Mülheim. Der Protest gegen Pläne für die „Parkstadt Mülheim“ mit Hochhäusern und 800 Wohnungen wird lauter. So wollen Bürger Ghettoisierung verhindern.

Nach der Präsentation der Planungen für eine „Parkstadt Mülheim“ auf ehemaligem Tengelmann-Grund in der Vorwoche mehren sich die Anzeichen, dass sich in der Nachbarschaft erbitterter Widerstand gegen ein neues Wohnquartier mit bis zu 800 Wohnungen und markanten Hochhäusern formiert. Ein Kritiker war einst OB-Kandidat einer großen Mülheimer Partei.

Zehn DIN/A4-Seiten lang ist ein Protestschreiben an OB Marc Buchholz (CDU) und Bezirksbürgermeisterin Elke Oesterwind (CDU), das Joachim Mahrhold für rund 30 Anwohnerinnen und Anwohner von Veilchen- und Nelkenweg aufgesetzt hat. „Wir wollen kein neues Marzahn-Hellersdorf vor unseren Haustüren in Speldorf“, klagen die Bürger über die angedachte „untypische Ansiedlung von Hochhäusern“ in ihrer Nachbarschaft. Die Entwicklung, die Investor Soravia und Planern vorschwebe, sei „megalomanisch“ (größenwahnsinnig) und werde dem Stadtteil irreparablen Schaden zufügen, heißt es in dem Brief. Im „Marketing-Sprech“ rede Investor Soravia schön, was tatsächlich dem „Verlust der vorhandenen biologischen Vielfalt“ gleichkäme, die sich aktuell insbesondere auf Flächen im Westen des Areals zeige.

Parkstadt-Hochhäuser: Nachbarn aus Speldorf fürchten „Ghettoisierung“

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Die Petenten sprechen sich ausdrücklich nicht gänzlich gegen eine Bebauung auf alter Sportplatz- und den Parkplatzflächen aus, aber sie wollen es weniger dicht und hoch. Sie fordern ein Konzept ohne „Gefahr eines sozialen Brennpunkts“, mit einem für die Nachbarschaft verträglichen Verkehrskonzept. Gar spricht sich die Initiative wegen einer zu erwartenden Verkehrsbelastung gegen eine Kita am Veilchenweg aus. Die Anwohner fürchten Parkplatznot, Entwässerungsprobleme, negative Folgen fürs Mikroklima, eine Dauerbaustelle, einen Wertverlust ihrer Immobilien …

Die Liste der Einwände ist lang. Soravia strebe eine „kapitaloptimierende Art der Bebauung“ an, die architektonische Fehler der 1970er- und 1980er-Jahre wiederhole, so Mahrhold im Namen der Unterzeichner. Bis zu 55 Meter hoch, 18 Geschosse: Solche Hochhäuser wollen die Anwohner nicht und blicken auf die Hochhäuser am Hans-Böckler-Platz, die das Bild der Innenstadt auch heute noch verschandelten. Für Speldorf befürchten sie eine „Ghettoisierung des gesamten Viertels“, sollten die Hochhaus-Pläne Realität werden.

Online-Petition gestartet gegen die Pläne von Investor Soravia in Mülheim

Gar eine Online-Petition gegen die Baupläne ist gestartet. Ins Leben gerufen hat sie am Sonntag Hochschulprofessor Gerald Lux unter dem Stichwort „Parkstadt Mülheim“ im Portal openpetition.de; freigeschaltet ist sie seit dem späten Montagmittag.

Wollen die Planungen für die „Parkstadt Mülheim“ zu einem guten Ende führen: Lorenz Tragatschnig (l.) vom Projektentwickler Soravia, der städtische Baudezernent Felix Blasch und Bezirksbürgermeisterin Elke Oesterwind (CDU).
Wollen die Planungen für die „Parkstadt Mülheim“ zu einem guten Ende führen: Lorenz Tragatschnig (l.) vom Projektentwickler Soravia, der städtische Baudezernent Felix Blasch und Bezirksbürgermeisterin Elke Oesterwind (CDU). © FUNKE Foto Services | Martin Möller

In seiner Petition fordert Lux eine maximale Bauhöhe für die Hochhäuser von acht Etagen und eine Begrenzung neu gebauter Wohnungen auf 400. Dies würde seiner Sicht nach „dafür Sorge tragen, dass sich die Parkstadt in das bisherige Stadtbild einfügt, ein Verkehrskollaps und eine Ghettoisierung vermieden werden könnten“. Bis zum späteren Montagabend hatten 180 Unterstützer die Petition unterzeichnet. Das zu erreichende Quorum ist auf 1600 Unterzeichner festgesetzt.

