Mülheim. Die Debatte um den Mülheimer Bismarckturm ist nicht nur eine politische. Warum die Abrissfrage immer auch mit monetären Interessen geführt wurde.
Über allen Baumwipfeln strahlt seine „elektrische Laterne“ bis hinunter auf die Ruhr und das Kahlenbergwehr – die Postkarte von 1911 wies dem empor reckenden Bismarckturm natürlich nicht nur eine lumineszierende Strahlkraft zu. Hier – und an rund 240 anderen Turmstandorten im Land – sollte den Bürgern offenbar auch politisch ein Licht aufgehen. An der 27 Meter hohen ,Erinnerung’ an den „Gründer des Deutschen Reiches und ersten Reichskanzler“ rieben sich die Mülheimer daher immer wieder. Eine Rückschau.
Selbst wenn die einstige Büste Bismarcks und die altgermanischen Feueraltäre, die an der Eingangshalle gestanden hatten, längst Geschichte sind und bereits der Stadtspiegel von 1980 feststellt: „An Bismarck erinnert heute im Turm nichts mehr.“ Manchen Zeitgenossen war der Entwurf des Mülheimer Baudezernenten Carl Linnemann übrigens schon zum Zeitpunkt der Erbauung am 2. August 1908 nicht patriotisch genug.
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Vor und während der NS-Diktatur diente der Bismarckturm als nationalistische Feierstätte
Denn es „fehlt die Hauptsache, die freien, lebendigen, lodernden Flammen, die nie erlöschende Liebe und Verehrung des deutschen Volkes zum Schöpfer eines einigen Deutschen Reiches“ – schwurbelte die Rhein-Ruhr-Zeitung im Mai 1909 schwülstig. Man wollte statt fortschrittlichem Stromlicht wohl steinzeitliches Feuer.
Und gut 30 Jahre später Abwehrfeuer – ein Flakgeschütz auf der Spitze während des von den Nazis begonnenen Zweiten Weltkriegs. Vor und während der NS-Diktatur diente die Stätte durchaus als nationalistische Feierstätte, wie der ehemalige Leiter des Stadtarchivs, Kai Rawe, in einer Betrachtung darstellt.
Die Auseinandersetzung mit dem Steinbau des Anstoßes führte die Mülheimer Stadtgesellschaft um 1956 und erneut in den 1970er-Jahren. Wenn auch später unter anderen Vorzeichen, denn zwar musste der Turm mal wieder saniert werden. 100.000 D-Mark, verschätzte man sich erst: 1984 wurden daraus stattliche 230.000.
Debatten um das „architektonische Ungeheuer“ wühlte Mülheimer Stadtgesellschaft auf
Als „architektonisches Ungeheuer“ bezeichnete 1957 ein Leser der Neuen Ruhr Zeitung den Turm, der in der Landschaft störend wirke. „Nur eine vor Rührung tränenblinde Heimatliebe könnte sich für ihn einsetzen“. Die Replik erfolgte prompt: Der Verfasser habe wohl „keine Bindung an die engere Heimat“, Mülheim habe doch kaum noch Denkmäler, erwiderten Leser und sprachen sich für den Erhalt aus. „Eine Instandsetzung würde sich heimatkundlich und in Bezug auf Fremdenwerbung lohnen.“
Der weit überwiegende Teil der Mülheimer – laut Stadtspiegel 97 Prozent – allerdings hatte sich im Vorfeld für den Erhalt des beliebten Aussichtsturmes ausgesprochen.
Entsetzen rief schließlich die Meldung vom 1.4.1957 hervor: „Turm wurde gesprengt“. Ein Sprengkommando einer Bundeswehr-Pionier-Einheit habe von „langer Hand“ die Sprengung vorbereitet. OB Thöne und Polizeidirektor Moritz hätten ein Sonderkommissariat zur Aufklärung der „heimtückischen Aufgabe“ gebildet. Ein derber Aprilscherz, natürlich.
20-Etagen-Hochhaus statt Turm? Die Diskussion Ende der 60er Jahre
Doch die Argumente gegen „das Fossil“ folgten später eher pekuniären statt politischen Interessen: Man wollte schicke Neubauten anstelle des alten Turms am Kahlenberg – ganz ähnlich, wie in der aktuellen Debatte auch. Kein Wunder, denn das Ensemble aus Park und Turm sollte zur Attraktivität des Quartiers beitragen (siehe Info-Kasten).
1968 sorgte sich die CDU um den Erhalt des Bismarckturmes, weil angeblich ein Bochumer Architekt auf dem Grundstück ein 20geschossiges Hochhaus errichten wollte. Der Turm sei aber eines der wenigen erhaltenen Zeichen aus der Stadtgeschichte und sei aus Spenden aus der Bürgerschaft mit entstanden, führte die CDU-Versammlung an. Ohne die besondere Genehmigung des Ruhrsiedlungsverbandes könne auf dem Gelände kein Wohnhaus entstehen.
