Essen. Fast 800 Menschen sterben jährlich auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Michael Weihs hat mit einer Spender-Lunge ein neues Leben bekommen.

Michael Weihs ist Ende 50, sportlich und reiselustig. Er ist Taucher und Tauchlehrer, Rettungsschwimmer, beruflich erfolgreicher Vertriebler. Schon als Teenager wurde bei ihm eine exogen allergische Alveolitis (EAA) diagnostiziert, eine allergisch bedingte Entzündung des Lungengewebes, die ihm aber keine Probleme bereitet. Bis Ende 2019. „Plötzlich konnte ich keine zwei Stockwerke mehr Treppen steigen, ohne außer Atem zu geraten“, berichtet der heute 61-jährige aus Bottrop-Kirchhellen.

Silvester bringt ihn der Rettungswagen in die Essener Ruhrlandklinik

Ein Pulmologe sieht sich seine Röntgenbilder an und deutet das erste Mal an, dass er irgendwann eine neue Lunge brauchen wird. „Irgendwann. Das war für mich weit weg“, so Michael Weihs. Mit Cortison verbessert sich sein Zustand. „Da bin ich mit meiner Frau auf Kreuzfahrt gefahren, in die Antarktis und nach Chile, in die Atacamawüste. Aber die Höhe hat mir zu schaffen gemacht“, sagt Weihs. Es sollte vorerst die letzte große Reise sein. In der Silvesternacht 2019 auf 2020 wird er das erste Mal mit dem Rettungswagen in die Klinik gebracht. Michael Weihs wird Patient in der Ruhrlandklinik Essen, einer spezialisierten Lungenklinik.

Zunächst kann er mit einem Sauerstoffgerät wieder nach Hause. Als Lungenkranker ist er in der Corona-Pandemie einem besonderen Risiko ausgesetzt. Anfang 2021 infiziert er sich mit Covid-19. Zwei Wochen liegt er auf der Intensivstation im Koma. „Dass ich überhaupt wieder aufgewacht bin, war für die Ärzte ein Wunder“, sagt er. Auf das Wunder folgte gleich das nächste. Noch in der gleichen Nacht kommt der Anruf: Es gibt eine Lunge für ihn. Von der Ruhrlandklinik wird er verlegt ans Uniklinikum Essen, einem führenden Transplantationszentrum in Deutschland. Am 10. April 2021 bekommt Michael Weihs die Lunge eines jungen Mannes transplantiert.

Info-Tag rund um das Thema Organspende und Transplantation

Der 4. Tag zur Organspende und Transplantation am Uniklinikum Essen findet am Samstag, 18. November, von 10 bis 16 Uhr im Lehr- und Lernzentrum, Virchowstraße 163a in Holsterhausen, statt. Eingeladen sind Patientinnen und Patienten, die auf eine Organspende warten oder bereits transplantiert sind, sowie Angehörige und Interessierte. Sie können sich über ihre Erkrankung, deren Ursachen, Symptome sowie Therapiemöglichkeiten informieren und austauschen.

Experten beantworten die Fragen in Vorträgen, Austauschrunden und organbezogenen Workshops, Patienten berichten über ihre Erfahrungen. Einen besonderen Vortrag hält Marius Schäfer, der erste Mensch in Deutschland mit einer Lebendlungenspende. Seit mehr als zehn Jahren lebt er mit Lungenlappen seiner Eltern.

Die Teilnahme ist kostenlos. Um Anmeldung wird gebeten auf: transplantationstag.ume.de oder telefonisch unter 0201 723 86256.

Dass es bei Michael Weihs so schnell ging, ist keine Selbstverständlichkeit. „Gut 8500 Menschen stehen in Deutschland auf der Warteliste für ein Spenderorgan“, sagt Dr. Ebru Yildiz. „Im vergangenen Jahr haben fast 800 Menschen diese Wartezeit nicht überlebt.“ Ebru Yildiz ist Leiterin des Westdeutschen Zentrums für Organtransplantation (WZO) an der Uniklinik Essen. Diese lädt am Samstag, 18. November, zum 4. Tag zu Organspende und Transplantation ein (Infokasten).

