Witten. Die neue Pferdebachstraße in Witten hat Anwohner und Autofahrer viele Nerven gekostet. Wie fällt ihr Urteil nun aus, nach fünf Jahren Bauzeit?

Auf der Terrasse der Vizzinis herrscht Hochbetrieb. Bei diesem Wetter schmecken Fruchtbecher und Krokanteis selbst draußen an der Pferdebachstraße. Der Verkehr rauscht an diesem milden Spätsommerabend vorbei, es ist immer noch ziemlich laut. Aber das trübt überhaupt nicht die gute Laune der Eisdielengäste.

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Froh über das Ende der Großbaustelle Pferdebachstraße: Eisdielenbetreiber Giovanni Vizzini hatte jahrelang den Lärm und Dreck direkt vor der Ladentür.
Froh über das Ende der Großbaustelle Pferdebachstraße: Eisdielenbetreiber Giovanni Vizzini hatte jahrelang den Lärm und Dreck direkt vor der Ladentür. © Jürgen Augstein

Nach fünf Jahren ist Wittens Jahrhundertbauwerk tatsächlich in diesem Sommer fertig geworden. „Es ist sehr schön. Endlich keine Baustelle mehr“, sagt Eisdielenbesitzer Giovanni Vizzini (54). Anwohner und Autofahrer scheinen sich einig zu sein: Das neue, gut einen Kilometer lange Straßenstück kann sich sehen lassen. Darauf einen Eierlikör! „Aber mit Joghurteis“, sagt Britta schmunzelnd. Die 58-Jährige hat die Baustelle vor ihrer Haustür von Anfang an mit der Kamera begleitet.

Wittener Anwohner lieben Wildblumen als „Straßenbegleitgrün“

Die Straße sei sogar „sehr sehr schön“ geworden, sagt die Frau. „Mit den Bäumen, mit den Parkbuchten.“ Und den Wildblumen an den Straßenrändern und in der Mitte, den breiten, hell gepflasterten Bürgersteigen und der futuristischen Schrägseilbrücke, könnte man hinzufügen.

Man sieht keine rot-weißen Sperrbaken mehr, man muss sich nicht mehr mit dem Fahrrad oder Auto über hügelige, halb aufgerissene Asphaltflicken quälen, keine Umleitungen mehr fahren, nicht mehr lange im Stau stehen, als Anwohner nicht mehr über Fahrradfahrer auf dem Bürgersteig stolpern – kurzum, es ist wirklich alles fertig. Die Straße ist abgenommen, inzwischen sind auch die letzten Mängel beseitigt worden, wie Tiefbauamtsleiter Jan Raatz im letzten Verkehrsausschuss verkündete.

Alle Einmündungen an der neuen Pferdebachstraße in Witten sind radfahrerfreundlich rot markiert.
Alle Einmündungen an der neuen Pferdebachstraße in Witten sind radfahrerfreundlich rot markiert. © FUNKE Foto Services | Klaus Pollkläsener

Dessen Vorsitzender Julian Fennhahn (CDU) wollte den „Sachstandsbericht Pferdebachstraße“ wegen der langen, leidigen Baugeschichte dann auch gar nicht mehr so nennen, sondern es einfach bei einem positiven Fazit belassen. „Die Straße passt hervorragend ins Stadtbild. Wir können stolz darauf sein, so einen schönen Zugang zu haben“, sagte er.

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Fangen wir an der Kreuzung Ardeystraße an, wo der Auto- und Radfahrer vor lauter fahrradfreundlichen Markierungen nur noch rot sieht. Über den schönen glatten Asphalt rollen wir an den neu gepflanzten Bäumen und dem üppig sprießenden „Straßenbegleitgrün“ in Richtung Kreisverkehr am Evangelischen Krankenhaus. Vorher kreuzt die Radwegbrücke des Rheinischen Esels die neue Straße.

