Gladbeck. Viele Kinder sind derzeit unglaublich krank. Arztpraxen in Gladbeck sind völlig überlaufen und stehen vor Problemen. So können Eltern vorbeugen.

Eine riesige Infektionswelle trifft derzeit besonders Kinder. Das stellt auch Kinderarzt Stefan Kusserow jeden Tag in seiner Praxis am Marktplatz fest. Allein am Montag hat er 148 kleine Patienten behandelt. 155 pro Tag war im Jahr 2019 einmal die höchste Zahl. Derzeit muss er einige Jungen und Mädchen aufgrund der Schwere ihrer Erkrankung in Kliniken einweisen. Und er weiß: „Das werden noch mehr.“

In den vergangenen 14 Tagen musste der Mediziner drei Babys ins Krankenhaus einweisen, da sie mit dem RS-Virus infiziert waren. Normalerweise schickt Kusserow die Eltern dafür in die Kliniken nach Bottrop, Gelsenkirchen-Buer oder Gelsenkirchen-Ückendorf, doch die waren so überlastet, dass ein Kind in der Oberhausener Klinik aufgenommen werden musste. „Es gibt derzeit so wenig Platz und zusätzlich einen Fachkräftemangel.“ Auch Carsten Rothert, Kinderarzt im Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin im Hausarztzentrum Butendorf, berichtet, dass die nächsten freien Betten in Kinderkliniken derzeit in Bochum und Wuppertal seien. „Alle anderen sind voll.“

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Vor allem Babys leiden aktuell unter dem RS-Virus

Zu Krankenhauseinweisungen führe eine Infektion mit dem RS-Virus vor allem bei Kleinstkindern unter zwei Jahren, die zum Teil Sauerstoffbedarf haben. Es besteht die Gefahr von Atemaussetzern. Das Schlimme: „Man kann nichts machen außer abwarten und Sauerstoff geben, falls nötig“, sagt Stefan Kusserow.

Kinderarzt Stefan Kusserow beobachtet in seiner Praxis in Gladbeck bei vielen Jungen und Mädchen einen „fürchterlichen Bollerhusten“. Seine Praxis ist komplett überlaufen.
Kinderarzt Stefan Kusserow beobachtet in seiner Praxis in Gladbeck bei vielen Jungen und Mädchen einen „fürchterlichen Bollerhusten“. Seine Praxis ist komplett überlaufen. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Bei vielen Jungen und Mädchen stelle er derzeit auch einen „fürchterlichen Bollerhusten“ fest. Vor Corona habe er diesen vielleicht drei Mal im Monat gesehen, jetzt hätten von 134 kleinen Patienten allein 92 diese Tracheobronchitis gehabt. „Die Luftröhre ist dann so rot wie nach einer Verbrennung.“ Kusserow empfiehlt in solchen Fällen, keinen Saft zu trinken, kein Obst zu essen, denn die Säuren würden zu sehr zusätzlich reizen.

Auf vielen Eltern laste der Druck, den Nachwuchs schnell wieder in Kita oder Schule zu schicken. „Aber dort lauern schon die nächsten Viren.“ Einige Jungen und Mädchen sind derzeit mehrfach direkt hintereinander krank. „Mal sind sie einen Tag dazwischen gesund. Von den Eltern wird das aber oft als ein langer Infekt gewertet.“ Grund für die aktuelle Lage sei eine fehlende Antikörperbildung aufgrund fehlenden Trainings – eine Folge der Corona-Einschränkungen. Stefan Kusserow kann sich vorstellen, dass sich die Lage im nächsten Jahr entspannen werde, wenn die Immunsysteme wieder besser gerüstet sind.

170 bis 300 Patienten kommen täglich in die Praxis in Gladbeck-Butendorf – normal sind im Winter um die 60 bis 80

Auch Carsten Rothert schlägt Alarm: Die Jungen und Mädchen seien im Moment sehr und außergewöhnlich lange krank sowie hochfiebrig. „Bei Babys herrscht vor allem das RS-Virus vor, bei Älteren eine Influenzawelle.“ 170 bis 300 kleine Patienten kommen täglich in die Praxis – normal sind im Winter um die 60 bis 80.

