Essen. An der Uniklinik Essen gab es jetzt die 3000. Lebertransplantation. Ohne die Organspenden von alten Menschen würden viel weniger Leben gerettet.
Ein Jubiläum im OP-Saal konnte am 27. Mai in der Essener Uniklinik gefeiert werden: die 3000. Lebertransplantation, seit der Eingriff hier 1987 zum ersten Mal durchgeführt wurde. „Es ist ein tolles Verfahren, weil es schwerkranke Menschen, die oft nur noch eine Lebenswahrscheinlichkeit von drei bis sechs Monaten haben, zurück ins Leben bringen kann“, sagt Prof. Ulf Neumann, der die Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie am Klinikum leitet.
Uniklinik Essen transplantiert regelmäßig Lebern von hochbetagten Spendern
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Um möglichst vielen Patienten zu helfen, greifen Neumann und sein Team auch auf Spenderorgane von hochbetagten Verstorbenen zurück: Leber 3000 etwa stammte von einem 88-Jährigen – und das war kein Rekord-Alter, sagt Prof. Dr. Jürgen Treckmann: „Der älteste Spender war 94 Jahre alt, und der Empfänger des Organs lebt noch.“
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Generell betrage die Ein-Jahres-Überlebensrate hierzulande bei den Organspenden von Verstorbenen 85 Prozent (bei Lebendspenden liegt sie etwas höher). „Im internationalen Vergleich ist das nicht gut“, erklärt Prof. Treckmann. „Das liegt auch daran, dass wir viel mehr Organe nutzen, die andernorts nicht verwendet würden.“ Anders gesagt: In vielen Ländern sind die Organspender zahlreicher und jünger, die Ergebnisse fallen besser aus. Auch weil die Patienten nicht so lange auf ein Organ warten müssen und noch fitter sind, wenn sie es erhalten.
„Deutschland liegt bei der Bereitschaft zur Organspende in Europa auf dem letzten Platz“, sagt Ulf Neumann. Und Abwarten ist für Leberpatienten keine Alternative: „Die Mortalitätsrate auf der Warteliste für ein Spenderorgan beträgt 30 Prozent.“ Ohne die betagten Organspender sähe die Lage noch deutlich dramatischer aus. „Beim Herz ist mit 60 Jahren Schluss, wir sprechen von einem jungen Spender, wenn wir die Leber eines 65-Jährigen transplantieren“, sagt Prof. Dr. Arzu Oezcelik.
Mit der Widerspruchslösung wäre erstmal jeder automatisch Organspender
Die Medizinerin wünschte sich die Einführung der Widerspruchslösung: Nach der wäre jeder automatisch Organspender, sofern er dem zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprochen hätte. „So würde man die Leute zwingen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.“ Aktuell sei es oft so, dass die Angehörigen ratlos seien, was der Verstorbene gewollt hätte; und sich in einer sehr belastenden Situation darüber Gedanken machen müssten.
Viele Menschen hätten auch falsche Vorstellungen davon, wie die Spenderorgane vergeben werden: Sie glaubten etwa, die Mutter von drei Kindern würde gegenüber dem alleinstehenden Mittfünfziger bevorzugt. „Die Vergabe, die zentral über Eurotransplant läuft, ist klar nach Dringlichkeit geregelt. Da gibt es harte medizinische Kriterien“, stellt Neumann klar. Betroffene mit fortgeschrittenen Lebererkrankungen sind ambulant an die Klinik angebunden. Hochdringliche Patienten mit akuten Leberversagen liegen auf der Intensivstation, ihnen bleiben nur wenige Tage: „Die stehen ganz oben auf der Liste.“
Der Eingriff dauert im Schnitt viereinhalb Stunden und ist wegen der feinen Gefäße außerordentlich komplex, heute in der Uniklinik aber Tagesgeschäft. Mitunter werden drei Lebern an einem Tag transplantiert; im gesamten Premierenjahr 1987 waren es zwei. „Obwohl die erste OP schon 1969 in Bonn gemacht wurde, blieb die Lebertransplantation bis Mitte der 80er Jahre ein experimentelles Verfahren. Auch weil es an guten Immunsuppressiva fehlte, um die Abstoßungsreaktion zu unterdrücken“, erklärt Neumann.
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Längst gibt es zuverlässige Medikamente, die übrigens auch jene Patienten nehmen müssen, die eine Lebendspende erhalten. Erstmals durchgeführt hat diese Operation der inzwischen verstorbene Prof. Dr. Christoph Broelsch in den USA, der später an der Uniklinik Essen zum Leber-Papst avancierte und noch später wegen Bestechlichkeit verurteilt wurde. Seine Pionierleistungen blieben davon unberührt, sind sich die Chirurgen einig. „Es ist eine unglaubliche Lebensleistung, dieses Verfahren zu entwickeln, das bis heute in vielen Ländern Standard ist“, sagt Neumann.
Uniklinik Essen: Leberlebendspende bedeutet einen komplexen Eingriff
„Der Eingriff ist komplexer und riskanter; es hat schon Todesfälle bei den Lebendspendern gegeben“, sagt Prof. Oezcelik, die den Bereich Leberlebendspende an der Uniklinik leitet. Damit das Verfahren sicher sei, müsse der Spender topfit sein und höchst sorgfältig ausgesucht werden. „Je leichter der Empfänger, desto eher findet man den passenden – weil man weniger Leber braucht“, ergänzt Neumann.
„Nur 1,5 Prozent der Lebendspender würden es nicht noch einmal machen“, sagt Arzu Oezcelik. „Das sind diejenigen, bei denen Probleme auftraten. Alle anderen würden es wieder tun.“ Trotzdem greife man hierzulande fast ausschließlich auf Leichenspenden zurück; auch weil es schwerer sei, geeignete Kandidaten zu finden, sagt die Medizinerin, die zeitweilig in der Türkei gearbeitet hat. „Da kommen die Betroffenen mit drei potenziellen Spendern aus der Familie an, hier sind wir glücklich, wenn sich einer findet.“ Es sei ja auch eine berechtigte ethische Frage, ob man einen 18-Jährigen zur Organspende für den Vater ermuntern solle.
Umgekehrt seien Eltern stets bereit, ihren kranken Kinder einen Teil ihrer Leber zu spenden. „Die jüngste Empfängerin war erst vier Monate alt“, sagt Prof. Treckmann. „Die ältesten sind 70 Jahre oder darüber.“ Bei einem guten Gesamtzustand sei das kein Problem. Es sei beglückend die Patienten nach der OP wie ausgewechselt zu erleben. „Oder wenn unsere kleinen Patienten Jahre später Fotos von der Abi-Feier schicken.“
Neuer Klinikdirektor
Prof. Dr. Ulf Peter Neumann ist seit Oktober 2023 Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie am Uniklinikum Essen. Nach dem Ausscheiden von Prof. Dr. Andreas Paul hatte zwei Jahre lang Prof. Dr. Jürgen Treckmann die Leitung kommissarisch inne.
Neumann stammt aus dem Münsterland, hat an der FU Berlin studiert, anschließend an der dortigen Charité gearbeitet und sich dort 2003 habilitiert. Seit 2010 war er bis zu seinem Wechsel nach Essen Ordinarius für Chirurgie und Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie am Uniklinikum RWTH Aachen.
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