Mülheim. An drei Tagen konnten Bürger in der ehemaligen Tengelmann-Zentrale die Entwürfe für die „Parkstadt Mülheim“ studieren. Kritik wurde laut.
Der Siegerentwurf aus dem städtebaulichen Wettbewerb für die Parkstadt-Pläne auf dem ehemaligen Tengelmann-Areal stoßen bei Anwohnern mitunter auf deutliche Kritik.
An drei Tagen in der vergangenen Woche konnten Bürgerinnen und Bürger im altehrwürdigen Spiegelsaal der einstigen Tengelmann-Zentrale die städtebaulichen Wettbewerbsbeiträge für die „Parkstadt Mülheim“ studieren. Insbesondere beäugten die zahlreichen Besucher dabei den Siegerentwurf der Wiener Planergemeinschaft von Studio Vlay Streeruwitz ZT (Städteplaner) und Plan Sinn (Landschaftsplaner), den die Jury unter Beteiligung des Mülheimer OB und Vertretern der drei großen Ratsfraktionen CDU, Grüne und SPD gekürt hatte, um mit ihm in das anstehende Bebauungsplanverfahren zu gehen.
Planer versprechen „zauberhafte Freiraumbereiche“ in der Parkstadt Mülheim
Der städtebauliche Siegerentwurf skizziert in der Mitte jener Parkstadt einen 6000 Quadratmeter großen See, der mit viel Grün drumherum eine rund 100 Meter breite grüne Achse durch das Gelände ziehen soll. Jene Achse soll sich vom heutigen Rosengarten im Südwesten bis hinter die alte Polizeiwache im Nordosten erstrecken.
Die Planer versprechen „zauberhafte Freiraumbereiche“ und den Erhalt der meisten Bäume nicht nur für diesen zentralen Park, sondern auch für die Baufelder ringsum, die insbesondere für Wohnen, aber auch für Gewerbe, für eine in Diskussion stehende neue weiterführende Schule, für eine Kita oder Erweiterungen der Hochschule Ruhr West gedacht sind.
Insbesondere aus der Nachbarschaft des alten Tengelmann-Areals kommt viel Kritik
Doch an der skizzierten Wucht der Bebauung gibt es im Umfeld des Areals, das in den nächsten zehn bis 15 Jahren entwickelt werden soll, viel Kritik. Die Nachbarschaft befürchtet nicht nur lange andauernde Baustellen-Belästigungen, sondern sieht die vorgesehenen Bauhöhen ebenso kritisch wie das Ausmaß insgesamt der Parkstadt, die Investor Soravia und Planer als ein sozial-ökologisches Vorzeigequartier mit überörtlicher Strahlkraft sehen.
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Im Gegensatz zu den neun weiteren Wettbewerbsbeiträgen sticht der Siegerentwurf zwar mit einem relativ hohen Grün-Anteil heraus (rund ein Drittel der Fläche). Dafür aber erscheint die Bebauung ringsum umso massiver. So hatte Investor Erwin Soravia jüngst selbst in der Spitze von Bauhöhen zwischen 35 und gar 50 Metern gesprochen, das entspräche mitunter mehr als 15 Stockwerken.
Anwohner der Koloniestraße: „Das passt nicht in das Umfeld hier“
„Das ist ein gravierendes Thema, das passt nicht in das Umfeld hier“, sagt etwa Anwohner Kristof Wagner (35) von der Koloniestraße. Für ihn torpedieren solch hohe Häuser den Grundgedanken einer „Parkstadt“. Der Profit stehe bei den Planungen wohl im Vordergrund. Wagner sieht kritisch, welches Klientel solche Hochhäuser anziehen würden. Eine Frage der Bauqualität, entgegnen freilich Investoren-Vertreter.
Einen Gesprächspartner von Wagner erinnert das Ganze an Berlin-Marzahn. Andere sehen in den Bauplänen etwas, das für Hamburg geeignet sei, aber doch nicht an der Stadtteilgrenze von Broich zu Speldorf. Auch das Wort „Manhatten“ fällt an jenem Freitagnachmittag, als Soravia die Wettbewerbsbeiträge vorerst zum letzten Mal präsentierte. Bürgerversammlungen werden sicher im Rahmen des Bebauungsplanverfahrens folgen.
