Gladbeck. Für die Gladbeckerin Sonja G. ist Polizistin der Traumberuf – trotz aller Gefahren. So sieht der Dienstalltag der 25-Jährigen aus.
Die Bilder aus Mannheim haben Deutschland erschüttert, in tiefe Trauer gestürzt – aber auch wütend gemacht und Ängste geschürt. Selbst langjährige Einsatzkräfte sind bis ins Mark getroffen. Ein Grund, die Uniform an den Nagel zu hängen? Oder für Nachwuchs bei der Polizei, den Dienst zu quittieren, bevor er überhaupt richtig begonnen hat? Eher im Gegenteil, findet Kommissaranwärterin Sonja G. aus Gladbeck. Die 25-Jährige sieht gute Gründe, bei der Polizei zu arbeiten. „Die beste Entscheidung meines Lebens“, sagt die Brauckerin mit Nachdruck.
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Ein 29-jähriger Polizist ist in Mannheim im Dienst gestorben – seinen schweren Verletzungen nach einer brutalen Messerattacke erlegen. „Wir haben in der Dienstgruppe darüber gesprochen“, erzählt die Gladbeckerin, die seit 2021 eine Ausbildung zur Polizeibeamtin durchläuft. Solche Ereignisse lassen wohl kaum einen einigermaßen empathischen Menschen kalt. Erst recht nicht die Kolleginnen und Kollegen, einerlei, wo sie im Einsatz sind.
Polizeikräfte machen sich umeinander Sorgen
Florian Mühlenbrock sagt: „Der Getötete war mein Jahrgang, schätzungsweise meine Größe. Michael Stürzenberger habe ich dienstlich fünf, sechs Mal getroffen.“ In Gladbeck ist der Vertreter der islamkritischen „Bürgerbewegung Pax Europa“ ebenfalls kein Unbekannter. Mühlenbrock, Sprecher der Polizei in Gelsenkirchen, die Ausbildungsbehörde ist, sieht einige Parallelen von sich zu Rouven L., der bei dem Attentat sein Leben verlor.
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G. sagt: „Wir waren schockiert. Es wird einem bewusst, wie schnell so etwas passiert.“ Man mache sich Sorgen um die Kollegen. Die Gladbeckerin betont: „Die Eigensicherung ist immer superwichtig, das lernen wir seit Tag 1 in der Ausbildung.“ Und auch der Blick auf die anderen, die mit einem im Einsatz sind, geht den Kräften in Fleisch und Blut über. „Wenn ein Kollege mit dem Rücken zum Bürger steht, schauen wir genau hin“, nennt die 25-Jährige ein Beispiel. Das Problem: die Dynamik. Eine Situation kann in Sekundenschnelle kippen. Genau das sei in Mannheim passiert. „Davor habe ich Respekt“, so die Gladbeckerin.
Das tragische Ereignis in Mannheim brachte ihre Berufsentscheidung keineswegs ins Wanken. Im Gegenteil, G. denkt nicht an Rückzug, steht fest zu ihrem Entschluss, denn sie will Bürgerschaft und Kollegen schützen, ihnen beistehen und helfen. Die Kommissaranwärterin zweifelt kein bisschen an ihrer Berufswahl: „Das war die beste Entscheidung meines Lebens.“
Apropos Respekt: Den erfahre sie auch aus ihrem Umfeld. Die Eltern wüssten ihre Arbeit zu schätzen. Dabei waren sie über die beruflichen Wünsche ihrer Tochter anfangs nicht so richtig erbaut. G. erzählt: „Ich bin in Brauck aufgewachsen und habe das Riesener-Gymnasium besucht.“ Die Polizeiarbeit habe sie immer fasziniert. Dennoch studierte sie nach dem Abitur erst einmal unter anderem Geschichte auf Lehramt an der Ruhr-Universität Bochum, erwarb den Bachelor. Das Argument seinerzeit: Unterrichten ist ja nicht so gefährlich wie der Polizeidienst.