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Speldorfer Anwohner: „Wo sollen bitte die ganzen Autos denn parken?“

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Markus Toenges, Anwohner der nahen Heerstraße, hat sich per Brief an das städtische Planungsamt gewendet. Der Parkstadt-Entwurf habe sicher „reizvolle, perspektivisch auch wünschenswerte Aspekte“, allerdings seien zwei Punkte „nahezu unfassbar“: bis zu 18-geschossige Hochhäuser in einem privaten Umfeld mit maximal drei Geschossen und die Planung für eine Verkehrserschließung über die vorhandenen, kleinen Straßen. „Wo sollen bitte die ganzen Autos denn parken?“, sieht Toenges wie andere Bürger im Umfeld Parkplatznot kommen und damit den „nächsten Sprengstoff im Miteinander“.

Auch ein ehemaliger OB-Kandidat meldet sich kritisch zu Wort: Bernd Leidinger, der 2003 für die CDU ins Rennen gegangen war und sich Dagmar Mühlenfeld (SPD) geschlagen geben musste, glaubt wie andere, dass es Zeit sein könnte für die Gründung einer neuen Bürgerinitiative, die sich gegen die Baupläne stemmt. Der Vorsitzende der Mülheimer Initiative für Klimaschutz fürchtet einen „massiven Eingriff in die Wohnstruktur“ vor Ort – mit dem Risiko, einen sozialen Brennpunkt zu schaffen, wie Leidinger ihn am Hans-Böckler-Platz fortbestehen sähe, hätte die Stadt mit der Verlagerung ihrer Bau- und Planungsverwaltung in eines der dortigen Hochhäuser nicht zur Beruhigung beigetragen.

Ehemaliger Mülheimer OB-Kandidat: Schneller Preisverfall bei Hochhaus-Wohnungen

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Leidinger sieht ein Problem in den Folgekosten für Hochhäuser, so dass die Nebenkosten des Wohnens „schnell zu einer Abwertung des Eigentums führen“. Schwer vermarktbare Wohnungen in den Etagen drei bis 14 würden zudem schnell mit erheblichem Preisverfall am Markt sein, so seine Prognose. Als mutmaßliche Beispiele für eine folgende Ghettoisierung führt Leidinger die Westtangente in Ratingen, das Ihme-Center in Hannover oder die Neue Heimat in Bremen auf.

Eine Visualisierung aus dem Siegerentwurf des städtebaulichen Wettbewerbs zur Nachnutzung des ehemaligen Tengelmann-Areals in Mülheim von den Wiener Planungsbüros Vlay Streeruwitz und „Plan Sinn“.
Eine Visualisierung aus dem Siegerentwurf des städtebaulichen Wettbewerbs zur Nachnutzung des ehemaligen Tengelmann-Areals in Mülheim von den Wiener Planungsbüros Vlay Streeruwitz und „Plan Sinn“. © Vlay Streeruwitz

Eine hohe Kriminalitätsrate, Vandalismus, Generationenkonflikte, Spannungen zwischen Zuwanderern und Einheimischen und eine zunehmend sozial schwache Bewohnerschaft bildeten das Image solcher Quartiere. „Die Siedlungen zerfallen, weil die hohen Baukosten und die exorbitanten Erhaltungskosten von den Eigentümern nicht getragen werden können“, so der selbstständige Unternehmensberater. Hochhäuser (mit mehr als 35 Metern Höhe) seien aufgrund ihrer hohen Unterhaltungskosten aber auch nicht geeignet, preiswerten Wohnraum zu bieten.

Chef der Klimainitiative prognostiziert seinem Stadtteil „bevorstehenden Niedergang“

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Das Ihme-Center in Hannover sei ihm aus eigener Anschauung mahnendes Beispiel, so Leidinger. Häufige Besitzerwechsel habe es gegeben, die Wünsche der Stadt Hannover würden von den jeweiligen Investoren nicht erfüllt. Bei seiner beruflichen Tätigkeit für die Stadtwerke Hannover, die im Ihme-Center sitzen, „habe ich mich auf dem Weg vom Parkplatz zum Firmeneingang bei Tage regelmäßig gefürchtet“, prognostiziert er seinem Stadtteil einen „bevorstehenden Niedergang“, sollten die Pläne dergestalt weiterverfolgt werden. „Für uns ist es besser“, so Leidinger mit Blick auf Bürgerinnen und Bürger in Broich und Speldorf, „jetzt aufzustehen, als in zehn Jahren zu erkennen, dass wir unsere Chance vertan haben.“

Auch in Wien, der Heimat von Parkstadt-Investor Soravia, seien Hochhaus-Projekte „heftig umstritten“, zählt Leidinger etwa auch das Soravia-Projekt am dortigen Nordbahnhof auf. Das Wiener Büro Vlay Streeruwitz hat auch dort – wie in Speldorf – die Planung verantwortet. Seine Geschäftsführer verhehlen die Widerstände von Bürgern in Wien nicht, glauben aber, dort im Planungsprozess mit Bürgerbeteiligung einen gelungenen Kompromiss gefunden zu haben.

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In Mülheim, so scheint es, werden Investor und Planer noch einige Überzeugungsarbeit leisten müssen, um Nachbarn für ihre Parkstadt-Pläne gewinnen zu können. Fortsetzung folgt: Das Bebauungsplanverfahren ist noch in einem sehr frühen Stadium.