Kinderarzt Carsten Rothert, der im Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin im Hausarztzentrum Butendorf in Gladbeck praktiziert, sieht im Moment unglaublich viele sehr kranke Kinder.
Kinderarzt Carsten Rothert, der im Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin im Hausarztzentrum Butendorf in Gladbeck praktiziert, sieht im Moment unglaublich viele sehr kranke Kinder. © FUNKE Foto Services | Lutz von Staegmann

Die Heftigkeit der Erkrankungen führt auch Rothert auf einen Nachholeffekt aufgrund der Corona-Pandemie zurück. Nach zwei Jahren fehle zudem bei Eltern das Training, wie mit einer Erkältung umzugehen sei. „Die Telefonleitungen bei uns laufen über.“ Wer nicht durchkommt, hat aber die Möglichkeit, online einen Termin in der Praxis zu buchen. „Wir stellen immer wieder freie Termine rein.“

Eine derartige Situation habe der Kinderarzt zuletzt vor zwölf Jahren bei der Schweinegrippe erlebt. „Aber das war nach zwei Wochen geschafft, jetzt ist der Zeitraum länger.“ Bis Weihnachten, davon geht der Mediziner aus, wird sich die Lage wieder entspannt haben.

Auch in den Kitas gibt es Engpässe

Auch in den städtischen Kindertageseinrichtungen sind seit rund zwei Wochen erhebliche Einschränkungen spürbar, wie Stadtsprecher David Hennig auf Nachfrage berichtet. Es gebe viele Ausfälle beim Personal, daher komme es zu Gruppenschließungen und Kürzungen der Betreuungszeiten. „Wir verstehen den Unmut und die Not der Eltern, bitten aber um Verständnis, dass die Betreuung aufgrund der Ausfälle nicht immer gewährleistet werden kann.“

Es seien aber auch „ganz viele Kinder krank“. So sei deutlich spürbar, dass weniger Jungen und Mädchen in die Einrichtungen gebracht werden.

Eltern müssen schon einmal eine Wartezeit von bis zu drei Stunden einrechnen

Auf Vorsorgeuntersuchungen möchte Stefan Kusserow ob des derzeit hohen Andrangs aber nicht verzichten. „Die sind unglaublich wichtig und werden Monate im Voraus geplant.“ Aber U2-Untersuchungen, die nach einer ambulanten Entbindung nötig werden, seien extrem schwierig unterzubekommen. Doppelvorsorgen bei Geschwisterkindern biete er derzeit allerdings nicht mehr an. Aufgrund der dafür nötigen Zeit sei dies eine „Unverschämtheit denen gegenüber, die deshalb lange in der Praxis warten müssten“.

Er habe eine Termin-Praxis, wer unangekündigt – ohne vorherigen Anruf oder Mail – in der Praxis stehe, sei dann eben der Letzte in der Reihe – und müsse aktuell schon mal mit einer Wartezeit von drei Stunden rechnen. Einzige Ausnahme: ein mit dem RS-Virus infizierter Säugling. „Der wird vorgezogen.“

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Einige Medikamente sind derzeit nicht lieferbar – Eltern fahren zum Teil in die Niederlande, um sie zu besorgen

Ein „Riesendilemma“ seien derzeit zusätzlich nicht lieferbare Medikamente. Kusserow merkt das vor allem bei fehlendem Fiebersaft mit Ibuprofen und einem Asthmaspray mit Cortison. Der Mediziner weiß von Eltern, die eigens in die Niederlande fahren, um die Medikamente dort zu besorgen, oder sie sich von Verwandten schicken lassen, etwa aus Schweden. „Manchmal ruft mich eine Apotheke an und sagt, dass nun einige Dosen vorrätig seien, am nächsten Tag sind sie aber schon wieder vergriffen.“

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Doch wie lässt sich einem Infekt nach dem anderen überhaupt vorbeugen? Das gehe über das Thema Ernährung, ist Kusserow überzeugt. „Ab einem Alter von fünf Monaten muss Fleisch ins Kind.“ Jeden Tag müsse dann 30 Gramm Fleisch im Mittagsbrei enthalten sein. „Dann sind die Eisenspeicher gut gefüllt. Das ist ein wesentlicher Bestandteil für ein funktionierendes Immunsystem.“ Funktioniere das nicht, können ab einem Alter zwischen zwei und drei Jahren immer wieder viele Krankheiten auftreten. „Kinder müssen schon ganz früh gesund ernährt werden, mit viel Salat und Gemüse.“ In der Fast Food-Generation geschehe das aber oft nicht, ärgert sich der Mediziner.