Oberhausen. Seit 2015 steht der Daniel Schranz (CDU) an der Spitze der früheren SPD-Stadt. Anderthalb Jahre vor der Wahl greift die SPD zu Boxhandschuhen.
„Peinlich“, „Klassenziel nicht erreicht“, „verpfuscht“, „Pleiten-Pech-Pannen-Liste“, „eiskalte Parteitaktik“ - die neue Kamera für den Live-Stream im Oberhausener Ratssaal bietet mit ihrem Teleobjektiv eine ungewöhnlich klare Perspektive. Vorne am Pult mit den zwei Mikrofonen stellt SPD-Fraktionsvorsitzende Sonja Bongers in ihrer 25-minütigen Haushaltsrede am Montagnachmittag Oberbürgermeister Daniel Schranz (CDU) ein verheerendes Zeugnis seiner fast neun Jahre andauernden Amtszeit aus; dahinter sitzt das Stadtoberhaupt mit einem so neutral wie möglich blickenden Gesicht, das völlige Emotionslosigkeit wie bei einem guten Pokerspieler ausdrücken soll. Nur den Kugelschreiber in seinen Händen lässt Schranz hin und her rotieren, so ganz ungerührt lässt ihn der bittere Vortrag seiner politischen Kontrahentin offenbar nicht.
SPD-Fraktionschefin Sonja Bongers zieht die Samthandschuhe aus
Bongers hält inhaltlich wie im Tonfall eine ungewöhnliche, eine bemerkenswerte Rede. Natürlich nutzt jede Fraktion, jede Gruppe im Stadtrat die Reden zum Haushalt, um Grundsätzliches zu sagen, Leitplanken ihrer Politik klarzumachen - ähnlich wie im Bundestag. Sonja Bongers hat sich dabei offenbar dazu entschlossen, ihre Samthandschuhe gegenüber dem Oberbürgermeister auszuziehen, wählt jetzt lieber die Boxausrüstung.
Die Sozialjuristin und Landtagsabgeordnete ist bisher nur dadurch aufgefallen, dass sie besonderen Wert auf Ausgeglichenheit, Höflichkeit, Sachlichkeit und differenzierte Argumentation legt. Sie hat zu Beginn ihrer Amtszeit angekündigt, eine andere Form der Politik zu pflegen als ihre allzu Testosteron getriebenen Vorgänger mit scharfen Sprüchen und hartem Auftreten. Doch in der SPD-Fraktion war die neue Sanftmut nicht bei allen wohlgelitten.
Jetzt, anderthalb Jahre vor der nächsten Wahl des Stadtrates und des Oberbürgermeisters, schlüpft Bongers in eine andere Rolle - sie lässt an der Arbeit von Schranz kein gutes Haar. Der frühere CDU-Oppositionsführer in einer Stadt, die seit den 60er Jahren von der SPD dominiert worden ist, wollte vieles anders und besser machen, als er 2015 seine erste Direktwahl gegen den SPD-Kandidaten und Kämmerer Apostolos Tsalastras und 2020 seine zweite gegen Herausforderer Thorsten Berg gewann.
Die SPD-Frontfrau sieht dagegen viel Stillstand und Absturz in Oberhausen - trotz Jobcenter-Dachgarten, Edeka-Logistik-Center, Rekord-Beschäftigung, Kaufhof-Umbau, Kaiser&Ganz-Bebauung, Lehrer-Seminar in der City, Digitalisierung der Schulen, Investitions-Höchstständen für Straßen, Turnhallen und öffentliche Gebäude. Sie nimmt ein früheres Versprechen nach dem nächsten von Schranz aus den Wahlkämpfen auseinander. „Als Oppositionsführer haben Sie über viele Jahre den Gebührenhaushalt skandalisiert. Ihre Auftritte als leibhaftiger Gebühren-Furor bleiben unvergesslich. Aber jetzt zahlt die Oberhausener Musterfamilie mehr als 1000 Euro für die Standard-Dienstleistungen.“
SPD: Duisburg gelingt die Senkung der Gewerbesteuer, Oberhausens OB hält Versprechen nicht
Senkung der Gewerbesteuer, wie von Schranz versprochen? Duisburg macht es vor, Oberhausen schafft es nicht. Personalabbau im Rathaus? Statt 2300 Stellen gibt es jetzt 3000. Aufbruchstimmung? „Die Oberhausenerinnen und Oberhausener, eigentlich berühmt-berüchtigt für ihren Lokalpatriotismus, identifizieren sich immer weniger mit ihrer Heimatstadt.“ Das zeige die Bürgerumfrage der Stadtverwaltung. Raus aus dem wirtschaftlichen Tabellenkeller? „Von allen 396 NRW-Kommunen ist Oberhausen beim Niveau-Ranking des Instituts der deutschen Wirtschaft erstmals auf den allerletzten Platz abgestürzt.“
Blamabel sei sein Verhalten bei der Straßenbahnlinie 105: Vor zehn Jahren habe er diese als Oppositionsführer aus rein wahltaktischen Gründen abgelehnt, zu hohe Kosten und schlechte Streckenführung vorgeschoben, um die Verlängerung jetzt bei höheren Kosten von 130 Millionen Euro zu befürworten - auch wegen einer Wahl, behauptet die SPD-Fraktionschefin. „Sie sind heute für die Linie 105, weil Sie unbedingt Oberbürgermeister bleiben wollen und Sie angesichts durchwachsener Bilanz ein Leuchtturm-Projekt im Kommunalwahlkampf gut gebrauchen können.“
Als Fazit ruft Bongers in den Saal: „Ihre Pleiten-Pech-Pannen-und-Pfusch-Liste wird immer länger: die versprochene Bordellverlagerung, der schleppende Wohnungsbau, das amateurhafte Fördermanagement, die Rückschläge beim Brückenschlag-Projekt, das Verwaltungsversagen beim Europahaus, das fehlende IT-Prozessmanagement, die verpfuschte erste Vorlage zur Linie 105, die Verzögerungen bei den WLAN-Netzen in den Oberhausener Innenstädten.“
Angesichts der Tagesordnung kann die CDU nicht auf die Vorwürfe reagieren - die CDU-Ratsfraktionsvizin Gundula Hausmann-Peters hatte ihre Haushaltsrede zuvor gehalten und vor allem auf die Rekordgewerbesteuereinnahmen verwiesen: „Die Wirtschaft ist das Rückgrat unserer Stadt. Es ist essenziell, den Wirtschaftsstandort Oberhausen zu stärken und attraktiv zu gestalten. Unter unserem Oberbürgermeister Daniel Schranz ist das konsequent verfolgt worden. Bevor Daniel Schranz 2015 das Zepter in Oberhausen übernommen hat, lagen die Gewerbesteuereinnahmen bei rund 70 Millionen Euro; im vergangenen Jahr bei 150 Millionen Euro.“ Und anhand der städtischen Bürgerumfrage könne man erkennen, dass die Bürger großes Vertrauen „in unseren Oberbürgermeister“ haben.
Der Oberbürgermeister selbst wiederum ist als Sitzungsleiter zur Neutralität verpflichtet, kann deshalb die SPD-Kritik nicht selbst kontern. Aufgrund der vielen von der SPD zitierten Aussagen von ihm zur Straßenbahn 105 sagte er nur lächelnd-verschmitzt: „Dass Sie meine Worte so lange aufbewahrt, verfolgt und gepflegt haben, finde ich sehr lieb von Ihnen.“