Mülheim. Wie Parteien früher mit Plakaten um Wähler warben, zeigt eine Ausstellung im Mülheimer Stadtarchiv und bietet Einblicke in plakative Botschaften.
Plakate haben auch im digitalen Zeitalter als Wahlkampf-Botschafter Konjunktur – der gerade zu Ende gegangene Wahlkampf zur Bundestagswahl hat es unter Beweis gestellt. „Print bleibt wichtig. Auf großformatigen Plakaten kann man mit guten Porträtfotos der Kandidaten Sympathiewerbung betreiben, wie man es mit Fotos oder Videos im Internet nicht kann“, sagt der Inhaber der Mülheimer Werbeagentur Q-Marketing, Hanns-Peter Windfeder. Plakate sind Dauerbrenner der politischen Kommunikation.
Das zeigt auch eine Ausstellung mit Bundestagswahlplakaten aus den Jahren 1949 bis 1990, die vom 30. September bis zum 17. Dezember im Haus der Stadtgeschichte an der Von-Graefe-Straße 37 zu sehen sein wird. Eigentlich wollte das Stadtarchiv die Ausstellung schon vor der Bundestagswahl zeigen. Doch es gab politische Befindlichkeiten der Stadtspitze, da die Stadtverwaltung zur politischen Neutralität verpflichtet ist und das Haus der Stadtgeschichte zudem am 26. September auch als Wahllokal fungierte.
Ausstellung dokumentiert Wandel des Zeitgeistes und der Kommunikationsformen
Die Ausstellung wird dort am Donnerstag, 30. September, um 17 Uhr mit einem Grußwort der Bürgermeisterin Ann-Kathrin Allekotte und einem Vortrag des Politikwissenschaftlers und Parteienforschers Prof. Dr. Ulrich von Alemann eröffnet. „Sie dokumentiert auch den Wandel des Zeitgeistes und der Kommunikationsformen“, ergänzt der Leiter des Stadtarchivs, Dr. Stefan Pätzold.
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Ein Blick auf die plakativen Botschaften vergangener Bundestagswahlkämpfe bestätigt die Aussage des Mülheimer Werbefachmanns Hans-Peter Windfeder, der die Parteien zu mehr Plakat- und Porträtwerbung für ihre lokalen Kandidaten ermutigt.
1957 hat Adenauers strenger Blick auf dem Wahlplakat eine hypnotische Wirkung
Auf dem Höhepunkt des westdeutschen Wirtschaftswunders wirbt die damals regierende Union 1957 mit großen Porträts ihres Bundeskanzlers Konrad Adenauer („Keine Experimente“) und ihres Bundeswirtschaftsministers Ludwig Erhard („Wohlstand für alle!“). Die SPD zeigt ihren Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten Erich Ollenhauer („Vertrauen zur SPD“) in der Pose eines lächelnden Großvaters, der ein Mädchen auf dem Arm trägt. Doch der Trend ist 1957 kein Genosse. Und die Union gewinnt erstmals und bisher einmalig die absolute Mehrheit. „Adenauers strenger Blick auf dem Wahlplakat von 1957 übt eine hypnotische Wirkung aus, der man sich als Betrachter kaum entziehen kann“, findet Stefan Pätzold.
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Die Plakate der ersten Bundestagswahlen 1949 und 1953 sind weniger personalisiert und textlastiger. In den 1950er Jahren sind die Fotografen weniger gefragt als die Plakatmaler, um die Botschaften der Parteien an die Frau und an den Mann zu bringen. 1957 wirbt die FDP („Bürger! Dir hilft nur eine starke FDP!“) mit einem deutschen Michel, der in seinem Bett schläft und in seinen Träumen von einem schwarzen Pfarrer und eine roten Jakobiner bedrängt wird.
Deutsche Einheit ist Thema auf Wahlplakaten – zu sehen in Mülheimer Ausstellung
Wie gemalt kommt 1957 auch die SPD daher, wenn sie ihre potenziellen Wähler mit Häusern hinter einem Grenzschlagbaum erinnert: „Deutsche Einheit! Darum SPD!“ Damals lehnen die Sozialdemokraten die Westbindung und die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik ab, weil sie fürchten, dass die deutsche Einheit damit unerreichbar wird.
1957 versucht die CDU mit einer Mischung aus gemalten und fotografierten Plakaten die Wählergunst zu gewinnen. Ein lachendes Kind hält seine Schreibtafel in die Kamera, auf der CDU geschrieben steht. Überschrift: „Mutter und Vater wählen für mich!“ Bei der ersten Bundestagswahl 1949 plakatiert die CDU unter anderem einen Zauberer („Wir können nicht zaubern, aber arbeiten. Hilf mit! Wähle CDU!“ und mit einem Bauern, der seine Saat ausbringt („Saat und Sonne. Bauer und CDU gehören zusammen.“) Damit appelliert sie an den Wiederaufbauwillen der Bevölkerung. Die SPD spricht auf ihren Plakaten 1949 Klartext: „Alle Millionäre wählen CDU und FDP. Alle anderen Millionen Deutsche wählen die SPD!“ oder: „SPD wählen heißt Frieden für dich und mich!“
Nach US-Vorbild werden Plakate personalisiert
Seit den 1960er Jahren folgen deutsche Wahlkämpfer dem US-Vorbild und personalisieren ihre Plakate. „CDU! In Bund und Land erprobt und anerkannt!“ heißt es 1965 unter einem Porträt des damaligen Bundeskanzlers Ludwig Erhard, den sein Vorgänger Konrad Adenauer und sein Nachfolger Kurt-Georg Kiesinger flankieren.
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Auch die SPD plakatiert ihren Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten Willy Brandt 1965 großformatig. Unterschrift: „Willy Brandt bei uns! SPD 1965!“ Dass der Schriftzug „SPD 1965“ an ein Autokennzeichen erinnert, zeigt: Autogerechte Städte sind damals eine Vision des modernen Deutschlands, dass die SPD 1969 zu schaffen verspricht.
Grüne werben 1983 mit einem Po in geflickter Hose
Des deutschen liebstes Kind wählt 1972 auch die damals oppositionelle Union, in dem sie ein Auto mit plattem Reifen zeigt. Unterschrift „SPD/FDP: Die Luft ist raus!“ Und die damals ansteigende Inflation setzt die Union 1972 mit einem Foto weglaufender Nackedeis am Strand ins Bild. Ihr Rat an die Wähler: „Machen Sie es wie die Preise! Laufen Sie der SPD davon!“
Mit Humor versuchen es auch die Grünen, die 1983 erstmals in den Bundestag einziehen. Sie werben damals mit einem Po in geflickter Hose und sprechen sich damit angesichts der Parteispenden des Flick-Konzerns „Gegen eine geflickte Demokratie!“ aus.