250 Transplantationen führt die Uniklinik Essen Jahr für Jahr durch

Dr. Ebru Yildiz ist selbst seit mehr als 20 Jahren am Klinikum. „Ich gehörte schon zum Inventar“, scherzt die 44-Jährige. Sie hat zuerst eine Pflegeausbildung gemacht und anschließend ihr Medizinstudium absolviert. Sie ist Internistin, Nephrologin, Intensiv- und Transplantationsmedizinerin. In ihrer jetzigen Funktion als Chefin des WZO ist sie aber vor allem Managerin. Das WZO bündelt die Expertise und koordiniert die Zusammenarbeit der verschiedenen Kliniken, Institute und medizinischen Fachabteilungen, die an einer Transplantation beteiligt sind.

„Transplantationsmedizin ist absolute Spitzenmedizin. Sie kann die Betroffenen nicht vollständig heilen, aber bietet einen Weg zurück in ein normales Leben“, so die Medizinerin. „Wer ein Spenderorgan benötigt, ist schwer krank, oft lebensbedrohlich. Wir bereiten die Patienten auf ihre Transplantation vor und betreuen sie nach dem Eingriff nach modernsten Therapierichtlinien.“

Deutschland ist bei Organspenden ein „Nehmerland“

Deutschland ist Teil von Eurotransplant, einer gemeinnützigen Organisation, die den Austausch der Spenderorgane unter ihren Mitgliedern koordiniert. Dazu gehören Belgien, Kroatien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Slowenien, Ungarn.

In den meisten europäischen Ländern gilt die Widerspruchslösung: Danach gilt jeder potenziell als Organspender, es sei denn, er widerspricht dem aktiv. Hierzulande gilt die Entscheidungslösung: Organe dürfen nach dem Tod nur entnommen werden, wenn die verstorbene Person dem zu Lebzeiten zugestimmt hat. Innerhalb von Eurotransplant ist Deutschland daher ein „Nehmerland“, empfängt also weit mehr Organe, als es zur Verfügung stellt. Durch eine Widerspruchslösung könnte nach Ansicht von Experten auch bei uns die Zahl der Organspenden deutlich erhöht werden.

Infos zu Organspende und Organspendeausweis auf: www.organspende-info.de

Am Uniklinikum Essen werden jedes Jahr mehr als 250 Transplantationen erfolgreich durchgeführt. „Es könnten mehr sein, aber es gibt nicht genug Organe, so dass wir leider nicht allen Patienten helfen können.“ Anders als in anderen Ländern muss man sich in Deutschland zu Lebzeiten aktiv dazu bekennen, dass man seine Organe nach dem Tod spenden würde, zum Beispiel durch den Organspendeausweis.

Die Ärztin engagiert sich sehr für das Thema Organspende, so hat sie auch die Initiative „#RuhrEntscheidetSich“ ins Leben gerufen, um auf das Thema aufmerksam zu machen und auch die Geschichten von Spender-Familien zu erzählen.

Der Organspendeausweis nimmt den Angehörigen die Entscheidung ab

„Es könnten mehr sein, aber es gibt nicht genug Organe, so dass wir leider nicht allen Patienten helfen können“, sagt Dr. Ebru Yildiz, Leiterin des Westdeutschen Zentrums für Organtransplantation an der Uniklinik Essen, über die 250 Organtransplantationen, die dort im Jahr durchgeführt werden.
„Es könnten mehr sein, aber es gibt nicht genug Organe, so dass wir leider nicht allen Patienten helfen können“, sagt Dr. Ebru Yildiz, Leiterin des Westdeutschen Zentrums für Organtransplantation an der Uniklinik Essen, über die 250 Organtransplantationen, die dort im Jahr durchgeführt werden. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Ebru Yildiz ist es wichtig zu betonen, dass ein Organspendeausweis vor allem ein „Entscheidungsausweis“ ist. „Der Ausweis ist wichtig, weil er eine Entscheidung dokumentiert – damit es die Angehörigen nicht tun müssen.“

Seit der Transplantation lebt Michael Weihs bewusster

Michael Weihs ist dankbar dafür, dass irgendwo in Europa ein Mensch diese Entscheidung getroffen hat. Er begeht den 10. April, den Tag seiner Transplantation, andächtig, in Gedanken ist er bei der Familie des Organspenders. Seinen Beruf hat Michael Weihs aufgegeben, er will bewusster Leben und mehr Zeit mit seiner Frau haben, wieder reisen. Außerdem engagiert er sich im Patientenbeirat des WZO. Er organisiert das Patientencafé und arbeitet mit daran, die Versorgung vor und nach einer Transplantation weiter zu verbessern. Natürlich ist auch er am Samstag am Uniklinikum dabei.

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