Mülheim. Die Schwachstellen der Ruhrstadt hat das Hochwasser eindringlich vor Augen geführt. Wo Mülheim jetzt die Klimaanpassung umsetzen müsste.

Wie gut ist Mülheim gegen Extremwetter wie das jüngste Hochwasser geschützt? Wie sehr muss die Stadt nachjustieren? Im Klimaanpassungskonzept von 2019 hat die Stadt zwar vermehrt Starkregenereignisse und Hochwasser prognostiziert und Konsequenzen angemahnt, doch an der Ruhr ist weiterhin reichlich Fläche verdichtet worden. Und soll es noch werden: Lindgens-Gelände, altes Wasserkraftwerk, Flughafen. „Die Stadt muss Bauprojekte neu überdenken“: Klimaexperten wie Hans-Peter Winkelmann fordern, Lehren aus der Krise zu ziehen.

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Schwachstelle Flughafenbebauung: Wird hier stark bebaut, kann die Innenstadt absaufen

Wenn es auch die Ruhrstadt nicht einmal annähernd so stark getroffen hat wie andere Gebiete in NRW – eine Verdichtung etwa am Flughafen könnte die Lage in der Innenstadt deutlich verschärfen, mahnt Winkelmann, der unter anderem für die UN und EU als Klimaexperte tätig war und heute Geschäftsführer des Mülheimer Climate Campus ist.

Bis zur Musikschule (Casino) bahnte sich das Hochwasser über den Dudel den Weg in die City.
Bis zur Musikschule (Casino) bahnte sich das Hochwasser über den Dudel den Weg in die City. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Die Crux: Bauland bedeutet für Kommunen die Chance, die Stadt weiterzuentwickeln, Wohnraum und Gewerbe zu schaffen – und ist nicht zuletzt eine lukrative Sache für den Haushalt. Doch der Preis könnte anderswo gezahlt werden: „Wenn am Flughafen – wie es die Verwaltung ausgeschrieben hat – auf fast einer Million Quadratmeter stark bebaut wird, säuft die Innenstadt bei einem Starkregen von 80 Litern pro Quadratmeter ab.“

Auch der Klimaschutzbeirat sprach sich dort gegen ein dichtes Bebauungskonzept aus. Denn wo die Natur noch wie ein Schwamm wirkt, spült der Niederschlag dann die Hänge hinunter ins Rumbachtal und weiter, und kann weder durch Kanalisation noch durch das unverdichtete Umland aufgefangen werden, befürchtet Winkelmann. Ähnliche Schreckensszenarien können durch weitere Bebauung an der Ruhr drohen, auf dem Lindgens-Gelände, am Wasserkraftwerk – wenn es keine Gegenmaßnahmen gibt.

Nicht alle sind glimpflich davon gekommen: Das beliebte Eiscafé Plati hat einen Totalschaden im Keller erlitten.
Nicht alle sind glimpflich davon gekommen: Das beliebte Eiscafé Plati hat einen Totalschaden im Keller erlitten. © Dennis Vollmer

Mülheimer Klimaanpassungskonzept warnte bereits 2019 vor zunehmenden Starkregenereignissen

Doch wo sind diese? Vor rund drei Jahren hatte die Stadt bereits die Probleme von Starkregen und Hochwasser in einem Klimaanpassungskonzept niedergeschrieben: „Starkregenereignisse in den Sommermonaten haben in der Vergangenheit zu erheblichen Schäden in Mülheim geführt (u.a. Juli 2014, Juni 2016, Mai 2018) und in Zukunft wird die Gefahr einer Zunahme von urbanen Sturzfluten infolge zunehmender Starkregenereignisse befürchtet.“

Stärkere Abflüsse führten auch entlang der Gewässer zu Schäden wie Erosion oder zu Schäden an wasserbaulichen Anlagen, schildert das Konzept. Die Konsequenzen? Bachentflechtung und die Abkopplung von Gewässern vom Kanal, schlägt das Konzept vor. Geschehen ist noch wenig – was wohl an „Zielkonflikten zwischen Maßnahmen der Starkregenvorsorge und anderen kommunalen Themenfeldern“ liegen mag. Sprich: Investoreninteressen.

In Mintard standen die Häuser im Auengebiet und der Sportplatz unter Wasser.
In Mintard standen die Häuser im Auengebiet und der Sportplatz unter Wasser. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Mülheimer Klimaexperte Winkelmann: „Wir brauchen mehr blaugrüne Infrastrukturen“

Doch kann sich die Stadt, die Allgemeinheit dies weiter leisten? Wann umdenken, wenn nicht jetzt, fordert der Klimaexperte mehr „blaugrüne Infrastrukturen“ zu schaffen, also Parks, urbane Gärten, oberirdische Bäche, begrünte Dächer. Auch Ausgleichsflächen und Regenrückhaltebecken müssten in Bauvorhaben festgeschrieben werden. „Schon Ruhrbania hätte man so nicht gestalten dürfen“, meint Winkelmann. Dort spülte die Ruhr ungehemmt über die gepflasterte Promenade bis an die Hauswände.

Und auch die Sanierung des Rumbachkanals sieht der Klimaexperte mit anderen Augen: Statt die Essener Straße und den Dickswall weiter vierspurig auszubauen und den Kanal entsprechend zu vergrößern, hätte man dort eine Grünanlage mit Bäumen, Radweg und oberirdischem Rumbachlauf bauen können, die Wasser aufnehmen kann und das Stadtklima zusätzlich aufwertet. Zwei Fliegen mit einer Klappe – so mache man das etwa in Sevilla, führt der Klimaexperte an. Freilich: Das hätte jeweils eine Autospur gekostet in der Autostadt Mülheim.

Politik denkt langsam um: Oberirdische Bäche und Tabuzonen für Bebauung

Politische Rückendeckung dürfte Winkelmann sicher sein: Längst hatte „die Partei“ im Kommunalwahlkampf die Idee eines oberirdischen Flusses über die Leineweberstraße lanciert. Das gab viel Zuspruch aus der Bevölkerung.

Aktuell hat auch die MBI ihre Forderungen nach Grenzen für Bauvorhaben wiederholt. Sie fordert von der Stadt, Tabuzonen für jegliche weitere Bebauung festzuschreiben, ein verstärktes Entsiegelungsprogramm neu aufzulegen, die gesetzlich vorgeschriebene Verpflichtung von Möglichkeiten der Regenversickerung für zumindest alle Neubauten konsequent umzusetzen und ein Wieder-Begrünungsprogramm für die Innenstadt.

Winkelmann sieht das Problem der Klimaanpassung seitens der Stadt „grundsätzlich erkannt. Jetzt muss das Konzept aber konsequent in die Handlungsfelder einfließen.“