Bochum. „Vorwärts für ein freies Deutschland“: Das Stadtarchiv Bochum zeigt Wahlplakate aus der Zeit von 1949 bis 1994. Überraschungen bleiben nicht aus.
Am Anfang hängt eine Überraschung. Es ist nicht der Slogan, den die SPD im Wahlkampf 1949 auf ein schwarz-rot-goldenes Vaterland klebt („Vorwärts für ein freies Deutschland“). Es ist die Graphik, die darunterliegt: Sie zeigt Deutschland noch nicht einmal in Grenzen von 1937, sondern von 1914. So lang ist ‘49 her.
Im Bochumer Stadtarchiv hängen daher aus gegebenem Anlass noch bis zur Wahl 50 historische Wahlplakate aus der Zeit von eben 1949 (erste Bundestagswahl) bis 1994 (zweite nach der Wiedervereinigung). „Wir wollten einen gewissen Abstand zur Jetztzeit halten“, sagt Institutsleiter Kai Rawe: „Wir wollen dem Publikum die Möglichkeit geben, durch die Parteienlandschaft der alten Bundesrepublik zu wandeln.“
Frühe Plakate kontrastieren die reale Notlage mit dem Schlaraffenland
Hunderte Plakate haben sie in ihrem Magazin; die jetzt aufgehängten sind ausgewählt nach Relevanz, Ästhetik und „dem Widerspiegeln gesellschaftlicher Debatten“. Eine kleine Zahl von Kuriosa ist aber auch darunter, und wieder andere Papp-Plakate haben es tatsächlich geschafft, dem Land tief in Erinnerung zu bleiben: „Deutsche. Wir können stolz sein auf unser Land. Wählt Willy Brandt.“
Auffällig ist: Die frühen Plakate sind vergleichsweise aufwändig gestaltet, zeichnerisch wie grafisch. Da stellt die CDU die triste Gegenwart von 1949 auf einer schwarz unterlegten Plakathälfte dar („Rauchwaren ausverkauft“, „Keine Kohlen“, „Tausche Anzug gegen Essbares“) und malt auf die andere Hälfte das Schlaraffenland, in das man unter Anführung der CDU natürlich gelangen würde: Brot, Fleisch, Fisch, Gemüse, Bier, Tabak - alles in wirtschaftswundergroßen Mengen.
Plakatierte Frauen wandeln sich langsam von reinen Müttern zu politischen Wesen
„Durch alle Parteien wurde die sehr konkrete Notlage in den Blick genommen“, sagt Rawe, der Leiter. Und auch weiterhin spiegelt sich die Entwicklung der Bundesrepublik in den Plakaten: Frauen treten zunächst nur als treu sorgende Mütter auf und werden in den 70er-Jahren zu politischen Wesen, der kalte Krieg schlägt sich nieder („Unsere Sicherheit“, CDU 1965) und natürlich das Erscheinen der Grünen in den 80ern.
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Mit dem, wie man inzwischen sieht, zeitlosen Klassiker von 1987: „Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt.“ Trotzdem packt es auch 1990 nochmals der „Kanzler für Deutschland. Freiheit. Wohlstand. Sicherheit.“ Der, Helmut Kohl, hatte seinen ersten Wahlsieg 1983 errungen gegen den plakatierten „Bundeskanzler, der es packt. Hans-Jochen Vogel.“ Vogel packt’s an? Da ist doch was?
Ausstellung ist geöffnet einschließlich des Wahltages
Auch der gänzlich inhaltsfreie Slogan ist keine Erfindung des 21. Jahrhunderts. „Nötiger denn je“ sieht sich die FDP 1965, gefruchtet hat es wohl nicht, denn 1994 meldet sich sich ganz ähnlich: „Diesmal geht’s um alles.“ Etwaige Ähnlichkeiten zum gegenwärtigen Wahlkampf wären natürlich rein zufällig: „Nie gab es mehr zu tun.“
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Der Eintritt ist frei, die Maske ist Pflicht: Die Ausstellung ist noch zu sehen Dienstag bis Freitag von 10 bis 18 Uhr und an Samstag und Sonntag von 11 bis 17 Uhr. Sie schließt etwas früher als die Wahllokale, und danach sind die Parteien gebeten, dem Archiv aktuelle Plakate zur Verfügung zu stellen. Damit in ein paar Jahrzehnten die Leute sich wieder nur wundern können..