Parken, Baumaße, Verkehr: Anwohner sorgen sich vor Überlastung
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„Wir werden viel mehr Verkehr in unseren kleinen Straßen haben“, klagt eine Nachbarin (53) von Wagner. Schon jetzt, da die alten Tengelmann-Gebäude gerade erst in kleinen Teilen neu bezogen worden sind, sei der Parkdruck gewachsen, „parken die Leute direkt bei uns vor der Tür“. Da hülfen auch nicht die vorgesehenen Tiefgaragen, die die Parkstadt an der Oberfläche komplett autofrei halten sollen. Da brauche man nur zum Studentenheim an der Bülowstraße zu schauen. Dort nutzten Studenten das Parkhaus auch nicht, weil es ihnen zu teuer sei.
Es sind Fragen wie die nach Parkplätzen, die Anwohner in der Vorwoche an Soravia-Projektleiter Holger Dietrich stellen. Wer so viele neue Bewohner in die Nachbarschaft bringen wolle, der müsse sich auch Gedanken machen zur ÖPNV-Anbindung, zu Spiel-, Sport- und Freizeitflächen oder dazu, wie überhaupt der Verkehr ins neue Quartier organisiert werden solle.
Soravia-Projektleiter spricht von 400 bis 700 Wohnungen, die entstehen sollen
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Projektleiter Dietrich hat allerhand Fragen zu beantworten in diesen Tagen. Er spricht davon, dass im Zuge der konkreteren Planungen all diese Fragen natürlich zu beantworten seien. Etwa auch, wie der Ausbau der Liebigstraße als Haupterschließungsstraße zu gestalten sei. Wie viele Wohnungen denn hier überhaupt entstehen sollen?, fragt jemand. Dietrich spricht von einer Bruttogeschossfläche von circa 100.000 Quadratmetern, die Soravia hier vorschwebten. Je nach Zuschnitt könne das 400 bis 700 Wohneinheiten ergeben. Anwohner rätseln: Wenn sie nachrechnen, können sie kaum glauben, dass es in der Spitze „nur“ 700 neue Wohnungen sein sollen.
„Absoluter Horror“, entfährt es einer Nachbarin bei solchen Zahlen. „Ich würde am liebsten hier morgen wegziehen“, fürchtet sie wie andere über mehr als ein Jahrzehnt eine staubende und lärmende Baustelle.
Wohninteressenten blicken nach Wien: Dort seien Soravia-Bauten sehr attraktiv
Es gibt aber schon Bürger, die sich ein Leben in der künftigen Parkstadt sehr gut vorstellen könne. So Petra und Norbert Lambertz, die im äußersten Nordosten der Stadt ein großes Einfamilienhaus bewohnen, aber schon mit Soravia in Kontakt getreten sind, um die Möglichkeit abzuklopfen, hier mit rund 25 Mitstreitern künftig in einer Gemeinschaft barrierefrei wohnen zu können.
Norbert Lambertz (62) hat sich Bauprojekte von Soravia in Wien angeschaut. Auch Hochhäuser seien dort „sehr attraktiv“, mit schönen Fassaden und hochwertigen Materialien zu entdecken. „Das war sehr gefällig, was wir dort gesehen haben“, sagt er, der in der Nähe des alten Tengelmann-Geländes groß geworden ist und gerne im Alter zurückkehren würde, auch wenn Ehefrau Petra durchaus festhält, dass für sie der See und auch die Häuser kleiner dimensioniert werden sollten.
Bebauungsplanverfahren steht an: Politik muss Details festlegen
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„Es ist sehr interessant“, was auf dem Grundstück passieren wird“, sagt auch Patrick Krowas (42), der im vergangenen Jahr erst in die Nachbarschaft gezogen ist und ein Haus an der Lindenstraße erworben hat. Krowas, selbst Architekt und aktuell als städtischer Projektleiter für die Sanierung des Otto-Pankok-Gymnasiums verantwortlich, findet es „erst einmal positiv“, dass es einen städtebaulichen Wettbewerb gegeben habe. Das erhöhe immer die Qualität. Die Idee einer Wohn- und Parkstadt sei „grundsätzlich gut“. „Erschrocken“ sei aber auch er, wie hoch einzelne Gebäude laut Siegerentwurf werden sollen.
Wie hoch sie tatsächlich werden, wie dicht die Bebauung sein wird und alle weiteren Fragen muss nun in den nächsten Jahren Mülheims Politik debattieren.