„Aber dieses Studium hat mich nicht so richtig erfüllt“, erinnert sich die 25-Jährige, „das war nichts für mich.“ Also nahm G. am zentralen Auswahlverfahren in Münster teil. Sport treibt die 1,72 Meter große Gladbeckerin gerne – Krafttraining, Joggen, Fahrradfahren, fit für den Beruf ist sie also. Mühlenbrock erläutert: „Die Bewerber müssen das Sportabzeichen und das Rettungsschwimmabzeichen, die sie privat machen, einreichen und ein Belastungs-EKG absolvieren.“
„Alle neuen Kollegen sind heutzutage Akademiker. Es gibt noch zahlreiche dienst- und lebensältere Kollegen, die damals bei ihrer Ausbildung keinen akademischen Abschluss gemacht haben“, erklärt Mühlenbrock.
Auf dem Lehrplan stehen Fächer wie Einsatzlehre und Psychologie
Auf dem Stundenplan stehen unter anderen Rechtsfächer und Einsatzlehre. G. lernt beispielsweise, wie sie renitente Menschen fixiert, kennt sich jedoch auch in Kriminalistik und Psychologie aus, um nur einige Bereiche zu nennen. Besonders interessant findet die Brauckerin das Strafrecht.
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Ihre Bachelor-Arbeit hat G. bereits abgegeben. Sie beschäftigte sich mit dem Thema Amoklauf von Jugendlichen in Schulen. Und was führt zu solchen Massenmorden? Das kann die Gladbeckerin nicht mit ein paar Sätzen beantworten, zu komplex sei ein Amok-Geschehen.
Ihr „Haupteinsatzort“, sagt die Braukerin, sei der Streifenwagen. Zur Ausrüstung gehört für die Uniformierte die Dienstweste, die in der Standard-Version ungefähr zweieinhalb Kilo auf die Waage bringt. Immer parat unter anderem Bodycam, Handschuhe, Funkgerät, Pupillenlampe, Kugelschreiber und Notizblock sowie ein Tourniquet, ein Abbindesystem, um bei einer Erstversorgung die Blutung von Wunden zu stillen.
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Zu dritt ist G. im Streifendienst in Essens Stadtmitte unterwegs, mit ihrem Tutor und einem Kollegen. Dabei erfahre sie das gesamte Spektrum klassischer Einsatzanlässe: Verkehrsdelikte, Ruhestörung, häusliche Gewalt – häufig, so die Gladbeckerin und Mühlenbrock, trete die Polizei als Mentor auf. Einmal sei sie dienstlich dabei gewesen, als sich zwei Gruppen Jugendlicher nicht nur verbal attackierten, sondern auch die Fäuste flogen, berichtet die 25-Jährige. Bei ihrem ersten Einsatz habe es sich um eine Sachbeschädigung an einer Tür gehandelt.
Gladbeckerin sieht im Schichtdienst Vorteile
Die Vielfalt der Aufgaben und Herausforderungen im Arbeitsalltag, das alles fesselt die Brauckerin. Schichtdienst stelle für sie kein Problem dar. Sie meint: Eine Frage der Sichtweise und der Organisation, wie auch das Studium mit vielen Prüfungen. Frühdienst von 6 bis 14 Uhr, Spätdienst von 14 bis 22 Uhr und nächtliche Arbeit von 22 bis 6 Uhr: Das könne durchaus auch Vorteile haben. So hat sie Spielraum, um private Termine wahrzunehmen, ohne sich dafür freinehmen zu müssen.
Das Geschlechter-Verhältnis bei der Polizei sei mittlerweile ausgewogen: fifty-fifty, sagt Mühlenbrock.
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Dass Sonja G. angepflaumt wird, sei gang und gäbe, stellt sie fest. Blondchen, kleine Maus, Püppchen, so etwas hört G. immer wieder, das sind noch die harmlosesten Sprüche.
Das Abschlusspraktikum wird bei der Diensthundestaffel sein
„Mein Abschlusspraktikum mache ich bei der Diensthundestaffel“, weiß die Gladbeckerin. Und wenn alles glattläuft, ist sie demnächst Polizeikommissarin. Ihr Traum-Beruf.