Ein echter Hingucker ist die neue Geh- und Radwegbrücke, die hier von einer Joggerin überquert wird. Damit ist die neue Pferdebachstraße in Witten nun auch wieder an den Rheinischen Esel angeschlossen.
Ein echter Hingucker ist die neue Geh- und Radwegbrücke, die hier von einer Joggerin überquert wird. Damit ist die neue Pferdebachstraße in Witten nun auch wieder an den Rheinischen Esel angeschlossen. © FUNKE Foto Services | Klaus Pollkläsener

Sie ist gute 80 Meter lang und bietet einen guten Rundumblick, gerade in Richtung Krankenhaus. Es gibt sogar Sitzecken mit Bänken und ein schönes, silberfarbenes Geländer. Die Rampen zum Esel, lange Zeit das reinste Baustellenchaos, sind in Schwarz gehalten und ermöglichen flüssigen Auf- und Ab-Verkehr. Was man von oben nicht sieht: An den Stützpfeilern haben sich schon die Graffitikünstler verewigt. Was die junge Dame vom Blumengeschäft am Klinik-Kreisverkehr gar nicht lustig findet.

Fünf schwere Jahre liegen hinter ihr: Blumenhändlerin Ernada Kusur hatte die Großbaustelle direkt vor ihrer (Laden-) Tür.
Fünf schwere Jahre liegen hinter ihr: Blumenhändlerin Ernada Kusur hatte die Großbaustelle direkt vor ihrer (Laden-) Tür. © Jürgen Augstein

„Schade, dass nach zwei Tagen alles schon wieder beschmiert war“, sagt Ernada Kusur. Wir treffen die 30-Jährige vor ihrem Laden „Bella Flora“. Tatsächlich ist aus dem hässlichen Entlein, das die Pferdebachstraße einst war, nach dem Umbau eine „hübsche Blume“ geworden. „Gerade die Brücke sieht schön aus, besonders, wenn sie abends angeleuchtet ist“, sagt die junge Frau. Und wie fällt ihr Gesamturteil aus? „Schon nicht schlecht, dafür, dass es so lange gedauert hat.“

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Fünf Jahre Bauzeit liegen hinter ihr, schlimme Jahre, die „sehr sehr schwer waren“. Es war ja auch noch Corona. Und immer wieder sei die Straße vor ihrem Geschäft aufgerissen worden. „Fünfmal war hier ein Loch.“ Jetzt beobachtet Kusur, wie die Autos in den Kreisverkehr fahren. Es wirkt alles ein bisschen eng, gerade die jeweiligen Zufahrten, etwa zum Krankenhaus. „Wenn da einer rechts reinfährt, wird hinter ihm schnell gehupt“, sagt die Einzelhändlerin. Sie freut sich aber, dass ihr Laden jetzt „sichtbarer“ geworden sei. Im Oktober feiert sie Fünfjähriges. Wo doch schon die Einweihungsfeier für die Straße ausgefallen ist.

Ein Bild aus der letzten Bauphase: Mitte April war der Kreisverkehr vor dem Evangelischen Krankenhaus Witten fertig.
Ein Bild aus der letzten Bauphase: Mitte April war der Kreisverkehr vor dem Evangelischen Krankenhaus Witten fertig. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Wir fahren weiter in Richtung Friedhof, Uni und Autobahn. Man ist relativ schnell durch, es ist ja nur ein guter Kilometer. Kaum zu glauben, dass diese 1200, 1300 Meter Asphalt nie fertig zu werden schienen. Jetzt wirkt alles wie selbstverständlich, die schöne, manchmal sanft geschwungene Fahrbahn, die bewachsenen Mittelinseln, die Bushaltestellen mit Fahrradbügeln daneben, der boulevardähnliche Bürgersteig, der an manchen Stellen breiter zu sein scheint als die Fahrbahn, die Radwege, die dann doch noch reingepasst haben. Schöne neue Pferdebachstraße.

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Na ja, ein bisschen gibt’s natürlich immer was zu beanstanden. Anwohner Rainer etwa ärgert sich darüber, „dass der Gehweg schon wieder zuwuchert“. Das ist vielleicht etwas übertrieben. Aber tatsächlich kommt an vielen Stellen schon das Unkraut raus. Auch einige Baumbeete wirken bereits ungepflegt. Besonders schlimm ist es vor der alten Ziegelsteinmauer in Höhe des Kindergartens und der Creativen Kirche.

