Gladbeck. Viele Babys erkranken aktuell schwer in Folge einer RSV-Infektion. Kliniken stoßen an ihre Kapazitätsgrenzen. Gladbecker Arzt erklärt die Lage.
Allein beim Begriff „Virus“ schrillen in den Köpfen die Alarmglocken. Und hören Eltern von Kinderkliniken, die an ihre Kapazitätsgrenzen wegen vieler stationärer Aufnahmen stoßen, steigen die Sorgen: Das RS-Virus macht vielen Angst, gerade Babys bekommen Atemwegsinfekte und erkranken schwer. Carsten Rothert, in Gladbeck Spezialist für kindliche Lungenerkrankungen, bestätigt: „Wir haben aktuell eine Riesen-Infektionswelle.“ Der Arzt kann erläuterten, aus welchen Gründen die derzeitige Situation angespannter ist als in den Vorjahren.
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Im Gegensatz zum Coronavirus, das seit 2020 den Erdball im Griff hält, ist das RS-Virus nicht neu in der Welt, wie Rothert betont: „Es ist fester Bestandteil einer jeden Erkältungssaison wie auch Grippe- oder Adenoviren.“ Eine solche Infektion gehöre zur ganz normalen Krankheitsgeschichte im menschlichen Lebenslauf: „Alle Kinder müssen sie einmal gehabt haben.“ Und auch bei verschnupften Erwachsenen könne das RS-Virus immer wieder eine Ursache sein.
Kinderarzt Carsten Rothert aus Gladbeck: „Das Immunsystem ist nicht trainiert“
In diesem Jahr zeigen allerdings im Vergleich zur Vergangenheit einige Besonderheiten Wirkung. Und einer dieser Aspekte hat mit der Corona-Pandemie zu tun. „Durch Lockdowns war die RS-Infektion im vergangenen Winter fast gleich null“, berichtet der Kinderarzt, tätig in der Gemeinschaftspraxis Grube & Partner. Dazu führten Hygiene-Regeln und Abschottung. Der Gladbecker Experte ergänzt: „Es gab keine Kita-Besuche, keine Pekip-Gruppen und so weiter. Wir hatten 90 Prozent weniger akute Infektionen als sonst. Die Lockdowns haben eine totale Veränderung gebracht.“
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Das Immunsystem von Säuglingen sei folglich nicht trainiert: „Viele Kinder sind sehr stark krank.“ Rothert stellt klar: „Nun haben wir zwei Jahrgänge, die das Virus nicht kennengelernt haben – also die doppelte Anzahl gefährdeter Kinder.“ Denn was bei älteren Mädchen und Jungen oder Erwachsenen vielleicht einen harmlosen Schupfen auslöst, „durchleben Babys viel intensiver“. Gefürchtet ist die Bronchiolitis, die vor allem bei Säuglingen die unteren Atemwege befällt. „Der Zugang zum Sauerstoff kann versperrt werden“, erläutert Rothert. Atemschwierigkeiten sind die Konsequenz. Erschwerend kommt hinzu: „Es gibt für RSV keine spezielle Therapie oder ein Antibiotikum.“ Inhalieren und Sauerstoffgaben stellen Möglichkeiten zur Behandlung der Symptome dar.
RSV-gefährdet seien insbesondere Kinder in den ersten zwölf bis 18 Lebensmonaten. Der Spezialist ergänzt: „Jungen sind eineinhalb bis zweimal so anfällig wie Mädchen.“ Das liege daran, dass „Immun- und Bronchialsystem bei Jungs schwächer sind. Das wächst sich im Laufe des Lebens aus.“
Die RSV-Saison startet früher als in der Vergangenheit
Eine weitere Besonderheit dieser RSV-Saison: „Normalerweise beginnt sie im Oktober/November. Das Virus braucht es relativ kalt.“ Doch diesmal seien die ersten Fälle weit früher aufgetreten: „Mitte August war es schon da.“
Kapazitäten in manchen Krankenhäusern sind erschöpft
Rothert erzählt: „Jede zweite Mutter fragt bei uns nach RS.“ Der Nachweis einer Infektion mit diesem Erreger lasse sich jedoch nicht mit einem einfachen Abstrich in der Praxis erbringen: „Wir müssen ins Krankenhaus überweisen.“ Was zu zusätzlichen Komplikationen führe: Es stehen kaum noch freie Betten in den Krankenhäusern bereit. So sind Kapazitäten in der Kinderklinik am Bergmannsheil im benachbarten Buer erschöpft. „Wir müssen Eltern mit ihrem kranken Kind auf eine Odyssee, beispielsweise von Gladbeck bis nach Herne oder Dortmund, schicken“, beschreibt Rothert die verzwickte Lage. Er gibt zu: „Überweisungen sind im Moment ein großes Problem.“
Die Symptome
Beim Respiratorischen Synzytial-Virus – kurz: RSV – handelt es sich um einen weltweit verbreiteten Erreger, der akute Erkrankungen der oberen und unteren Atemwege auslöst. Der Gladbecker Kinderarzt Carsten Rothert betont: „Es gibt kein lebenslange Immunität, auch als Erwachsener kann man immer wieder erkranken.“
„Schnupfen, Fieber, Husten – das sind ganz normale Symptome einer Infektion mit dem RS-Virus“, so der Mediziner. Auch Abgeschlagenheit sei möglich. Nach sieben bis zehn Tagen sollte das Schlimmste problemlos überstanden sein.
„Atmet das Kind allerdings rasselnd, braucht es Sauerstoff“, sagt Rothert. In diesen Fälle überweisen Arztpraxen ins Krankenhaus.
Der Experte führt diese Notlage nicht nur auf die genannten Gesichtspunkte zurück, sondern ebenso auf politische Entscheidungen: „Seit vielen Jahren wird die Kinderheilkunde stark heruntergespart und es werden Stellen gestrichen. Aber wo keine Krankenschwester steht, kann man auch kein Bett füllen.“ Ein Kind sei eben kein kleiner Erwachsener. Diese Rotstift-Politik räche sich nun.
„Rotstift-Politik in der Kinderheilkunde rächt sich“
Als Möglichkeit der Vorbeugung legt Carsten Rothert Erwachsenen ans Herz: „Sich gegen Grippe impfen zu lassen, ist immer gut. Außerdem regelmäßiges Händewaschen und eine gewisse Zurückhaltung, was Kontakte angeht.“