen die beiden Geistlichen, was die Kirchen, ihre Einrichtungen und ihre Mitarbeiter bewegt und was die frohen Botschaften in Hagen sein können.
Auf Landesebene ist gerade von einem Sparpaket in Höhe von 40 Millionen Euro die Rede. Kein schönes Geschenk unter dem Baum - oder?
Waskönig: Nein. Beide Kirchen haben gerade gemeinsam um Stundenkontingente in der ökumenischen Beratungsstelle Zeitraum gebangt, die Erziehungs- und Lebensberatung bietet. Da ist es uns jetzt gelungen, gemeinsam mit der Stadt für das nächste Jahr die Finanzierung und damit eine Leistung zu sichern, von der wir wissen, dass sie enorm wichtig für Hagen ist. Aber diese Gespräche waren lang und zäh. Wir haben deutlich gemerkt, wie viel Druck auf dem Kessel ist.
Aufenanger: Der Druck ist auf beiden Seiten groß. Und die Verantwortlichen auf Seiten der Stadt machen es sich nicht leicht. Ich persönlich halte es aber für völlig falsch, bei Jugendlichen, bei Kindern und im Bereich Prävention zu kürzen. Diese Streichungen fallen uns irgendwann auf die Füße.
Gibt es Angebote, die in Hagen künftig wegfallen?
Waskönig: Ja. Bei uns zum Beispiel in Arbeitsbereichen der Diakonie. Ich denke an die Flüchtlingshilfe oder die Schuldnerberatung. Diese wird es weiter geben, aber das Angebot wird an manchen Stellen nur eingeschränkt zur Verfügung stehen. Ein weiterer problematischer Bereich sind die Kindertageseinrichtungen. Die Kibiz-Novellierung stockt, die Träger stehen vor der riesigen Herausforderung, ein gutes, qualifiziertes Angebot aufrechtzuerhalten.
Aufenanger: Durch das Kibiz sind ja die Probleme nicht weniger geworden. Mir tun die Kinder leid - und die Erzieherinnen, die vor Ort den Finanz- und Personalmangel ausbaden und sich gegenüber Eltern dafür rechtfertigen müssen, dass die Einrichtung nur noch eine Notbetreuung aufrechterhalten können. Da ist dann auch von unserer Seite Seelsorge gefragt. Innerhalb der Kindergärten, in den Teams spüren wir, wie Frust und schlechte Laune zunehmen. Zwar haben tausende Erzieherinnen und Erzieher mit vielen anderen aus den Wohlfahrtsverbänden vor dem Landtag protestiert und auf unhaltbare Zustände hingewiesen – doch was und wann ändert sich endlich etwas?
Wie gehen denn die Kirchen mit dem Sparpaket der Landesregierung um?
Aufenanger: Letztlich stehen wir immer wieder vor der Herausforderung festzulegen, was uns wichtig ist. Wir müssen uns in Zukunft dazu Gedanken machen, ob wir als katholische und evangelische Kirche tatsächlich alle Kindergärten in der jetzigen Form halten können. In Halden haben wir mit den „Haldener Kirchenmäusen“ den ersten ökumenischen Kindergarten. Diesen einmal als Pilotprojekt für Landeskirche und Erzbistum nicht nur in besonderer Weise finanziell zu unterstützen, sondern auch als Möglichkeit weiterer ökumenischer Kindertageseinrichtungen anzusehen, wäre doch schon mal eine Idee, wie konfessionelle Kitas weitergeführt werden könnten.
Waskönig: Die gesamtgesellschaftliche Unsicherheit ist dabei eine ganz besondere Herausforderung. Die Kirchen stehen eigentlich seit hunderten Jahren auch für Stabilität und Sicherheit - sowohl als Institution, aber auch mit dem Kern unserer Botschaft. Und jetzt merken wir, wie sehr uns wirtschaftliche Entwicklungen treffen, auf die wir kaum Einfluss haben. Als wir um die Finanzierung des Kinderzirkus Quamboni gerungen haben, haben wir die Rückmeldung von Eltern erhalten: Wir dachten, bei euch ist es noch sicher. Jetzt müssen wir selbst aber feststellen, dass wir an einigen Stellen ins Schlingern geraten.
Wie schwer ist es, unter diesem Spardruck Perspektiven zu entwickeln?
