Mülheim. Investor Soravia, der in Mülheim eine „Parkstadt“ entwickeln will, führte jetzt durch die alte Tengelmann-Zenrale. Von Tresoren und Geheimtüren.
Einsam und verlassen steht der Stahlkoloss nun da im einst großzügigen Büro von Firmenpatriarch Erivan Haub. Der mächtige Tresor im ansonsten entkernten Raum ist nicht das einzige verbliebene Relikt, das von der Tengelmann-Ära in Speldorf zeugt.
Investor Soravia will die rund 13,4 Hektar altes Tengelmann-Reich im kommenden Jahrzehnt zur „Parkstadt Mülheim“ entwickeln. Wie sich das wahre Gebäudelabyrinth aus Um- und Anbauten zu einem Hort bunt gemischter Gewerbemieter mausern soll, führt Soravia diesmal aber nicht nur lokalen Politikern sondern auch der Presse vor.
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Städtebaulicher Wettbewerb: Im Oktober soll ein Siegerentwurf gekürt werden
Bauingenieur Holger Dietrich hat als Projektleiter für Soravia bereits ein Büro im Altbau mit Blick auf das Technikum bezogen, wo derzeit mit den Körperwelten und der Terrakotta-Armee Ausstellungen mit überregionaler Strahlkraft gezeigt werden. Ob das Technikum bleibt? „Wir wissen es noch nicht“, sagt Dietrich. Realistisch aber erscheint es nicht, dass der Bau am Ende des städtebaulichen Wettbewerbs Bestand haben wird, in dem sich zurzeit zehn renommierte Planerteams den Kopf über die zukünftige Bebauung – insbesondere der nördlichen Flächen des Areal – zerbrechen. Es ließe wohl zu wenig Raum für Marge und (Bau-)Masse. . .
Der städtebauliche Wettbewerb hat sein erstes Kolloquium erlebt, bei dem die Architekten und Landschaftsplaner der Jury ihre ersten Ideen für ein durchgrüntes neues Quartier an der Grenze von Broich und Speldorf präsentiert haben. Im Oktober soll ein Siegerentwurf gekürt sein. Zu hören ist, dass zumindest ein Entwurf krachend gescheitert sein soll.
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Von Interesse bei Politik und Bürgern: Wie hoch wird gebaut? Wie viel wird versiegelt?
Die Teams haben Hausaufgaben aufbekommen, was und an welcher Stelle sie noch nachbessern sollen. Dietrich und auch Chef-Stadtplaner Felix Blasch schweigen zu den Wettbewerbsideen. Blasch verweist darauf, dass dem Verfahren sonst rechtliches Ungemach drohe. „Das, was wir gesehen haben, macht Lust auf mehr“, sagt Projektleiter Dietrich nur.
Was Politik, natürlich auch Bürger im Umfeld des ehemaligen Tengelmann-Areals umtreibt, sind etwa auch Fragen nach Versiegelung und Bauhöhen. SPD-Bundestagskandidat Sebastian Fiedler und Ratsfraktionschefin Margarete Wietelmann wollen dazu jetzt Näheres erfahren von Projektleiter Dietrich.
Soravia-Projektleiter: Der Begriff „Parkstadt“ ist kein Marketing-Gag
Zur Versiegelung sagt er, dass man mit Sicht auf die jetzt schon versiegelten Parkplatz-Flächen am Ende wohl etwa mit einer gleichbleibenden Versiegelung auskommen werde. Statt der großflächigen Parkplätze sollen Parkhäuser an verschiedenen Stellen entstehen. Die Grünflächen an Veilchenweg und Koloniestraße (der Rosengarten) sowie im Nordosten zwischen Wissollstraße und Ulmenallee sollen als grünes Aushängeschild erhalten bleiben. Der Begriff „Parkstadt“ sei kein Marketing-Gag, versichert Dietrich.
Zu möglichen Gebäudehöhen bleiben die Aussagen mit Blick auf die vereinbarte Vertraulichkeit im Wettbewerbsverfahren zurückhaltend. SPD-Frau Wietelmann merkt aber schon einmal an, dass Pläne für einen 15-stöckiges Wohnturm, die einst noch im Auftrag der Tengelmann-Eigentümerfamilie dem städtischen Gestaltungsbeirat vorgelegt worden waren, nicht auf Gegenliebe bei den Genossen stoßen würden. Investor Erwin Soravia hat jedoch für das „Jokerfeld“ des städtebaulichen Wettbewerbs (Technikum und Umfeld) etwas sprichwörtlich Herausragendes nicht ausgeschlossen, um einen Kontrapunkt zum wuchtigen Altbau zu setzen.