1970 dann war das Thema auch Geschichte: „Kein Wohnhochhaus“ meldete die WAZ. Der Turm allerdings sei eine Ruine und müsse versiegelt werden. Vier Jahre später jedoch ging die Frage der Sanierung in einer neue Runde: „Bismarckturm soll gerettet werden“ titelte die NRZ. „Es darf nur nicht zuviel kosten.“
Bismarckturm ist seit 1986 ein Mülheimer Denkmal
1986 ließ Mülheim diesen auch in die städtische Denkmalliste eintragen, erinnert Erich Bocklenberg, einstiger Leiter der städtischen Denkmalschutzbehörde. Ralph Quadflieg, Gebietsreferent des zuständigen Landschaftsverbands Rheinland, begründete nur knapp. „Es war damals in den Gemeinden allgemein üblich, die Eintragungstexte sehr kurz zu halten, zumal das Rheinische Amt für Denkmalpflege in den ersten Jahren nach Inkrafttreten des Denkmalschutzgesetzes im Jahr 1980 mit ausführlicheren gutachterlichen Stellungnahmen nicht nachkam“, erläutert Bocklenberg. Es sei eher darum gegangen, so schnell wie möglich die schützenswerten Objekte zu benennen, um ihren Schutz zu etablieren.
Im Stadtspiegel von 1980 wird der Denkmalschutz in zweifacher Hinsicht begründet: Das Denkmal sei allgemein „ein Zeugnis der kulturellen Entwicklung der Menschheit, das eine besondere künstlerische, historische oder wissenschaftliche Bedeutung besitzt“. Und es erinnere „an bedeutende Persönlichkeiten oder Ereignisse der Geschichte. Durch die Errichtung des Bismarckturmes sollten die Person Otto Fürst von Bismarck und seine Taten unvergessen gemacht werden.“ In beiderlei Hinsicht sei „die architektonische Gestaltung dieses Bauwerkes ein hervorragendes Beispiel seiner Zeit und damit denkmalschutzwürdig“.
„Aussichtsturm und Anlaufpunkt im Naherholungsbereich des Kahlenbergparks“
Für die untere Denkmalschutzbehörde aber war ein Eintrag in die Denkmalliste schon deshalb keine Frage, „weil eine Gedenk- und Erinnerungsstätte eben nichts anderes sein kann als ein Denkmal“, erklärt Bocklenberg. Und gerade der Park – ein Entwurf von Fritz Rosorius und dem historischen Mülheimer Verschönerungsverein – weise dem Gebäude eine besondere Funktion zu. Angelehnt sei das Ensemble vermutlich an den Bochumer Stadtpark, dort steht ebenfalls ein solcher Bismarckturm.
Wie der Turm in den Kahlenbergpark kam
Laut Erich Bocklenberg lag „besonderes Augenmerk im Kahlenberg auf einer vielfältigen Wegführung mit dem Wechsel von kleinen Lichtungen und Waldzonen, auf der Heranführung der Wege an Orte, die eindrucksvolle Blickwinkel ins Ruhrtal eröffneten, auf der Anordnung beschaulicher Ruheplätze und auf dem Angebot einer attraktiven Gastronomie.“
Schon 1889 eröffnete man am Kahlenberg zunächst eine Halle zur Bewirtung von Gästen, die auf einem aufwendig erstellten Sockelmauerwerk aus Ruhrsandstein im Bereich eines alten Steinbruchs errichtet worden war, so Bocklenberg. Welche Anziehungskraft man von einem Restaurantbetrieb an dieser Stelle erwartete, zeigte sich im weiteren Ausbau: Das ein Jahr später fertiggestellte, zweigeschossige Kahlenbergrestaurant konnte bis zu 3000 Gäste aufnehmen.
Auch die Flächen oberhalb des Kahlenbergs wuchsen in ihrer Anziehungskraft, insbesondere, was die Wertigkeit von bebaubaren Grundstücksflächen angeht, berichtet Bocklenberg mit Bezug auf das Haus Urge weiter. „Und selbstverständlich gab es keinen geeigneteren Platz für die Errichtung des Bismarckturms als in unmittelbarem Zusammenhang zum Kahlenbergpark“.
Mit dem Turm verbindet Bocklenberg daher „nicht nur eine eigenständige Architektur, eine lokale Variation des Musterentwurfs von Wilhelm Kreis, sondern auch eine Reihe von städtebaulichen Besonderheiten wie seine Funktion als Aussichtsturm und Anlaufpunkt im Naherholungsbereich des Kahlenbergparks“.
„Die öffentliche Hand hat den Auftrag, das kulturelle Erbe zu erhalten, selbst umstrittene“
Auch der heutige Amtsleiter für Stadtplanung, Felix Blasch, stellt diesen Denkmalsanspruch nicht infrage: „Die öffentliche Hand hat den Auftrag, das kulturelle Erbe zu erhalten, selbst umstrittene.“ Begründet sei der Erhalt aus seiner Sicht aber nicht nur in Bezug auf Mülheim, sondern übergeordnet als Teil eines Konzepts, ein Netzwerk aus Türmen zu schaffen, die über das Ruhrgebiet und das ganze Land verteilt sind.