Mülheim. Nach „Ungenügend“ in den Vorjahren hat die IHK nun wieder zum Zeugnistag für den MEO-Wirtschaftsstandort mit Mülheim geladen. Es wurde streng.
Schon in den vergangenen Jahren haben die Spitzen der Industrie- und Handelskammer (IHK) kein Blatt vor den Mund genommen und die Ursachen für den wirtschaftlichen Abwärtstrend am Standort Mülheim mit scharfer Kritik kommentiert. Nun, zum diesjährigen Bilanztag, zeigt sich die IHK zwar etwas milder gestimmt, ihr Finger drückt aber wieder tief in die Wunde.
Diesmal nahm sich IHK-Präsidentin Jutta Kruft-Lohrengel aber nicht nur Mülheim, sondern den kompletten MEO-Bezirk mit zusätzlich Essen und Oberhausen zur Brust. Die IHK sieht die Wirtschaftsregion seit Jahren auf dem absteigenden Ast. Mit Blick auf das vergangene Jahrzehnt stellte Kruft-Lohrengel fest, dass sich die Wirtschaft in keinem der NRW-Kammerbezirke so wachstumsschwach wie in der MEO-Region präsentiert habe.
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IHK-Präsidentin: Wirtschaftsregion rund um Mülheim beim Wachstum Schlusslicht
Während andere NRW-Regionen ihr Bruttoinlandsprodukt (BIP) in dieser Zeit um bis zu 33 Prozent hätten steigern können, rangiere die MEO-Region in diesem Ranking mit nicht einmal zwölf Prozent als Schlusslicht. „Abgeschlagen“, wie die IHK-Präsidentin betont. „Das preisbereinigte BIP ist sogar geringfügig geschrumpft“.
Eine ähnliche Entwicklung, für Mülheim zuletzt im Arbeitsmarktbericht für Juni bestätigt, zeigt die IHK für die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Kammerbezirk auf. Zwar stehe von 2010 bis 2020 ein Arbeitsplatz-Plus in der MEO-Region von 14 Prozent zu Buche. Doch habe schon der NRW-Schnitt mit 18,6 Prozent deutlich darüber gelegen, der Primus unter den NRW-Kammerbezirken habe 23 Prozent Jobs hinzugewonnen.
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Kruft-Lohrengel: Ohne Flächen fehlen Steuereinnahmen in Millionenhöhe
Mit einem Fingerzeig auf die aus IHK-Sicht unzureichende Flächenpolitik in den Städten führte Kruft-Lohrengel den drei Städte vor, dass ihnen durch ausbleibendes Wachstum jährlich Millionenbeträge an Steuereinnahmen entgingen. „Hätten wir im letzten Jahrzehnt den NRW-Durchschnitt erreicht, hätten die Stadtkämmerer unserer drei Städte heute jedes Jahr gut 90 Millionen Euro mehr in der Kasse“, so die IHK-Präsidentin. Eine Region wie jene mit Dortmund, Hamm und dem Kreis Unna generiere als wachstumsstärkster NRW-Standort gar fast 180 Millionen Euro zusätzliche Einnahmen pro Jahr.
Kruft-Lohrengel sieht im Flächenmangel eine wesentliche Bremse für den Wirtschaftsstandort. „Äußerst schlecht“ sei das Angebot derzeit. Die MEO-Region benötige bis zum Jahr 2034 648 Hektar neue Industrie- und Gewerbefläche, könne diesen Bedarf aktuell – und dazu noch mit Restriktionen behaftet – nur zu 23 Prozent decken. Ein ausreichendes Flächenangebot sei aber „der Generalschlüssel für die Schaffung von Arbeitsplätzen und Wertschöpfung“.
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IHK sieht „Anzeichen für einen Wandel“ in Mülheims Wirtschaftspolitik
Insbesondere die restriktive Flächenpolitik Mülheims stand dabei in der Vergangenheit im Fokus der IHK-Kritik. Nun hob Kruft-Lohrengel, aber auch IHK-Hauptgeschäftsführer Gerald Püchel zwei positive Entwicklungen hervor: einerseits die Absicht von Stadt und Eigentümern, am Ruhrufer zwischen Konrad-Adenauer und Aldi-Areal in Styrum brachliegende Wirtschaftsflächen für den Markt entwickeln zu wollen. Andererseits lobte Püchel die Verständigung der schwarz-grünen Ratsbündnisse in Essen und Mülheim darauf, am Flughafen Gewerbeansiedlungen möglich machen und auch eine Zukunft des Flughafens mit modernem Fluggerät über 2034 hinaus prüfen lassen zu wollen. „Wir begrüßen das ergebnisoffene Verfahren“, so Püchel.
Sorgen am Ausbildungsmarkt
Unzufrieden ist die IHK mit der Situation am Ausbildungsmarkt. Rund 2400 Ausbildungsstellen in Mülheim, Essen und Oberhausen seien derzeit noch unbesetzt, so IHK-Präsidentin Kraft-Lohrengel. Corona sei kein Hinderungsgrund für eine Ausbildung, den Unternehmen fehlten aber Instrumente wie Jobbörsen in Präsenz oder Schulbesuche, um junge Bewerber anzusprechen.
Zum 30. Juni musste die IHK einen Rückgang von 6,1 Prozent bei neu registrierten Ausbildungsverträgen bilanzieren. Es waren 1329 an der Zahl, 86 weniger als im Vorjahr.
Reicht das für eine Versetzung Mülheims vom Sorgenkind in die nächste Klasse der Wirtschaftsförderung? „Im Moment ist es noch zu früh, es zu bewerten. Wir sehen aber Anzeichen für einen Wandel“, so Kruft-Lohrengel zum bisherigen Wirken von Mülheims OB Marc Buchholz, der die Wirtschaftsförderung bekanntlich zur Chefsache erklärt hatte und die Wirtschaftsförderung direkt in seinen Zugriff geholt hat. Die IHK-Spitze zeigt sich zufrieden über einen „guten Dialog“, den es nun mit Buchholz gebe; mit fest vereinbarten Quartalsgesprächen.
Kammer fordert A40-Untertunnelung und mahnt vor überfordernden Klimazielen
Um die MEO-Region aus der Schlusslicht-Position nach vorne zu führen, fordert Püchel mehr Anstrengungen auch für eine intakte Verkehrsanbindung von Wirtschaftsbetrieben. Nicht nur der A52-Ausbau sei weiterzuverfolgen, auch der durchgängig dreispurige Ausbau der A40 mit Untertunnelung des Nadelöhrs in Essen. Mit der Machbarkeitsstudie sei ein erster Schritt getan.
An die Städte appelliert Püchel derweil, mit lokalen Klimaschutzzielen nicht über die ohnehin schon ambitionierten bundesweiten Ziele hinauszuschießen. Dass Mülheim sich zum Ziel gesetzt habe, bis 2035 klimaneutral zu sein, sei so ein Fall. Das bedeute, Mülheim müsse 85 Prozent seiner jetzigen CO2-Emissionen verhindern. „Illusorisch“, urteilt Püchel, der befürchtet, Unternehmen könnten in Länder abwandern mit weniger starken Umweltauflagen.