Mülheim. 13 Notfallseelsorgerinnen und Notfallseelsorger aus Mülheim und Essen sind im Einsatz in den besonders schwer getroffenen Hochwassergebieten.
Damit die Seelen keinen Totalschaden nehmen, sind sie unterwegs in den Gebieten, in denen das Hochwasser eine Katastrophe angerichtet hat. 13 Notfallseelsorgerinnen und Notfallseelsorger aus Mülheim und Essen, entsandt durch den evangelischen Kirchenkreis an der Ruhr, bieten Flut-Opfern im Rhein-Erft-Kreis und anderswo Unterstützung bei der psychischen Verarbeitung des Erlebten. Sie helfen nicht nur den Betroffenen, sondern stützen auch die Einsatzkräfte vor Ort und fangen sich gegenseitig auf.
Sobald sie die Augen schließe, sehe sie das Wasser kommen, hat eine ältere Dame aus dem Katastrophengebiet an der Erft Harald Karutz erzählt. Der Mülheimer, der in der Corona-Pandemie das psychosoziale Krisenmanagent der Stadt koordiniert, war in seiner Eigenschaft als Notfallseelsorger in den besonders hart getroffenen Überschwemmungsgebieten im Einsatz. Eine andere Dame, deren Mann gerade vor drei Wochen beerdigt worden war, fragte, was eigentlich mit dem Friedhof in ihrer Ortschaft passiert sei. Es sind Aussagen wie diese, die den Notfallseelsorgern zu Ohren kommen, wenn sie in den Flutgebieten unterwegs sind. Sie werden mit den unmittelbaren Eindrücken der Betroffenen konfrontiert.
Wie nach dem Krieg – auch in dem Gespräch mit Guido Möller und Harald Karutz fällt dieser Vergleich immer wieder. „Was die Fernsehbilder nicht transportieren, das ist das Olfaktorische, da sind Ölheizungen kaputt gegangen, alle Möbel sind nass und dann steht da die Hitze drauf“, schildert Möller, der seit 2007 die Mülheimer Notfallseelsorge leitet. Erschütternde Einsätze hat Möller schon begleitet, die Loveparade gehört dazu. Was aber die Naturgewalten nun nach dem Starkregen angerichtet haben, das sei auch für ihn ein Novum gewesen. Der Pfarrer denkt vor allem auch an die jungen Hilfskräfte, viele von ihnen ebenfalls ehrenamtlich im Einsatz, die nun zum ersten Mal solches Leid erfahren.
Abbruchkante hat sich aufgetan, es wurden Häuser zerstört und Straßen weggerissen
Die Notfallseelsorger aus dem Ruhrgebiet waren unter anderem in Blessem, dem Ortsteil von Erftstadt, in dem sich die Abbruchkante an einer Kiesgrube aufgetan hat, es wurden Häuser zerstört, Straßen weggerissen, die Kanalisation weggespült – die Bilder gingen durch alle Nachrichten. „Ich habe dort vor allem emsiges Treiben auf den Straßen erlebt, und dennoch jederzeit die Bereitschaft, die Schüppe kurz aus der Hand zu legen, um mit uns zu sprechen“, berichtet Möller. Manche habe man auch zu einer Pause anhalten müssen – wie den jungen Mann, der nonstop bei den Aufräumarbeiten mitgemacht hat und schließlich vor Erschöpfung zusammengebrochen sei, schildert der Seelsorger.
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Betroffene fühlen sich getragen von der Solidarität der Gesellschaft
Gerührt habe ihn, sagt der Pfarrer, die riesengroße Solidarität: „Wie die Menschen mit Eimern und Schüppen in den Händen in den Ort gezogen sind, um zu helfen.“ Auch das sind Eindrücke, die Betroffene ihnen spiegelten – dass sie sich getragen fühlen von der Gesellschaft, die gemeinhin als roh und kaltherzig gilt. Nicht so im Krisengebiet, sagt Möller: „Dort erfährt man ganz viel Warmherzigkeit.“
Bei all dem immensen Leid und der unvorstellbaren Zerstörung, die die Fluten im Rhein-Erft-Kreis und anderswo angerichtet haben, wollen aber Harald Karutz und Guido Möller die Betroffenen in Mülheim nicht vergessen. „Jeder Schmerz und jede Sorge muss ernstgenommen werden“, sagt Möller. Im Laufe der Woche werden daher auch Notfallseelsorger durch Mintard laufen und das Angebot zum Gespräch machen.
Zuhören, einfach da sein, sein Gegenüber mit all seinen Nöten und Ängsten ernst nehmen – so beschreibt Pfarrer Guido Möller die Aufgabe, die die Notfallseelsorgerinnen und Notfallseelsorger aus dem Ruhrgebiet bei ihren Einsätzen erfüllen – in Erftstadt, Eschweiler und Stollberg oder zuhause in Mülheim.
Sie machen das ehrenamtlich, haben eine mehrmonatige Ausbildung in Seelsorge durchlaufen und halten sich bereit für den Fall, dass ihre Hilfe gebraucht wird. „Mich hat gerührt, dass sich einige extra Urlaub genommen haben, um die Einsätze begleiten zu können“, schildert der Leiter der Mülheimer Notfallseelsorge. Aber auch sie, die ehrenamtlichen Helfer aus dem Ruhrgebiet, müssten aufeinander aufpassen, dass „nichts hängenbleibt auf der Seele“, wie es Möller formuliert. Das Team werde sich zusammensetzen, die Einsätze nachbereiten und dabei auch durch einen Supervisor begleitet werden. „Das gehört zu unserem Selbstschutz.“ Sie seien ein kirchliches Team, „der Glaube trägt uns in solchen Momenten“, sagt der Pfarrer.
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Einsatzkräfte von Feuerwehr oder Hilfsorganisationen wie DRK und THW werden betreut
Nicht nur füreinander, sondern ebenso auch für die Einsatzkräfte sind sie da – viele Mülheimer waren direkt zu Beginn über die Feuerwehr oder Hilfsorganisationen wie DRK und THW in den Katastrophengebieten im Einsatz. In den Pausenzeiten komme man miteinander ins Gespräch, die Teamleiter der Einheiten wüssten, welches der Mitglieder vielleicht noch weiterführende Hilfe zur psychischen Verarbeitung nötig habe.
Aktuell, hat Guido Möller beobachtet, ist bei den Menschen in den Katastrophengebieten die Schockstarre einer Art Aktionismus gewichen – sie schaffen unentwegt weg, machen sauber, richten auf, was noch aufzurichten ist. Was aber ist, wenn all das fürs Erste geschafft ist, wenn dort mal Ruhe einkehrt? Dann werden die Menschen sicher nochmal Hilfe brauchen, ist Möller überzeugt – gerade diejenigen, die nicht in einem eigenen sozialen Netzwerk aufgefangen sind, diejenigen, die niemanden haben – und jetzt im Zweifel noch nicht mal mehr ein Zuhause. Die Notfallseelsorger aus Mülheim und Essen stehen dann bereit – schon am Donnerstag und Freitag werden sie wieder aufbrechen – wohin, das erfahren sie kurzfristig. Sicher ist: Ihre Hilfe wird gebraucht.