Lob für die neue Pferdebachstraße in Witten: Näher dran als Kioskbetreiberin Birsen Günesli kann man gar nicht sein. Kunde Michael Walloschek vermisst allerdings Abfalleimer.
Lob für die neue Pferdebachstraße in Witten: Näher dran als Kioskbetreiberin Birsen Günesli kann man gar nicht sein. Kunde Michael Walloschek vermisst allerdings Abfalleimer. © Jürgen Augstein

Michael Walloschek, den wir an dem Kiosk in Höhe des Bahnübergangs treffen, vermisst vor allem Papierkörbe. Er zeigt drüben zur Haltestelle. „Da hat schon jemand privat einen Eimer hingestellt.“ Regelrecht „albern“ findet er den Linksabbieger stadteinwärts in die Ziegelstraße. Tatsächlich ist die Spur so kurz geraten, dass sie kaum nutzbar ist. „Ansonsten ist die Straße aber gut geworden“, so der 42-Jährige. „Drei Cola und ‘ne Camel für zehn“, sagt er zu Birsen Günesli (45), die die Bude am Bahnübergang betreibt.

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Auch sie kann dem Umbau inzwischen viel abgewinnen. „Ich finde die Straße schön.“ Die optimistisch wirkende Kioskbetreiberin schiebt aber auch gleich hinterher: „Die Insel in der Mitte ist der größte Schwachsinn.“ Gemeint ist der Mehrzweckstreifen, der immer noch zum Parken verführe.

Gleich am Anfang hatte die Stadt dort fast 300 Knöllchen verteilt. Zufrieden ist die Geschäftsfrau mit den Kurzzeitparkplätzen vor ihrer Trinkhalle. Tatsächlich wurde die zunächst wie im übrigen Straßenverlauf auf zwei Stunden festgesetzte Parkdauer auf 30 Minuten verkürzt. „Das erste Schild war schon angebracht.“ Ihr Vorgänger war mit der Bude am Bahnübergang nach einjähriger Bauzeit noch pleite gegangen.

Zum Glück nur noch Geschichte: Gerade im Einmündungsbereich Leostraße/Rebecca-Hanf-Straße schien der Umbau der Pferdebachstraße in Witten gar kein Ende zu nehmen. Diese Aufnahme stammt vom 28. Oktober 2022.
Zum Glück nur noch Geschichte: Gerade im Einmündungsbereich Leostraße/Rebecca-Hanf-Straße schien der Umbau der Pferdebachstraße in Witten gar kein Ende zu nehmen. Diese Aufnahme stammt vom 28. Oktober 2022. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Rätsel geben den Gästen, die wir schräg gegenüber vom Kiosk in der Eisdiele treffen, noch die Tempo-30-Schilder auf, die sich etwa zwischen Bahn und Johannes-Busch-Weg finden. Kurz vorm Krankenhaus darf man stadteinwärts wieder 50 fahren. Anwohnerin Britta hätte sich schon wegen der Schule gewünscht: „Sie sollten durchgängig 30 machen.“ Und laut sei es geworden, eine regelrechte Rennstrecke, sagt Gabi, eine andere Anwohnerin. „Früher konnten wir beim Fernsehen noch das Fenster offen lassen.“ Jetzt könne man sich draußen gar nicht mehr unterhalten.

Genießen ihren Eisbecher direkt an der neuen Pferdebachstraße: Mirco (27) hat sich für die fruchtige Variante entschieden, Mara (20) für Banane.
Genießen ihren Eisbecher direkt an der neuen Pferdebachstraße: Mirco (27) hat sich für die fruchtige Variante entschieden, Mara (20) für Banane. © Jürgen Augstein

Trotzdem ist die Stimmung auf der Eisterrasse bei den Vizzinis gut. Gerade die Stammgäste treffen sich dort weiterhin gern. Ulrike (36), gefragt nach der neuen Pferdebachstraße, fände es gut, „wenn’s noch grüner wäre“. Die gerade gepflanzten Bäume bräuchten ja „noch ein paar Jahre“. Johannes (38) kommentiert die fertige Straße ganz nüchtern: „Es ist okay. Man kann wieder durchfahren.“

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Und Rainer, der Mann von Gabi, fängt schon wieder mit dem „ganzen Unkraut“ an. „Nun mecker’ doch nicht“, sagt Britta, „sieht doch gut aus.“ Darauf einen Eierlikör!

Das Unkraut wuchert bereits, wie hier auf dem Bürgersteig vor der alten Ziegelsteinmauer in Höhe der Creativen Kirche an der Pferdebachstraße in Witten.
Das Unkraut wuchert bereits, wie hier auf dem Bürgersteig vor der alten Ziegelsteinmauer in Höhe der Creativen Kirche an der Pferdebachstraße in Witten. © Jürgen Augstein