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Rund 20 Prozent der Altbauflächen sind vermietet: Duisburger Firma kurz vor Umzug
Aktuell baut Soravia seine Präsenz in der „Parkstadt“ aus (als Niederlassung für Niedersachsen, NRW und Hessen). Zuletzt stößt Asset-Manager Hartmann zum Team hinzu, der sich um das Vermietungsgeschäft in den verwinkelten Altbauten, die in Teilen schon umgebaut werden, kümmern wird. Rund 20 Prozent der rund 65- bis 70.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche seien bereits vermietet, heißt es.
Investor öffnet das Gelände für Bürger
Investor Soravia hat angekündigt, das vormals streng abgeriegelte Areal peu à peu für die Bürger der benachbarten Stadtteile öffnen zu wollen.
So sind auch an diesem Tag Hundehalter beim Gassigehen über das Gelände zu sehen. Ebenso zwei Jugendliche, die die riesige Parkplatz-Fläche nutzen, um mit ihren Rädern Kunststücke einzuüben. Wie bei jedem Privatgelände“ geschehe das Betreten auf eigene Gefahr, sagt Projektleiter Holger Dietrich.
Aber: Tagsüber, wenn die Tore nicht geschlossen seien, lasse man Bürger gerne das Gelände erkunden. Vor Vandalismus soll Videoüberwachung schützen, die zum Schutz der Baustelle noch ausgebaut werden soll.
Die Sicherheitsfirma WSS ist dabei, die Verwaltung des Unternehmens Standardkessel Baumgarte (Einzug in wenigen Wochen), der TSV Viktoria mit einem neu geplanten, größeren Sportzentrum, Fliedner mit einer Berufsbildungsstätte. „Wir sind weiterführend in sehr guten Gesprächen“, sagt Dietrich. Bekannt ist etwa, dass sich die Hochschule Ruhr West als langjährige Mieterin noch weiter vor Ort ausdehnen will, auch mit der Lehre.
Das Büro von Erivan Haub ist schon komplett entkernt: Nur noch ein Tresor steht dort
Spannend: Beim Besuch der SPD führt Dietrich durch die gesamten Gebäude; so manches Relikt aus vergangener Zeit lässt sich entdecken. Auch weil die Tengelmänner nicht alles geräumt haben. Es sei einiges eingelagert worden, erzählt Dietrich – und geleitet die Besucher auch in dorthin, wo einst die obersten Lenker des Handelskonzerns wirkten.
Tengelmann Areal wird Parkstadt
So geht es durch das mit edlen Holzeinbauschränken umrahmte Vorzimmer des 2018 verstorbenen Firmenpatriarchen Erivan Haub direkt in seine einstige Machtzentrale. Sie ist mittlerweile komplett entkernt. Mittendrin auf grauem Grund steht als einziges Überbleibsel nur ein Stahltresor, mannshoch. Einer von zahlreichen Tresoren, die die Investoren hier vorfanden.
Unter der Kuppel entspannte Erivan Haub in seinem marmornen Wintergarten
Von seinem weitläufigen Büro konnte Erivan Haub direkt durch eine Tür in seine Privatwohnung wechseln, die er für seine Deutschland-Aufenthalte nutzte. Die Räumlichkeiten umweht der Charme alten Unternehmertums, mitunter kitschig und altbacken. Aber auch mit etwas Luxus, der sich erahnen lässt, wenn man den mit Marmor verkleideten und früher wohl reich bepflanzten Wintergarten Erivan Haubs betrachtet, der sich unter der Kuppel verbirgt, die von der Ulmenallee aus zu sehen ist.
Einiges entfernt hatte sich Karl-Erivan Haub bis zu seinem Verschwinden am Matterhorn schon moderner eingerichtet. Ein Detail lässt die überraschten Besucher doch an James Bond denken. Versteckt in eine Schrankwand eingelassen hatte Haub einen Zugang zu einem Konferenzsaal, in dem noch ein riesiger runder Tisch, aber auch Bücher bis heute stehen geblieben sind. Eins mit dem Titel: „Müssen wir arm bleiben?“
„Hier gibt es noch viel zu tun. Das ist uns allen bewusst“
Büroraum reiht sich an Büroraum, bevor es nach Durchquerung des firmeneigenen Kinosaals rübergeht zum alten Trakt der Schokoladenfabrik, dessen großzügige Verglasung zum weiten Blick über Speldorf und Broich einlädt, aber auch in den Rosengarten der Haubs. Die Dimension ist überdeutlich, was bunte Mieterschaft sich hier überall niederlassen könnte, wenn erst mal saniert ist.
Über den berühmten Spiegelsaal, für den sich schon eine Tanzschule interessieren soll, führt der Rundgang noch zum imposanten, unter Denkmalschutz stehenden Kesselhaus des früheren Schlachthofs (Baujahr 1912). Bekanntlich will hier ein Essener Gastronom, der auch das Casino auf Zollverein betreibt, ein italienisches Restaurant öffnen. Mit Blick auf die alten Maschinen und den bröckligen Putz fasst Projektleiter Dietrich die Sache so zusammen: „Hier gibt es noch viel zu tun. Das ist uns allen bewusst.“