Aufenanger: Schwer, sehr schwer. Dabei geht es ja nicht nur um einzelne Einrichtungen in Hagen, deren Perspektive sich oft viel zu kurzfristig nur auf ein Jahr beschränkt. Dahinter steckt ja die Frage, wie sich die Kirchen insgesamt in den kommenden Jahren entwickeln, welche Bedeutung sie noch in unserer Gesellschaft haben. Bieten wir nur noch ein Schauspiel zur Weihnachtszeit, oder ist den Menschen der Glaube noch wichtig? Daneben merken wir, wie uns die Wirklichkeit immer schneller überholt. Auch hier vor Ort. In wenigen Jahren wird es nur noch die Hälfte der jetzt aktiven Seelsorger geben. Wir werden Pfarrstellen nicht mehr besetzen können. Die Zahl der Gemeindemitglieder wird stetig weniger. Hagen wächst zwar, aber nicht auf christlicher Seite. Das bringt auch mit sich, dass wir perspektivisch betrachtet, alle jetzt bestehenden kirchlichen Gebäude nicht mehr brauchen. Auch da werden wir Kooperationen mit anderen Gruppierungen einer Stadtgesellschaft eingehen müssen.
Waskönig: Diejenigen, die sich für ein Theologie-Studium entscheiden und eine Pfarrstelle anstreben, werden weniger. Das hat auch damit zu tun, dass man niemandem garantieren kann, dass das gemeindliche Leben dort, wo er eingesetzt wird, in zehn Jahren noch genau so stattfindet. Fragen der Finanzierung und der Struktur bestimmen immer mehr den Alltag bei den Hauptamtlichen. Daneben steht der Wunsch nach Stabilität - gerade bei jungen Menschen. Und die können wir nicht bieten.
Das sind zum Fest ja nicht gerade frohe Botschaften - oder?
Waskönig: Die Gesamtlage ist ungemütlich. Und zugleich verkünden die Engel auch dieses Jahr wieder die frohe Kunde, dass Gott Mensch wird. Das heißt, Gott steht ganz nah an der Seite der Menschen. Näher geht es nicht. Trotz, mit und in allen Unwägbarkeiten des Lebens.
Was macht denn Hoffnung?
Aufenanger: Es gibt viele Menschen, die sich einbringen, sich engagieren. Dazu kommt die positive Resonanz, die wir auf unsere Angebote erhalten. Schauen wir beispielsweise auf die Telefonseelsorge, die es jetzt seit 50 Jahren in Hagen gibt. Das ist eine richtige Institution geworden, eine Einrichtung, die zeigt: Kirche ist doch noch bei den Menschen vor Ort.
Waskönig: „Dem Wunder die Hand hinhalten“ - in Anlehnung an ein Gedicht von Hilde Domin, dieser Satz hat mich angesprochen. Der Wunsch nach einem Wunder ist allgegenwärtig. Es gibt so viele Menschen, die versuchen die Welt ein Stück besser zu machen und an ihre Grenzen stoßen. Ich merke an mir selbst, dass ich manchmal denke: Ein Wunder käme mir jetzt gerade recht. Doch zugleich weiß ich: Ein Wunder kann ich nicht „machen“, aber ich könnte offen dafür sein, dass sich etwas verändern kann.
Aufenanger: Blicken wir mal an die Hildegardisschule, wo Schüler Tüten herausgegeben haben, die Menschen für den Warenkorb gefüllt haben. Das hat funktioniert. Das ist doch ein kleines Wunder - und nur ein Beispiel für viele in unserer Stadt. „Dem Wunder seine Hand hinhalten“ bedeutet auch, für diese kleinen großen Wunder empfänglich zu sein. Das gilt auch für die Menschwerdung Gottes, die wir ja feiern. Das muss ich nicht theologisch begreifen, ich muss es zulassen.
Wie also lautet die frohe Botschaft für Hagen?
Aufenanger: Es gibt viele kleine Hoffnungszeichen. Nicht nur an Weihnachten, aber vielleicht besinnt man sich gerade jetzt darauf. Denken wir an Advents-Basare in den Gemeinden, denken wir an die CVJM-Weihnachtsfeier für Einsame, denken wir an Weihnachtsmärkte. Wir spüren diese Sehnsucht nach Hoffnung auch in unseren Gottesdiensten, in die Menschen nicht nur kommen, weil sie es an den Festtagen schon immer gemacht haben. Wir feiern jetzt seit fast 2000 Jahren Weihnachten, weil die Menschen nicht immer dasselbe, sondern das Mehr suchen. Gott ist Mensch geworden. Dahinter steckt die Botschaft: Kümmere dich um andere.
Waskönig: Wenn in Dortmund 80.000 Menschen im Stadion christliches Liedgut schmettern, dann stimmt mich das hoffnungsfroh. Oder wenn ich an das Wichteln in der Schule bei meinen Kindern denke. Was für schöne Tradition – da geht es ja nicht um die Geschenke, sondern darum, wie ich anderen eine Freude machen kann.
Aufenanger: Das Licht von Bethlehem, dass die Pfadfinder jetzt nach Hagen gebracht haben, das sich weiter verteilt, das Mut wird - das ist doch ein Wunder, das Hoffnung macht.
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